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Daniela Derntl

Diggin' Diversity

14. 4. 2013 - 10:00

Baustelle Parlament

Über 1000 Einzelschäden warten auf die millionenschwere Renovierung. Spätestens 2016 soll es soweit sein.

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Baustelle Parlament
Über 1000 Einzelschäden warten auf die millionenschwere Renovierung.

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Die Frage, wie weit Schein und Sein auseinanderdriften können, stellt sich nicht nur bei manchen österreichischen Politikern, sondern auch in deren zentraler Wirkungsstätte. Das Parlament auf der Wiener Ringstraße ist ein Baujuwel, unter dessen marmorweißer Oberfläche es ordentlich knirscht, bröckelt und schimmelt.

Das wichtigste Gebäude der Republik ist baufällig und dringendst sanierungsbedürftig. Seit Jahren hält ein Team aus Architekten, Technikern und Bauarbeitern das Hohe Haus mit kleinteiligen Sofortmaßnahmen zusammen. Wie passend, dass die goldumrankte Wächterin des Hauses, Pallas Athene, nicht nur die Göttin der Weisheit, sondern auch die des Handwerks und der Handarbeit ist.

Parlament

Christian Hikade

Spätestens 2016 muss die Generalsanierung in Angriff genommen werden, denn dann laufen die behördlichen Übergangsfristen aus. Danach muss das Haus modernen Sicherheitsrichtlinien inklusive beleuchteter Fluchtwege, Feuerschutztüren usw. entsprechen, anderenfalls droht die Sperre durch die Baupolizei.

Unter der Oberfläche

Die 100.000 Besucher, die jährlich das Parlament besichtigen, müssen schon ganz genau schauen, um etwaige Wasserschäden oder andere Mängel zu bemerken. Doch hinter den prunkvoll vertäfelten Wänden der Repräsentationsräume, am morschen Holz-Dachboden und im Keller schaut es gar nicht so gut aus, erzählt mir der Architekt Hermann Schnell, der für die Sanierung des Hauses zuständig ist: Die gesamte, teilweise 100 Jahre alte Gebäudetechnik wie z.B. Wasserleitungen und Elektronik gehören komplett erneuert und viele Bauteile müssen renoviert werden. Vor allem die thermische Situation ist problematisch, denn das Dach ist nicht isoliert, was einen massiven Energieverbrauch zur Folge hat. Dadurch, dass das Dach keine Dämmung hat, sickert auch Tauwasser ungehindert ins Mauerwerk und verursacht zusammen mit lecken Kupferrohren Wasserschäden.

Alle Fotos stammen aus dem Jahr 2009. Auf der Homepage des Parlaments gibt es mehr Sanierungsfälle zu sehen!

Parlament

Mike Ranz

Wasserschaden am Dachstuhl
Parlament

Mike Ranz

Offene Elektroleitungen

Das Glasdach über dem Nationalrats-Sitzungssaal wurde renoviert, nachdem es 2009 schon hineingeregnet hat.

1874 wurde mit dem Bau des Theophil-Hansen-Entwurfs begonnen, die letzte umfassende Renovierung fand in den fünfziger Jahren statt, als die Schäden, die der zweite Weltkrieg hinterlassen hat, eher schlecht als recht beseitigt wurden. Diese Renovierungsmängel bereiten Hermann Schnell und seinem Team unter anderem die größten Probleme, denn die schnelle und billige Aufbauarbeit der Nachkriegsjahre ist von minderer Qualität als die Gebäudesubstanz von 1874.

Kosten

Die Renovierung soll drei Jahre dauern und laut Architekt Herman Schnell über 300 Millionen Euro kosten. Das Wiener Büro Frank & Partner hat in einer Machbarkeitsstudie vergangenes Jahr einen Gesamtkostenrahmen von 400 Millionen Euro geschätzt, der Rechnungshof kommt auf 528 Millionen Euro und die FPÖ spricht gar von 540 Millionen Euro.

Die Opposition sieht die Renovierung naturgemäß kritisch: FPÖ und BZÖ sind gegen eine kostspielige Generalsanierung ihres Arbeitsplatzes und geben sich mit einer Teilsanierung zufrieden.

Das gesamte Projekt wird vom Rechnungshof und von der Antikorruptionsorganisation Transparency International begleitend kontrolliert.

Parlament

Mike Ranz

Mauerschaden und Feuchtigkeitsflecken

Hohes Haus auf Herbergssuche

Architekt Hermann Schnell will im Interview keines der möglichen Ausweichquartiere nennen, doch schon seit längerem kursieren Gerüchte, dass das Gebäude der WU Wien als Ersatz-Parlament dienen könnte. 2016 ist die Übersiedlung der WU von ihrem momentanen Standort Spittelau in den Wiener Prater bereits abgeschlossen.

Kein Stadthallen-Dilemma

In Wien sind Renovierungen wichtiger Gebäude ein heikles Thema. Man denke nur an den Umbau des Wiener Stadthallen-Bades, wo mehr zerstört als repariert wurde. Bei der Parlaments-Renovierung wird so etwas nicht passieren, ist sich Architekt Schnell sicher:

"Weil wir einen sehr sorgfältigen Gebäude-Scan haben. Das heißt, wir sind mit den verschiedenen Fachleuten der technischen Disziplinen durchs Haus gegangen und haben praktisch jeden Zentimeter untersuchen lassen. Von der chemischen Substanz der Steine und Verputze angefangen bis hin über die Denkmalbedeutung und Statik. Das ist auch der Grund, warum unsere Vorbereitungszeit relativ lange dauert."

Parlament

Mike Ranz

Schaden auf dem Parlamentsdach

Stärkung der Demokratie

Von einer Renovierung profitiert aber nicht nur das Gebäude an sich mit seinen rund 1000 Beschäftigten und politischen VertreterInnen, sondern auch seine Symbolfunktion. Die Demokratie soll dadurch eine Stärkung und einen Vertrauenszuwachs in der Bevölkerung erfahren. Zumindest war das beim Reichstag in Deutschland und anderen renovierten Hohen Häusern in Europa der Fall, erzählt mir Hermann Schnell:

"Aus Sanierungen geht die Marke Parlament gestärkt hervor: höhere Besucherzahlen und ein größeres Interesse und Begeisterung für die Demokratie."

Vielleicht sollte man deshalb schon lieber morgen als erst 2016 mit der Renovierung beginnen!

Ein Report über "Das kaputte Symbol" vom 29. 3. 2011