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Michael Fiedler

Politik und Spiele, Kultur und Gegenöffentlichkeit.

9. 4. 2013 - 06:00

Die FM4 Wahltage: Verhältniswahlrecht

Wir spielen Nationalratswahl. Fünf Songs kämpfen um den Einzug ins Musikprogramm. Und vermutlich wird keiner alleine regieren. Deine Stimme ist gefragt.

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Was verändert meine Stimme? Welches Wahlsystem funktoniert wie? Wir stimmen ab, eine ganze Woche lang:

Das ganze Programm im Überblick

Wir schauen uns diese Woche verschiedene politische Systeme zur Entscheidungsfindung an und probieren sie auch aus. Heute geht es los mit dem Verhältniswahlrecht. Mit dem wird etwa der Österreichische Nationalrat beschickt. Mehrere Parteien stellen sich der Wahl und anhand des Verhältnisses der Stimmen, die die einzelnen Parteien bekommen haben, werden Sitze (etwa im Nationalrat) verteilt.

Und so funktionierts

Fünf Songs (aka Parteien) stehen zur Auswahl, ihr entscheidet euch für den euch sympathischsten, den wohlklingensten oder den mit der besten Botschaft. Warum ihr euch für das Lied entscheidet, spielt ja letztlich keine Rolle - warum ihr eine Partei gewählt habt, ist ja letztlich auch egal: Es zählt nur die Stimme.

Wahlschluss ist 18 Uhr. Dann wird ausgezählt und um 19 Uhr spielen wir in der Homebase die Lieder entsprechend ihres Wahlergebnisses an. Wenn Lied A 50 Prozent der Stimmen bekommen hat, wird es exakt bis zur Hälfte gespielt, Lied B mit 20 Prozent der Stimmen zu einem Fünftel und so weiter. Das ist dann vielleicht unbefriedigend, weil kein Lied ganz gespielt wird, aber ihr könnt ja die Wahlkampfplattform Forum nutzen, um Stimmung für "euer" Lied zu machen. Und: Songs mit weniger als 10 Prozent der Stimmen fliegen raus.

radio fm4

Eine solche Hürde, eine Sperrklausel, ist im Verhältniswahlrecht üblich. Sie soll verhindern, dass zu viele Parteien den Einzug ins Parlament schaffen und Koalitionen schwierig bis unmöglich werden. Unter anderem das Fehlen einer Sperrklausel hat in Italien Ende des vergangenen Jahrhunderts zu Koalitionen mit mehr Parteien geführt, als in Österreich überhaupt im Nationalrat gesessen sind. (Dass das trotz oder wegen mehrfach geändertem Wahlrecht heute ganz ähnlich ist, ist eine andere Geschichte.)

Experiment: Verhältniswahlrecht

Natürlich hat diese Abstimmung recht wenig mit einer echten Nationalratswahl zu tun, es gibt kein WählerInnenverzeichnis und keine Wahlkreise, keinen Wahlkampf (außer ihr macht ihn!), keine Überhangsmandate, keine bzw. ausschließlich Vorzugsstimmen, Mehrfachabstimmungen sind möglich und ihr braucht auch keinen Ausweis. Aber darum geht es auch nicht: Das ist ein Spiel und es geht um eure Beteiligung.

Wenn wir davon ausgehen, dass mehr als ein Lied die Hürde überspringt, wird der Mix, der da herauskommt, nicht unbedingt wohlklingend. Für AnhängerInnen einzelner Lieder wäre es natürlich am Besten, ihr Lied könnte ganz für sich alleine stehen. Taktische Stimmen für das zweitliebste Lied, auf das sich alle mehr oder weniger einigen können, sind natürlich möglich und können dem zum Sieg verhelfen. Wenn sich eine Gruppe fanatischer Fans zusammenfindet, können die vielleicht sogar eine Regentschaft ohne Opposition erreichen. Oder es bilden sich Koalitionen aus Fans, die für Lieder stimmen, die ganz gut zusammenpassen. Das Rennen ist offen - und wir sind gespannt.

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Das Ergebnis

Nachdem Gustav und Deichkind mit unter 10 Prozent der Stimmen den Einzug in den Musikmix verfehlen, schaut die prozentuelle Verteilung der Stimmen so aus:

Interpret: Titel Prozent
Beastie Boys - Sabotage 42,23%
Blur - Song 2 39,04%
Soap & Skin - Voyage, Voyage 18,72%

Damit sind 18,9 Prozent der Stimmen verloren. Sie haben trotz gültiger Stimme keine Vertretung im Musikmix.

Die Länge des Mixes, also so etwas wie die maximale Anzahl der zu vergebenden Sitze im Nationalrat, bestimmen wir über den längsten der angetretenen Songs, das ist Soap & Skin mit 3:55 Minuten. Daraus ergibt sich eine Spielzeit von 2,35 Sekunden pro Prozentpunkt. Das macht 1:39,24 Minuten für Sabotage, 1:31,74 Minuten für Song 2 und 0:43,95 Sekunden für Voyage, Voyage. Sieben Hunderstelsekunden gehen durch Abrunden verloren.

Die Analyse

Die beiden alten Großparteien Blur und Beastie Boys sind über alle Maßen erfolgreich. Sie hängen nicht nur alle anderen KonkurrentInnen um wenigstens 16 Prozent der Stimmen ab, sondern können sich gemeinsam eine satte Zweidrittelmehrheit sichern.

Die sozialkritische Gustav und die Populisten von Deichkind schaffen es nicht in den Nationalrat. Dabei hat sich Deichkind gerade unter den jüngeren Wählerschichten große Hoffnungen gemacht und steht jetzt vor den Trümmern ihres Schaffens. Doch die Partei hat sich schon einmal neu erfunden und die nächsten Tage und ein möglicher Führungswechsel werden zeigen, ob das noch einmal möglich ist.

Im Vergleich dazu durchaus beachtlich ist der Erfolg Soap & Skins: Das Programm wird von KritikerInnen als Abklatsch französischer Politik der 1980er-Jahre geschmäht, von wohlmeinenden BeobachterInnen als anspruchsvolle Neuinterpretation bereits erfolgreicher Politik gelobt. Eines fällt aber auf: Alt ist das neue Neu. Die erfolgreichen Parteien bzw. ihre Grundlagen stammen aus einer Zeit vor der Jahrtausendwende, frische Impulse bringt hier höchstens Soap & Skin mit, die aber wenig mitzusingen hat. Überraschend ist doch die hohe Wahlbeteiligung von 610 Personen, was für eine Abstimmung über 12 Stunden beachtlich ist. Natürlich stört da die fehlende Zahl der Wahlberechtigten, aber ihrer politischen Verantwortung waren sich die Wählerinnen und Wähler bewusst: Es gab keine einzige ungültige Stimme!