Erstellt am: 8. 11. 2012 - 12:14 Uhr
Vlog#14 Ein Blick zurück
- Viennale-Tagebuch fm4.orf.at/viennale
- viennale.orf.at
Eine der Nebenwirkungen von 15 Jahren Hurch-Herrschaft über die Viennale-Filmauswahl ist, dass jeder eine Meinung über ihn hat. Und so wie "Der Sound im Gasometer ist schlecht" und "In der U1 stinkt's" gehört es in Wien ein bisschen dazu, die Augen zu rollen, wenn sein Name fällt. Wirklich wenige können ihr Augenrollen aber auch in Worte fassen, A. ist so einer, der kann das. Der kennt die Viennale seit vielen Jahren, der kennt vor allem auch den Ablauf und die Ausrichtung vieler anderer Filmfestvals und hat Einblicke in die Welt der Filmdistribution. Als wir dieses Jahr mal einen gemeinsamen Blick in den Katalog werfen, hör ich ihn seufzen, kurz darauf raucht's ihm aus den Ohren. Er deutet auf die Jörg Buttgereit-Schau und meint, das sei typisch für die Viennale, blutiges, gruseliges und brutales Genrekino in eine eigens kuratierte Reihe zu stecken, aber niemals ins "normale" Programm zu lassen. Das Körperkino als Fremdkörper im Festivalkorpus.
fox
Kunst und Kommerz
Übrigens: "Drive" wäre letztes Jahr auf der Viennale fast nicht gelaufen, wie Hurch hier im Interview erzählt. Wegen der Liftszene. Hurchs Ansicht über Gewalt im Film erklärt auch die vielen Auslassungen der Viennale ganz gut.
Die Kritik an der Viennaleausrichtung, der Tendenz zum Kunstkino und dem Auslassen des Genrekinos, gibt es schon lange. Hurch gibt in Interviews zu, dass dem Genrekino nicht seine ganze Leidenschaft gilt und er sich schwer tun würde, gutes Genrekino zu finden. Da steckt auch schon der Stolperstein. Hans Hurch zeigt nur, was er gut findet das macht ihn zu einem Festivaldirektor der eine gewisse Kompromisslosgkeit und Sturheit mit einer Leidenschaft für seinen Kinobegriff kombiniert. Nun kann dieser Kinobegriff nicht alle Strömungen, neuen Ideen und Wandlungen umfassen; die Viennale ist ein großes Filmraumschiff, das für zwei Wochen in Wien landet, mit Leerstellen und manchmal auch blinden Flecken, die Viennale ist auch ein Gütesiegel, dem das Publikum vertraut. Selbst der Überraschungsfilm ist dieses Jahr beinahe ausverkauft. Filme, die keinen Verleih haben, Experimental- und Avantgardefilme, sie finden im Rahmen der Viennale wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit und Publikum, als losgelöst vom Festivaltrubel mit Gratiskeksi.
filmladen
No more mumblecore
Ich hatte beim Weltkino (was für ein Wort!) immer Vertrauen in Hurchs Filmauswahl; dem Bild, das die Viennale vom amerikanischen Independent Kino zeichnet, hab ich hingegen immer ein bisschen misstraut. Da würde ich gern mehr sehen, als das Beharren auf dem Begriff, der independent mit Wackelbildern und improvisierten Dialogen gleichsetzt. Die Duplass-Brüder und David Gordon Green haben als Regisseure begonnen, die man dem Mumblecore zurechnete und die sich dann in völlig andere Gefilde begeben haben. Diese beiden Namen stehen hier nur als Platzhalter bzw. Symbol für eine Bewegung im amerikanischen Kino. Dass da etwas zwischen Mumblecore-Nachwehen und Mainstream-Kino existiert, ignoriert die Viennale weitgehend (ich weiß eh, "Cyrus" von den Duplass-Brüdern lief 2010).
Sony Pictures
Prägung eines Kinobegriffs
Das Problem ist nicht, dass Hans Hurch Direktor der Viennale ist, das Problem ist, dass er es seit 15 Jahren ist, meint A wieder. Ihm geht es, wie den meisten Kritikern der langen Amtszeit, die im Juni bis 2016 verlängert wurde, nicht darum, die Filmselektion anzuzweifeln, sondern darum, dass eine Variante von Kinoverständnis diese Stadt und ihre Filmfestivalbesucher seit so langer Zeit prägt, dass sich dieser Begriff von Film einnistet und verwurzelt. Und die Viennale steht häufig für ein Kino, das sich an den Kopf wendet. Das hat nichts mit einem intellektuellenfeindlichen Arschtritt in Richtung Kunstkino zu tun, sondern mit (m)einem Wunsch nach Kino, das einen durchbeutelt, ohne den Kopf dabei zu ignorieren. Christian Fuchs postet vor ein paar Tagen ein Samuel Fuller Zitat, das ich mir manchmal als Untertitel der Viennale wünsche. "Film is like a battleground. there's love, hate, action, violence, death... in one word: emotion."
polyfilm
Hulk bitte kommen
Am gleichen Tag schreib ich krakelig im dunklen Kinosaal in mein Notizheft, dass ich mir von den Viennalefilmen manchmal wünsche, dass sie weniger Butler Alfred und mehr Hulk sind. Manchmal möcht man der Viennale einen Schubs geben, auf dass sie den Pop ein bisschen mehr lieben lernt. Der filmische Hulk, der dieses Jahr die Leute enthusiasmiert hat, scheint "Searching for Sugarman" zu sein. Musikdokutechnisch, schrieb Martin Pieper vor ein paar Jahren, ist die Viennale immer mehr "Uncut" als "De:Bug"; damit wird dieses Jahr ein bisschen gebrochen. Da bei Film- und Musikdokus sehr oft das was weit über das wie gestellt wird, hätte sich hier schon früher eine Öffnung ergeben können. Wenn man formal nicht aufregende Dokus zulässt, dann kann man zumindest hier genretechnisch großzügiger sein. Wo ist "Something from nothing - the art of rap", von dem so viele schwärmen. Aber viel wichtiger, wann kommt Joseph Gordon Levitt und macht mit dem Gartenbaukino-Publikum seine part film screening/part filmmaking/part live performance extravaganza namens "HitRECord at the Movies with Joseph Gordon-Levitt" (man wird ja wohl noch fantasie-kuratieren dürfen).
InterNTNL_Lyn
Die fehlende Komödie
Als bei "Room 237" (ich wünsche mir ja von der Viennale noch mehr Filme über Filme, übers Filmemachen und über Filmemacher) manchmal der ganze Kinosaal zu lachen scheint, fällt mir auch wieder ein, was mich an der Viennale immer irritiert, die oft völlige Auslassung der Komödie. Dabei ist der Moment, wenn man in einem dunklen Saal sitzt und gleichzeitig mit mehreren Menschen lacht, von denen man keine Ahnung hat, wer sie sind, so einer der Momente, die das Kino für mich ausmachen. Die das Kino als Ort mitdefinieren, denn das lässt sich Zuhause nicht reproduzieren. Überhaupt, die Sache mit dem Zuhause reproduzieren: Spätestens seit dem Moment, als ich dem Mann, der selbstgebrannte DVDs im Cafehaus verkauft ein "Sie töten das Kino" entgegensetze, nerve ich regelmäßig Leute, die mir erzählen, dass sie die Filme, die grad im Kino laufen, eh alle daheim runtergeladen haben.
Highland Park Classics
Das Kino als Ort
Juche: Die Fritz Lang Retrospektive im Filmmuseum läuft noch bis 29. November.
Ich will nicht päpstlicher als der österreichische Verein für Anti-Piraterie der Film- und Videobranche wirken, aber ich versteh's nicht. Und da geht es nicht um Nostalgie (und um die geht's bei mir oft, das geb ich zu) oder an etwas Festhaltenwollen, das längst überholt ist. Wenn ich an etwas glaube, dann tatsächlich an das Kino als einen Ort. Der einen verschluckt, wo keine Vorstellung der anderen gleicht. Wenn ich an "The Incredibles" im Burgkino denke, dann auch an die 200 quietschenden und lachenden Kleinkinder, die man zur Pressevorführung eingeladen hat. Bei "Twilight" sitzen hinter mir fünf Mädchen, die bei jeder Jacob-Sichtung zu kichern beginnen, nach "A Single Man" schenkt mir eine ältere Dame zwei Taschentücher, als wir völlig verheult das Filmcasino verlassen.
Constantin Film
Die Viennale und zahlreiche andere Filmfestivals ziehen ihren Reiz auch davon, weil sie einen dran erinnern, was das Kino als Ort bedeutet. Wer also den Viennale-Katalog durchblättert und sich dann im Torrentwald ein Programm zusammenpflückt, muss zumindest aushalten, dass ich dann wieder ein "Du tötest das Kino" auspacke". Ergänzt durch den Hinweis mich dann bitte nicht mal empört zu einem etwaigen Protest-Flashmob einzuladen, falls mal eines dieser Kinos zusperren muss.
Meine V'12-Lieblinge:
Die Viennale schafft es, in vielen Menschen für fast zwei Wochen gebündelten Film-Enthusiasmus auszulösen. Im Mantel steckt stets der am Schluss völlig zerknitterte Übersichtsplan mit nicht mehr lesbaren Notizen. Man ernährt sich von Kaffee (und dem herrlichen Filmmuseums-Käsetoast). Manche nehmen sich frei, manche schaufeln ihre Arbeit um, um am Vormittag im Kino sein zu können, andere verlassen immer wieder mit wahnsinnig schlechtem Gewissen eine Arbeit für die Uni, die schon längst fertig sein sollte, um im Kino zu sein. All das erleb ich bei meinen Freunden.
polyfilm
Was hab ich versäumt?
Die Ausgezeichneten beim Wiener Filmpreis gibt es auf www.viennale.at nachzulesen
Nach einem Rundmail, das ich ausgeschickt hab, um ein bisschen über meinen Viennale-Tellerrand zu blicken, bemerke ich, dass ich wohl einiges verpasst hab. Ich bewundere das Vorhaben von S., nur Filme zu gehen, die keinen Verleih in Österreich haben. S. meint für Momente wie nach "Jai Bhim Comrade", wenn nach drei Stunden im Kino um Mitternacht noch eine spannende Diskussion im Kino stattfindet, dann liebt sie die Viennale. I. empfhielt "Meine keine Familie", weil nicht nur Konzept und Dramaturgie hervorragend sind (und das sagt die I. nicht nur so, die ist in diesen Sachen Expertin und geht nicht mit Superlativen hausieren) und weil ein Kapitel tabuisierter österreichischer Geschichte aufgebarbeitet wird. Dieser Film wurde dann gestern auch mit dem Wiener Filmpreis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet. "Augustine" hat Eindruck hinterlassen, ebenso wie "Oh yeah she performs". C. meint letzterer wäre u.a. so super, weil man musik machen in all seinen fantastischen und todlangweiligen facetten sieht. Ich hab also einiges nachzuholen. Die Viennale aber auch.