Erstellt am: 10. 11. 2010 - 10:30 Uhr
Schöner Arbeiten
Campus Verlag
"Schönheit als Praxis - Über klassen- und geschlechtsspezifische Körperlichkeit" von Otto Penz ist im Campus Verlag erschienen.
Schönheit habe klassenspezifischen Charakter, heißt es in der aktuellen Studie des Soziologen Otto Penz. Man rasiert, glättet und lackiert also, was "standesgemäß" und "der sozialen Position entsprechend" erscheint. So weit, so ehschowissen. Wenn man den Allerweltsmodus beibehält und die tonangebenden Wirtschaftskonzepte der letzten Jahre in den Blick nimmt, könnte der Eindruck entstehen, dass ein "schlanker Staat" automatisch schlanke Körper produziert. Dass die neoliberale Privatisierungsformel nicht nur den Wettbewerb unter Dienstleistern antreibt, sondern auch BürgerInnen die Ellbogen spitzt, die sich zwecks Selbstvermarktung und Renditejagd dann am Laufband schinden.
Stimmt nicht ganz, findet der Experte. Otto Penz kann keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen neoliberaler Politik und fitten Körpern ausmachen. Zwar gäbe es zuletzt viel mehr Selbständige und freie Berufstätige, die die eigene Persönlichkeit zu Markte tragen (müssen), um zu verdienen - dazu gehört natürlich auch irgendwo der eigene Körper. Fit sein für den Arbeitsbereich müsse man aber bereits das gesamte zwanzigste Jahrhundert hindurch.
Während des ökonomischen Aufschwungs der Fünfziger Jahre passierte eine "umfängliche Ästhetisierung des Alltags" - plötzlich spielten alle Klassen mit im Schönheitsspiel. Später entdeckt die Schönheitsindustrie die Marktlücke Mann und mittlerweile hat die "Ästhetisierung der Körper noch nie dagewesene Ausmaße erreicht".
More of the same
Auf der Frauenseite setzt sich die traditionelle Fixierung auf Schönheit und Schönheitshandeln zu einem guten Teil fort, ist Otto Penz überzeugt. Demnach sei Attraktivität auch in jenen Berufssektoren, wo Frauen sehr präsent sind, besonders gefragt - etwa im Bereich von Verkauf und Einzelhandel. Doch ist das weibliche Geschlecht natürlich keine homogene Gruppe: Für solche mit guter Bildung und der Ressource "berufliche Kompetenz" spiele Schönheit eine untergeordnetere Rolle.
Die grundsätzliche, größte Veränderung der letzten Jahre sieht Otto Penz bei den Männern. Dass sie wesentlich stärker beginnen, ihre Körper zu attraktivieren, verweist für ihn auf eine generelle Veränderung der Geschlechterverhältnisse:
"War es bis in die 70er Jahre so, dass Frauen eine stark sozial abhängige Position vom Mann hatten und insofern der soziale Status und das Einkommen des Mannes eine enorm wichtige Rolle gespielt haben, so hat sich das Richtung stärkerer weiblicher Autonomie verändert. Damit brauchen die Männer auch andere Ressourcen den potentiellen Partnerinnen gegenüber. Ehemalige wichtige soziale Qualitäten verlieren an Bedeutung (wie eben die soziale Position des Mannes, Einkommen des Mannes usw.) und Männer beginnen mehr, auch auf die Attraktivierung des Körpers zu setzen."
Angebot und Nachfrage
Insgesamt seien Frauen natürlich von keinerlei Schönheitsdiktat entbunden, bloß, weil sich Männer jetzt auch um ihre Körper kümmern (müssen). Nicht zuletzt mit immer neuen Techniken und Methoden zur Schönheitspflege steige die Verantwortlichkeit, sich herzurichten, denn: "Man kann mittlerweile alles an der Oberfläche umgestalten und es schaut immer noch ganz natürlich aus."
Body Issues
Body Issues - Spezialwoche auf FM4
- Mahlzeit: Eine Portion Infos zum Thema "Essen" (Barbara Köppel)
- Körper zwischen Schönheitsnormen und Selbstmanagement (Irmi Wutscher)
- Die Geschichte der Fitnessstudios (Mari Lang)
- Schöner Arbeiten (Johanna Jaufer)
- Das Radio-Programm im Detail
Eine Woche lang widmen wir uns auf FM4 in Reportagen, ExpertInnengesprächen und Diskussionen mit HörerInnen den verschiedenen Aspekten aktueller Körperpolitiken. Heute, am Mittwoch, zu hören:
Diskriminierung dicker Menschen
Dickleibigkeit ist heute ein gesellschaftliches No-Go – und das bekommen dicke Menschen in vielen Lebensbereichen schmerzhaft zu spüren. Einige Fluglinien wollen, dass dicke Flugpassagiere mehr zahlen als „normalgewichtige“, viele Dicke machen diskriminierende Erfahrungen bei ÄrztInnen, dicke Menschen haben Nachteile bei der Partnersuche, oft haben sie es auch schwerer, einen Job zu bekommen. Sarah Seekircher hat mit Betroffenen gesprochen.
Fat Activism
Der Mitte des 20. Jahrhunderts aufkommende Schlankheits- und Anti-Dickleibigkeitswahn führte dazu, dass sich Ende der 1960er Jahre in den USA eine Gegenbewegung formierte. Sie wird unter Begriffen wie „Fat Activism“, „Fat Acceptance“ oder „Fat Rights“ zusammengefasst. Mittlerweile besteht diese Bewegung aus vielen unterschiedlichen Gruppierungen und AktivistInnen: die bis heute existierende NAAFA, also die erste offizielle Organisation des Fat Acceptance Movements; Marilyn Wann, eine der prominentesten Fat Activists in den USA; oder die ARGE Dicke Weiber, der erste Ableger des Fat Acceptance Movements in Österreich. Eine Zusammenschau von Sarah Seekircher.
Vanity Sizing
Wer hat nicht schon einmal in einer Umkleidekabine geschwitzt und geflucht? Über Kleidergrößen bekommen wir Körpernormierungen alle recht konkret zu spüren. Die Kleidungsindustrie hat aber schon ein Gegenmittel gegen den Umkleidefrust erfunden: Vanity Sizing – Eva Brunner findet heraus, was hinter diesem geheimnisvollen Namen steckt.
Studiogast: Micky Klemsch
Micky Klemsch versucht gerade sich zu halbieren, sprich von 203 Kilo auf 99 Kilo abzunehmen. Im Studio spricht er mit uns über Körpernormen und wie er sie am eigenen Leib zu spüren bekommt.
In Connected (15-19) mit Robert Zikmund
Schöner arbeiten
Ökonomie und Schönheitspraktiken sind dicht verwoben. Was hat ökonomische Unabhängigkeit mit rasierten Männerbeinen zu tun? Welche Job description ermutigt zur Nagelpflege? Der Soziologe Otto Penz im Interview. (Johanna Jaufer)
No Body is perfect
Ob man sich ein Muttermal entfernen lässt, weil es die Optik stört, oder sich die Beine brechen lässt, damit sie um 5cm länger werden – um der Vorstellung des perfekten Körpers zu entsprechen nimmt manch eine(r ) viel auf sich. Sowohl die Vorstellungen von Perfektion als auch die Methoden um dieselbe zu erlangen, unterliegen dabei abhängig von geschichtlichem und sozialem Umfeld einem ständigen Wandel. (Conny Lee)
ProfiteurInnen des unerreichbaren Idealkörpers
Der schlanke, fitte Körper ist das gesellschaftliche Status Symbol schlechthin, an dem ganze Industriezweige hängen. Während die Gesellschaft immer dicker wird, setzt uns die Werbung immer dünnere Menschen vor Augen. Noch nie zuvor war die Abweichungen zwischen Realität und Ideal so gravierend wie jetzt. Daniela Derntl hat mit der Wiener Frauengesundheitsbeauftragten Beate Wimmer-Puchinger über die Diskrepanz zwischen reellen Körperformen und medial vermittelten Körpernormen gesprochen.
In der Homebase (19-22) mit Kristian Davidek