Erstellt am: 7. 11. 2012 - 10:59 Uhr
Vlog#13 Mississippi Goddam!
Jetzt hab ich doch noch Tränen, am vorletzten Tag der Viennale, das war knapp. Aber Matthew Gordons "The Dynamiter" schafft, was alle anderen amerikanischen independent Filme der letzten zwei Wochen nicht annähernd geschafft haben: Er zieht mich in seinen Bann. Und rührt mich. Kinder im Süden der USA fasst somit diese beiden Lieblingsfilme der diesjährigen Viennale ganz gut zusammen: "Beasts of the Southern Wild" und "The Dynamiter".
Robbie und Fess
- Viennale-Tagebuch fm4.orf.at/viennale
- viennale.orf.at
In einer schwebend schönen Eröffnungssequenz sehen wir Robbie (William Ruffin) und Fess (John Alex Nunnery) auf Feldern spielen. Mit selbst zugespitzten Lanzen auf riesige Strohballen schießen, Robbie, der ältere, erzählt dem Kleinen Witze. Wie in "Beasts of the Southern Wild" sind die Kinder auf sich alleine gestellt. Hushpuppys Vater war krank, die Oma, bei der Robbie und Fez leben, ist steinalt und spricht kein Wort, scheint freundlich zu sein, doch von Beginn an ist klar, dass Robbie versucht, die abwesenden Eltern für seinen Halbbruder Fess zu ersetzen.
elysium films
Eventuelle kindliche Unschuld, die zum enthusiastisch-verspielten Pathos von Mumford & Sons zu Beginn die Leinwand ausfüllt, wird schnell abgelöst von einem Alltag, in dem für Kindheit nicht viel Platz ist. Robbie stiehlt für Fess ein Taschenmesser aus einem Spind in der Schule, weil der Kleine seines verloren hat und steckt später Prügel von bessergestellten, Pololeiberl tragenden Klassenkollegen ein. Mit kindlichem Ausdruck im Gesicht und muskulösen Oberarmen verkörpert - im wahrsten Sinne des Wortes - William Ruffin perfekt diesen Robbie, zwischen adoleszentem Troublemaker und verantwortungsvoller Bezugsperson für den kleinen Fess.
elysium films
An trostlosen Szenarien hat der amerikanische independent Film einen Narren gefressen und weidet sich nun schon seit Jahren an Suburbia-Tristesse und einem Alltag, in dem nicht mal mehr im Traum Platz und Glauben für den amerikanischen Traum ist. Auch das hier ist kein Ort der unbegrenzten Möglichkeiten. Der dicke Sheriff verlangt von Robbie und Fess sogar einen Dollar, den sie im Sumpf gefunden haben und ins Wasser zurückwerfen. Weil der wurde eventuell von jemandem ins Wasser geworfen, der sich etwas gewünscht hatte, das dann nicht in Erfüllung geht, wenn die Münze aus dem Wasser geholt wird. Robbies Münzen landen nicht im Wunsch-Sumpf, sondern im Cola-Automaten, seinen Traum, dass seine Familie doch noch mal zusammenfindet, hat er aufgegeben. Grandios zeichnet "The Dynamiter" die Beziehung zwischen den beiden Brüdern, dem dauermampfenden Fess und dem Verantwortung übernehmenden Robbie.
elysium films
Hoffnungslosigkeit zu inszenieren ist einfach. Matthew Gordon gelingt das Platzieren von Hoffnungsschimmern in seiner Geschichte, ohne Schönfärberei oder märchenhaften Versprechen vom Happy End. Von lyrischer Schönheit sind die Bilder von Robbie und Fess, die in den Wäldern und auf Feldern spielen, von Dickens'scher Romanhelden-Manier das, was Robbies Entscheidungen für die Zukunft betrifft. Und dann fließen im letzten Viennale-Film für mich dann doch noch Tränen, während die Frau neben mir leise schnarcht. Morgen dann ein Blick zurück auf die 50. Viennale: was hat gefehlt, wo flossen Tränen, wo wurde geschnarcht?