Erstellt am: 11. 11. 2010 - 13:53 Uhr
Die Machbarkeit des Körpers
Theoretischen Unterbau zu diesem Beitrag gibt's z.B. hier als kostenloses pdf.
Nach der Arbeit im Büro begeben wir uns in die Parks und Fitnesscenter und lassen der Arbeit für Lohn die Arbeit am Körper folgen. Konsequent schinden wir unsere Körper, weil wir uns davon körperliches und geistiges Wohlbefinden versprechen. Hinter diesem Schlagwort aus der Werbung verbirgt sich aber vor allem der Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung, die nur gesunden, schlanken und fitten Körpern gilt. Wer seinen Körper nicht unter Kontrolle hat, droht als faul, stillos oder überflüssig zu gelten und weil das niemand will, passen wir uns an die Idealvorstellung des Körpers an.
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Individualisierung...
Body Issues - Spezialwoche auf FM4
- Eine Portion Infos zum Thema "Essen" (Barbara Köppel)
- Schönheitsnormen und Selbstmanagement (Irmi Wutscher)
- Die Geschichte der Fitnessstudios (Mari Lang)
- Schöner Arbeiten (Johanna Jaufer)
- Blade, fade, alte Modebloggerinnen (Gerlinde Lang)
- Die Machbarkeit des Körpers (Simon Welebil)
Geschuldet ist das Ganze einer Individualisierung der sozialen Verhältnisse, einer Transformierung gesellschaftlicher Risiken vom Staat zum Individuum. Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Armut wurden in die Verantwortung des Einzelnen übergeben: Wenn du krank oder arbeitslos wirst, wenn du zu wenig verdienst und sogar wenn du keine Beziehung oder keine Kinder hast, dann bist du selbst daran schuld.
Diese Mahnung entfaltet in der bürgerlichen Mittelschicht, in der soziale Abstiegsängste weit verbreitet sind, eine besondere Wirkung, die sich in der Sorge um den eigenen Körper niederschlägt: Der Körper wird zum Besitz, der gepflegt, modelliert und verbessert werden muss. Dass der Körper- und Gesundheitskult einen Stil der Lässigkeit und eine Rhetorik des Lustgewinns adaptiert hat, verhilft ihm auch zur Akzeptanz.
... und Flexibilität
Anpassbarkeit an alle möglichen Arbeitssituationen ist die zentrale Anforderung der Gesellschaft an unsere Körper. Sie dürfen nicht mehr starr und unbeweglich, sondern müssen so flexibel sein, dass sie mit jeder Wendung des Schicksals fertig werden können. Dass es davon einige gibt, zeigt sich unter anderem in unseren gebrochenen Erwerbsbiographien. Das ganze Leben lang in einem Unternehmen dieselbe Tätigkeit auszuführen ist im modernen Arbeitsmarkt passé.
Das Fitnesscenter steht symptomatisch für die Indvidualisierung und Flexibilisierung des Körpers. Waren die Fitnesscenter am Anfang eine Domäne der Männer, die "Body building" betrieben, also sogar begrifflich ihre Körper formten, wenn auch nur in eine Richtung - größer - sind heute sowohl BesucherInnen, als auch Trainingsziele heterogen.
Am deutlichsten tritt die Flexibilisierung aber an den Maschinen hervor, an denen wir einzelne Muskelpartien, und nicht den ganzen Körper trainieren. Die Beinpresse forciert den Quadrizeps und das Hüftpendel den Gluteus maximus, den Hintern. Darin zeigt sich die zielgenaue Modellierung unseres Körpers. Wir streben nach Selbstverbesserung und wollen passgenaue Körper, um an bestimmten Dingen, vor allem im Arbeits- und Beziehungsmarkt partizipieren zu können. Mit unserem Körper zeigen wir, dass wir anstellungswürdig sind, bereit Leistung zu bringen.
Die Zukunft ist heute
Im Fitnesscenter wirken Maschinen nur äußerlich auf unsere Körper ein, in anderen Bereichen beginnt der Mensch schon mit der Technik zu verschmelzen, etwa in der Prothesentechnik. Solche Prothesen müssen dabei nicht unbedingt auffallen, wie künstliche Gelenke, Herzschrittmacher oder Cochleaimplantate beweisen. Technische Geräte übernehmen die Aufgaben verlorener bzw. fehlender Organe oder Gliedmaßen, und erleichtern so die Integration behinderter Menschen in die Leistungsgesellschaft.
EPA
Manche Prothesen sind inzwischen sogar funktionaler als organische Körperteile geworden. Die Karbonprothesen des beinamputierten Paralympics-Sprintsieger Oscar Pistorius (10,91 auf 100m!) sind hierfür das beste Beispiel. Lange wurde diskutiert, ob Pistorius an den olympischen Sommerspielen in Peking teilnehmen dürfe, oder ob ihm seine Prothesen einen unerlaubten Vorteil gegenüber "normalen" Sprintern bringen würden.
Wie weit sich die Verschmelzung von Technik und Mensch auch auf "gesunde" Körper ausdehnt, wird die Zukunft zeigen, vorstellbar ist es jedenfalls.
Am Donnerstag in FM4 Connected
In der Theorie ist der Körper zu einer formbaren Masse geworden, und zahlreiche Beispiele belegen das. Inwiefern der einzelne Mensch jetzt aber wirklich seinen Körper formt und welche Art von Training dafür geeignet ist, darum geht es heute auch in FM4 Connected: Der staatlich geprüfte Fitnesstrainer Darius Tomaszewski ist von 16 Uhr bis 17 Uhr zu Gast und spricht über Fitnessmythen wie "no pain, no gain" und dass nur durch Ausdauertraining Fett verbrannt wird.
Ihr könnt mitdiskutieren und Fragen stellen: 0800/226 996