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Ali Cem Deniz

Das Alltagsmikroskop

5. 7. 2013 - 15:20

Willkommen in der Militärdemokratie

Das Militär in Ägypten hat nicht Mursi und die Muslimbrüder gestürzt, sondern die Demokratie.

Das ist eine Neuheit in Ägypten. Im größten arabischen Staat sind Militärputsche gar nicht so alltäglich, wie in anderen Ländern. Der Grund ist einfach. Bisher gab es selten eine Regierung, die "entfernt" werden musste. Auf dem Tahrir-Platz werden Freudentränen vergossen und westliche PolitikerInnen scheinen "Putsch" aus ihrem Wortschatz gestrichen zu haben.

Schön langsam

Abdulfattah al-Sisi und seine Kameraden haben nicht nur Mursi aus dem Amt gedrängt, sie haben auch die Verfassung aufgehoben. Das bedeutet, dass sie die nächsten Monate oder sogar Jahre mit der Erstellung einer neuen Verfassung verstreichen lassen werden. Diese vom Militär bzw. von der "Expertenregierung" geschriebene Verfassung wird dann festsetzen wie in Zukunft die Wahlen auszuschauen haben und vorschreiben, wer und was überhaupt antreten darf. Selbst wenn es bald zu neuen "demokratischen" Wahlen kommen wird, wird es ein Ergebnis sein, das vor allem die Armee zufrieden stellen wird.

Eine ähnliche Situation erlebte die Türkei im Putsch von 1960. Damals stürzten die türkischen Streikräfte die demokratisch gewählte Regierung, um den "Willen des Volkes" durchzusetzen. Der Putsch führte zu wirtschaftlicher Instabilität und politischen Kämpfen, die den Weg für den nächsten Putsch 1980 vorbereiteten.

Die letzten Wahlen in Ägypten wurden von vielen Menschen boykottiert, weil fest mit einem Sieg der Muslimbrüder zu rechnen war. In den nächsten Wahlen wird die Situation umgekehrt sein. Es bleibt offen, ob die Muslimbrüder überhaupt antreten dürfen. Wenn, dann werden sie wohl mit einer neuen Partei antreten müssen. Ein erneuter Sieg für die Muslimbrüder könnte allerdings wieder zu einem Putsch führen.

Tahrir-Platz

EPA/ADP MOA

Der Tahrir-Platz heute Mittag

"Die Armee des Volkes"

In einem Jahr kann sich anscheinend vieles ändern. Die ägyptische Armee, die über Jahrzehnte hinweg die Diktatoren des Landes tatkräftig unterstützte, ist heute in der Rolle des strengen, aber liebevollen Vaters, der die junge Demokratie unter Schutz nimmt und ihr die Richtung vorgibt. Abdulfattah al-Sisi hat in seiner Presseshow betont, dass die Streitkräfte den Willen des Volkes umsetzen. Das Volk sind in dem Fall die Mursi-Gegner. Seine AnhängerInnen hatten Pech. Es gibt kein Platz für sie im "Volk".

Wenn die "Armee des Volkes" die Macht abgibt, wird sie weiterhin hinter der politischen Bühne der wichtigste Akteur des Landes sein. Das Militär ist seit Jahrzehnten mit der Bürokratie verflochten und einer der wichtigsten Player in der Wirtschaft. Solange sich das nicht ändert, wird die ägyptische Politik in Zukunft das Land nicht reformieren können. Völlig egal, ob nun Muslimbrüder oder Liberale an der Macht sind. Die Armee und ihr ziviler Arm in Bürokratie und Justiz werden mit aller Kraft Reformen verhindern, die nicht in ihrem Interesse sind.

Was passiert mit den Muslimbrüdern?

Für die Muslimbrüder und ihre AnhängerInnen ist das, was gerade in Ägypten passiert, keine Neuheit. In der Vergangenheit wurde die Organisation immer wieder verboten und die Gefängniszellen sind für ihre Mitglieder kein Neuland. Sie werden sich mal wieder in den Untergrund zurückziehen müssen, aber sie werden sich nicht in Luft "auflösen".

Viele AnhängerInnen von Mursi sind sich sicher, dass Mursis Regierung vor allem wegen ihrem islamischen Charakter gestürzt wurde. Bis zum "Arabischen Frühling" legitimierten die arabischen Diktatoren ihre Herrschaft indem sie Angst vor dem "politischen Islam" schürten. Es ist also kein Wunder, dass die Massen jetzt in der Armee den großen Helden und Beschützer der Nation sehen.

EPA/ADP MOA

Auch am Tahrir-Platz

In der Türkei wurde beim Putsch von 1980 ebenso gejubelt. Eltern gaben ihren neugeborenen Kindern den Namen des damaligen Generalstabschefs. Deshalb gibt es heute in der Türkei eine große Gruppe von "thirtysomethings", die den Namen "Evren" tragen. Der Slogan "Das Volk und die Armee gehen Hand in Hand", den man in den letzten Tagen auf dem Tahrir-Platz hören konnte, wurde während der Gezi-Ereignisse auch von den Kemalisten verwendet, die auf einen militärischen Umsturz der Erdogan-Regierung gehofft hatten.

Nach dem Putsch ist vor dem Putsch

Wenn die Armee einmal putscht, kann sie immer wieder putschen. Sowas wie eine demokratisch legitimierte militärische Intervention kann es nicht geben. Das weiß auch das ägyptische Militär und hob deshalb als erstes die Verfassung auf. In dieser verfassungsfreien Periode kann die Armee quasi nach Lust und Laune gegen ihre politischen GegnerInnen vorgehen. Die UNO zeigt sich besorgt über die Verhaftungen von Muslimbrüdern.

Auf der Halbinsel Sinai kam es bereits zu ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Armee und den Islamisten. Die Wegsperrung der Anführer der Muslimbrüder wird die Situation nicht besänftigen. Der Putsch ist weder sanft, noch blutlos. Er wird viele Opfer fordern. Das größte Opfer ist die ägyptische Demokratie.