Erstellt am: 22. 8. 2010 - 00:56 Uhr
Fette Romantik
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Während ich etwas verspätet hinter der Bühne hervorstürme glaub ich fast, mich täuscht mein Gehör. Element Of Crime klingen wie eine druckvolle Indie-Rockband, dabei habe ich mit der Band von Sven Regener stets die schrullige und betrunkene Hafenromantik in Verbindung gebracht.
Doch was uns das deutsche Quintett hier vor dicht gedrängter Bühne darbietet, hat mehr Energie als so manche tote Hose. Zwar ist der Lautstärkepegel nicht annähenrnd so hoch wie bei Billy, dessen Talent die Elements locker aus den Ärmeln ihrer abgetragenen Jacken schütteln können, jedoch bringt uns der großartige Geschichtenerzähler mit Reibeisen statt Stimmbändern sofort zum Zuhören, wenn er am Ende immer nur an Dich denkt. Wenn Sven Regener seinen Kopf aus dem Fenster streckt, dann sieht er jene Bilder, die er mit seiner lyrischen Ader auf großer Leindwand mit Worten nachzeichnet. Und an dieser Stelle gesellt sich dann doch die schunkeligen Matrosen mit gebrochenen Herzen vor die Bühne.
Immer wieder reißt Sven mit breitem Grinsen die Arme in die Höhe und ruft ein schelmisches "Romantik!" in die angenehm kühle Nacht hinaus. Und auch wenn die gewohnte Traurigkeit bei "Im Himmel ist kein Platz mehr für uns zwei" von textlicher Resignation noch unterstrichen wird, so verschüttet keiner hier eine Träne. Denn der alte Mann mit der E-Gitarre umarmt uns zährtlich mit seinen tragischen Geschichten, dass kein Platz für Selbstmitleid bleibt. Ausserdem wissen wir ja: Wer als erster von weindenden Wolken spricht, verliert!
Ganz kalt erwischen mich Element Of Crime, als sie pöltzlich ganz tief in ihren Repertoire-Koffer greifen und einen Song ihrer englischen Platte 'Try To Be Mensch' herausholen, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört habe. Gerade 'Don't You Smile' lässt mir kalte Schauer über Rücken und Arme rennen. Ein Song, der gerade in der Adoleszenz wie Balsam für die Seele ist. Mit dem anschließenden 'Death Kills' setzt die Band noch einen emotionalen Gang zu, wobei auffällt, dass alle auf der Bühne jeden Ton zu genießen scheinen. Das Wort "erhaben" schießt mir duch den Kopf, ein Wort für das micht Sven wahrscheinlich erschagen würde.
Element Of Crime haben mit diesem Konzertabend mein Herz in ein großes Zimmer verwandelt, in dem wieder genug Platz für sehnsüchtige Geschichten ist und das beim letzten Ton schließlich zur Landungsbrücke für Schiffbrüchige der Liebe geworden ist. Und wenn Sven Regener zum letzten Mal seine Trompete der Schwermut gegen den Nachthimmel richtet, dann braucht es nicht mehr viel, um den Abend mit seinen Worten zu schließen:
Nimm den Fuß von der Bremse, ich muss ins Bett.
Wer nicht geht kommt nie wieder. Wer bleibt ist nie weg.
Hamburg Calling!
Wie ein Mädchenname eine friedliche Menschenmasse zum euphorischen Hexenkessel werden lassen kann, das zeigen uns die Hamburger Sprachakrobaten Fettes Brot. Es genügt nur das Wort 'Emanuela' und schon schwenken unzählige Arme den gewohnten Hip Hop Gruß in Richtung Bühne. Die deftigen Beats führen zum 'Erdbeben', wobei wohl kaum ein anderer Rap die Sozialbausiedlung schöner in seinem Text führt. Doch sind die musikalischen Erschütterungen erst einmal zur Ruhe gekommen, wird auch schon gleich dem vorbeifahrenden Google-View-Wagen mit 'Kontrolle' der Mittelfingerabdruck gezeigt. Und das alles läuft derart geschmeidig, dass man erst nach ein paar Songs auf die vielen Musiker auf der Bühne aufmerksam wird. Denn die Brote haben gleich eine siebenköpfige Groovearmada hinter sich stehen, die mit Gitarre, Posaune, Trompete, Bass, Schlagzeug und Turntables/Sampler einen mächtigen Druck erzeugen.
Die jubelnde Masse turned die Rapper aus Norddeutschland natürlich extrem an, wobei sie im Gegenzug gleich mal von ihrer Liebe zu Bettinas Brüsten erzählen, die derart funkig daher kommt, dass selbst James Brown so seine Freude hätte. Verantwortlich dafür ist übrigens das starke "Nervenkostüm", so der Name der Band, die Dokter Renz, König Boris und Björn Beton den Playback-Rücken freihalten. Und wenn die drei gerade so in Stimmung sind, dann stört sie auch kaum, daß selbst die Silberfische kopfnickend in ihren Betten umherschwimmen.
Fettes Brot kann es natürlich auch multilateral-international mit ihren Konkurrenten aufnehmen. Den Beweis liefern sie mit 'The Grosser', dessen deutsch-mutierten Text selbst Steve Miller zum Hip Hop bekehren könnte. Und wenn wir gerade bei englischsprachigen Legenden sind, dann ist es nur ganz natürlich, der Heimat von The Clash das untergehende Hamburg gegenüber zu stellen. Denn während die Hansestadt von Zombies in Stücke gerissen wird, trällern die Brote 'Hamburg Calling' auf ihrem Elbe-Segeltörn. Natürlich vergessen es die fantastischen Drei nicht, uns zu schmeicheln. Es braucht nicht viel, um für Fettes Brot genial zu sein, nämlich nur schnell im Stand zu hüpfen. Dann ist die Enttäuschung auch nicht so groß, wenn dazu 'Der beste Rapper Deutschands...' erklingt. Aber das Frequency Publikum lässt sich nicht lumpen und wird "lauda lauda laud...", sodass Doktor Renz ganz beeindruckt meint: "Das funktionuckelt heut aber!"
Ein Ständchen für das zehnjährige FM4 Frequency Jubiläum muß dann natürlich auch noch sein, bevor sie ihre obligatorische Frage stellen, wer denn ihre Leute da draußen sind. So laut, wie es ihnen entgegenschallt, können sich Fettes Brot sicher sein: Wir alle sind ihre Leute da draußen, selbst, wenn wir jetzt nach hausegehen.