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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

21. 8. 2010 - 19:47

Melissa, Judith und die kriminellen Bäckerbuben

Der ewige Tango und schwedische Zweisamkeit paaren sich mit Metal-Melissa, bevor die Helden mit Element Of Crime in die Fetten Brote beißen. Der letzte Tag beim FM4 Frequency.

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Das FM4 Frequency Festival Gelände ist nicht gerade mit Schattenplätzen gesegnet. Es ist fast so, als könnte man zwischen den Bands das Brutzelgeräusch hören, das die unerbittlichen Sonnenstrahlen auf den nackten, roten Oberkörpern verursachen. Doch viel Zeit für auditive Phantasien bleibt nicht, wenn fünf tätowierte Jungs beginnen, auf der kleineren Bühne ihren ewigen Rocktango zu tanzen.

Hätte mich gestern jemand gefragt, wo Düdelingen liegt, wäre ich wohl eine Antwort schuldig geblieben. Aber jetzt weiß ich, dass es sich um eine der 116 Gemeinden im Großherzogtum Lichtenstein handelt. Von dort kommt nämlich das Quintett Eternal Tango, das dieses Jahr mit 'Welcome To The Golden City' ihr mittlerweile drittes Album vorlegt. Die Band erlebt derzeit ein ziemliches Hoch, da sie ihre Helden Bad Religion, die am ersten Tag hier zu sehen waren, auf ausgedehnteer Deutschlandtour supporten dürfen. Völlig zurecht, wenn man sich ihre Live-Show trotz stechender Hitze in voller Dröhnung gibt. Präzise und recht professionell brettern die fünf Luxemburger drauf los. Schließlich hatten sie in ihrer achtjährigen Bandgeschichte genug Zeit, sich an ihren Punk- und Rockeinflüssen abzuarbeiten, um sie dann mit eingängigen Melodien zu einem Indie-geschwängerten Popsongformat zusammen zu dampfen. Sänger David Moreira wechselt dabei von shoutendem Sprechgesang in null komma nix zu melodiösen Mitsingrefrains, unterstützt von den restlichen Saiteninstrumentalisten David Schmit, Joe Koener und Tom Gatti, während Pit Romersa sein Schlagzeug bearbeitet. Ein bisschen zu überambitioniert scheinen die großen Gesten, aber nichtsdestotrotz ein dem Wetter enstsprechend guter Anheizer für ihre nachfolgenden Kollegen, die es nicht ganz so heiß mögen.

Wer ist John Ossi?

Während sich die meisten Besucher und Bands darüber freuen, das keine grauen Wolken am Horizont zu sehen sind oder ein unheilvoller, kühler Wind einen bevorstehenden Orkan ankündigt, freuen sich die beiden Schweden Johnossi, wenn der Sommer sich verflüchtigt hat. So kann man in ihrem aktuellen Blog-Eintrag lesen: I'm pretty much longing for cooler days now, iIm sick of the sun. I love the rain. Yesterday, I almost swallowed a bumblebee during a performance on swedish television, I wish I had.

Zum Glück ist Sänger John Engelbert keine Hummel vor den Mund geflogen, denn bei derart energischer Gesangsmimik hätte er sie heute wohl doch verschluckt. Schließlich gilt es hier richtig abzurocken. Gedankt wird es mit einer großen Schar an springenden Fans vor der Bühne, deren Schweiß ihre T-Shirts dunkel werden lässt. Die müde Fraktion, die weit hinten auf dem kleinen Grashügel entspannt, könnte es bei geschlossenen Augen vorkommen, gerade eine vielköpfige Band zu hören. Und doch ist nur Schlagzeuger Oskar „Ossi“ Bonde am vorderen Bühnenrand auf einem Podest und links neben ihm John. Die böllernden Drums klingen wie eine ganze Militär-Marschkapelle und Johns akustische Gitarre, deren Korpus abgeklebt ist, wird derart verzerrt und durch verschiedenste Effekte gejagt, das sich ein ganzes Meer aus Riffs und Melodielinien sich über das Publikum ergießt. Doch ein Octaver, der aus einer Gitarre gleich mehrere macht, macht noch keine guten Songs. Johnossis Kraft liegt in der perfekten Abstimmung Johns Gesanglinien und Akkordfolgen, dem simultanen Spiel von Stimme und kreischendem Solo und natürlich dem tighten Zusammenspiel mit den teils brachialen, teils disco-mäßigen und manchmal sogar swingenden Rhythmen.

Mit schwarzen Anzüge auf weißer Haut rocken sich Johnossi durch den Augenblick. Da werden im Überschwang von Glücksgefühlen den Fans Kusshände zugeworfen und eine Liebeserklärung ins Mikrophon gesprochen, jeder Ton mit freudigem Tanz auf der Bühne zelebriert oder mit schwitzendem Gesicht bei den langsameren Refrains innegehalten, um das Publikum übernehmen zu lassen. Der Funke ist eindeutig übergesprungen. Dazu brauchte es nicht einmal die lustige, Föhn-ähnliche Laserpistole, aus der beim Abschlußsong 'Roscoe' die lustigsten Geräusche abgefeuert wurden.

In the name of power and music

Sechs Jahre ist es her, daß Melissa Auf Der Maur ihr Solo-Debüt 'Auf Der Maur' veröffentlicht hat. Natürlich brachten ihr die frühere Anstellung als Bassistin von Hole und der Live-Ausflug mit den Smashing Pumpkins kurz vor deren Trennung gewisse Vorschußlorbeeren ein. Trotzdem war es für die Kanadierin nicht allzu leicht, schließlich versuchte sie sich nicht nur vom ausgelatschten Indie-Pfad fern zu halten, sondern stand damals auch zum ersten Mal hinter dem Mikrophon. Nun meldet sich die charismatische Sängerin und Bassistin mit 'Out of Our Minds' zurück, einem von der Songlänge her recht epischem Werk, daß von schweren Gitarrenriffs, schleppenden Schlagzeugrhythen und reduziertem Bass dominiert wird.

So präsentiert sich Melissa auch live klassisch rockend. Es wird gemosht, dass die Locken fliegen. Erst jetzt verstehe ich, warum Melissa Auf der Maur gerne zu Metal-Festivals geladen wird. Sie versteht es gut, die Heavy Gemeinde mit ihrem Charisma in Bann zu ziehen und serviert ihnen dann auf kühle Art krachige Gitarrenwände und walzt gerne mal sechsminütige Instrumentalstücke aus. Das Ganze kommt nicht ohne Witz daher, denn Melissa hosted seit kurzem auch einen Video-Blog, in dem ihr Blick auf die Metal-Heads doch recht belustigend ausfällt.

Und so darf auch heute kein Rock Klischee ausgelassen werden. Von der synchronen Haarschwingerei über die hymnenhaften Mitsing-Refrains bis zum Black Sabbath-Zitat ist alles drinnen, was nicht nur Heavy ist, sondern auch rolled. Im guten alten Sinne, versteht sich.

Ein Wohnzimmer im Stadion

Ich kann mich noch an eine Show von den Helden in Wiesen erinnern, bei der wir Judith gebeten haben, mit uns und einem Mikrophon durchs Publikum zu laufen, um ihr Leben zurückzufordern. Ohne jetzt nostalgisch zu werden, heute wäre solch eine Aktion undenkbar. Wir sind Helden sind endgültig ins Stadion umübersiedelt, wobei sie selbst dort uns einen Blick in ihr Wohnzimmer gewähren. Zumindest schaut die Bühnendekoration so aus, mit den seltsam altmodischen Lampen, die von der Eisenverstrebung hängen. Mit etwas Verzögerung beginnen die Helden ihr Konzert und lassen einiges von ihrem neuen Album ‚Bring mich nach Hause‘ hören. Zwischen recht ruhig und duchwachsen und sich in schönen Soundlärm steigernd reicht die Bandbreite der neuen Helden, wobei alles recht geschliffen und abgerundet klingt. Hab ich mich getäuscht oder hatte ihr Denkmal früher noch schärfere Kanten und Ecken?

Selbst wenn man nur wollen muss, ist es schwer, sich nach einer derartig steilen Erfolgskurve nicht zu weit vom Ursprungspfad abzukommen. Selbst die alten Stücke werden für jedes Stadion breit genug gemacht, Polas Schlagzeug klingt wie von CD und die von Judith selbst erwähnte Vermehrung (auf der Bühne, nicht im privaten) zu einer sechsköpfigen Band wirkt sich zwangsläufig auf die Dynamik aus. Wie ein steter Fluß treiben die Helden über unsere Köpfe hinweg, die - wenn sie nur hoch genug springen - in den Popstrudel kurz eintauchen können. Erst wenn es '5 vor 12' schlägt, packt man Banjo und Ziehharmonika aus und überrascht mit einer witzigen "Holofernes & Sons" Stimmung die in einem abrupten Endschlag auf die Zwölf endet.

Dazwischen fügt sich 'Nur ein Wort' sehr perfekt wie ein Kinderpuzzle in die Setlist ein, wobei man eine interessante, gegenproportionale Reaktion bemerken kann: Desto mehr das Publikum tanzt, umso statischer gibt sich das Sextett, als ob das Stadionkorsett ein bißchen kneifen würde. Einer der Höhepunkte ist 'Guten Tag', in ein glitzerndes NDW Gewand gehüllt. Die Synthies brechen mit dem gleißend weißen Licht durch das Abendrot, auch das Platin-geadelte 'Ist das so' schaut recht frech um die Ecke.

Doch so schnell und glatt wie alles angefangen hat, ist es dann auch schon wieder vorbei, als die Helden recht überstürzt die Bühne aufgrund des strikten Zeitplans verlassen müssen. In vielen Köpfen werden jetzt die von Judith verkündeten Daten der Österreichisch Live-Shows widerhallen, wenn dann auch schon das neue Album verinnerlicht wurde.