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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

21. 8. 2010 - 11:48

Crying At The Discotheque

Triumph des Antiheadlinertums beim FM4 Frequency: James Murphy glänzt mit dem LCD Soundsystem in allen Farben. Auch noch: Massive Attack

James Murphy, Kopf von LCD Soundsystem und DFA Records, im Interview mit Philipp L´Heritier über DJ-Künste und die Nicht-Zukunft seiner Band LCD Soundsystem. Livetracks aus seinem Gig vom FM4 Frequency Festival inklusive.
Am Montag, 23. August 2010, in der FM4 Homebase ab 19 Uhr zu hören.

Die sich selbst erfüllende Prophezeiung: Wie kaum anders zu erwarten ist das Konzert des LCD Soundsystems das alles überstrahlende - Achtung! - Ereignis des gesamten Wochenendes. Was hat man noch nicht gehört in den letzten drei, vier Jahren über die Idee LCD Soundsystem? Schon so einiges ist gewusst und gemeint worden über diesen einen der zwei, drei, vier - je nach betrachtetem Gesellschaftsausschnitt und "Szene" - wichtigsten, prägendsten, besten Acts, nein, Musikmenschen, der letzten 10 Jahre, James Murphy. Murphy hat innerhalb eines soundtechnisch bewusst eng gesteckten Rahmens die viel bemühte, heute handelsübliche, anderswo aber hinsichtlich Prägnanz, schlichtem Kick und schnörkelfreier Leichtigkeit selten auf LCD-Niveau erreichte Verschränkung von Disco und Post-Punk-Zitaten, von Rock und Dance quasi im Vorbeigehen etabliert und eine klarerweise auf Vergangenes zurückgreifende, eigene Zeichensprache entwickelt, deren große Stärken nicht zuletzt ihre Überschaubarkeit und Einfachheit sind.

James Murphy im FM4 Interview

Auch wenn Murphy selbst in Interviews immer wieder gerne betont, er sähe sich selbst eher als Techniker und Bastler denn als Musiker - er hat schließlich eine Vergangenheit als Soundengineer für diverse Rockbands in der Biografie stehen - ist von kaum jemanden mit zwei Ohren zu überhören gewesen - und auch nicht ungenügend dokumentiert geblieben -, dass Murphy mittlerweile streckenweise nicht nur bloß "Produzent" sondern auch "Songwriter" geheißen werden darf. Dieses Jahr ist Murphy 40 Jahre alt geworden, immer öfter kreisen seine Stücke um das Thema "Home", ums Nachhausekommen und dann im Ohrensessel und mit den guten Pantoffeln auch Zuhausebleiben, ums Älter- und auch schon ein bisschen Altwerden. Auch in dieser Koppelung einer Klangästhetik, die aus dem Gestern schöpfend so ungemein now und zukunftsweisend daherkommt, mit den Themen Vernünftigwerden und Häuslichkeit, die in anderen Zusammenhängen sicherlich als miefig verstanden werden dürfen, liegt der spröde Glanz von Murphys Musik.

james murphy von lcd soundsystem

Dominique Hammer

Wie man es vielleicht schon munkeln gehört hat, macht James Murphy jetzt ernst mit der Halbpension und schickt nach drei großartigen Alben das LCD Soundsystem in den Ruhestand. Er möchte mehr Zeit haben fürs Plattenauflegen, für das von ihm mitbegründete Label DFA - dem besten Label der letzten 10 Jahre - und, ja, mehr Zeit für die Familie. Musik wird er weiterhin machen, andere Musiker produzieren, zwischendurch dann doch wieder eine 12" rausschießen, vielleicht unter anderem Namen, vielleicht dann und wann doch wieder als LCD Soundsystem. Der groß angelegten Business-Abläufe des Alben-Produzierens und der schwerfällig agierenden Touring-Maschine einer richtigen Rockband - bei aller, ausdrücklich formulierten Liebe für die anderen Bandmitglieder - aber ist Murphy müde geworden. Weshalb der erste und also vermutlich letzte Auftritt des LCD Soundsystems in Österreich nicht nur Gelegenheit ist, eine ohnehin sehr gute Band live zu sehen, sondern auch das seltene Spektakel, große Künstler gerade noch dabei zu erleben, das Schwierige zu meistern: Rechtzeitig, im Zenith der Schaffenskraft aufzuhören.

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Das Set-Up auf der Bühne ist fantastisch. Trotz hohem Instrumenteaufkommen die Anti-These zu großem Rockstartum. Erwartungsgemäß hohe Drum- und Percussiondichte, analoge Snythesizer-Gerätschaft, im Aufbau gleichberechtigt organisiert. Die aktuelle mal sechs-, mal siebenköpfige Besetzung des LCD Soundsystems ist so etwas wie ein All-Star-Line-Up: Neben der unschlagbaren Nancy Whang - auch of The Juan MacLean Fame - und Drummer Pat Mahoney, Murphys DJ-Partner, die beide eigentlich schon als Fixmitglieder bezeichnet werden können, werken da noch beipielsweise David Scott Stone, der die Melvins und Unwound im Lebenslauf stehen hat, oder der große Tasten-Wizard Gavin Russom, von dem man sich ungehört eigentlich alle Platten zulegen kann. Die Lichtshow ist karg, hoch oben thront die Disco-Kugel.

Den Anfang des Sets macht "Us vs. Them" vom Jahrzehntalbum "Sound Of Silver", das wie so viele LCD-Stücke in erster Linie von einem wie von Neu! abgehörten Motorik-Drumbeat lebt, danach kann man hören, dass das Stück "Drunk Girls", eines der schlechtesten Stücke des LCD Soundsystem, vermutlich ausschließlich zu dem Zweck geschrieben worden ist, um auf Festivals die Crowd durchzuschütteln. Die Crowd, die ist angesichts der Tatsache, dass wir es hier mit dem Auftritt des Semi-Headliners auf der großen Bühne zu tun haben, eher mager vertreten.

Die Setlist ist großartig, um die Länge von Aufmerksamkeitsspannen wissend, wechselt die Band die längeren, mäandernden Stücke mehr oder weniger mit den prägnanten, eher auf Radiohit gedrillten Nummern ab: "Get Innocuous", die neuen Stücke "I Can Change" und "Pow Pow", auf der anderen Seite "Movement", "Tribulations" und, ja, "Daft Punk Is Playing At My House". Im Zentrum schwebt das gleißende, klaviergetriebene "All My Friends", der beste Song des Jahrzehnts. James Murphy ist höflicher Bandleader und Master of Ceremony, stellt die Bandmitglieder vor, winkt ins Publikum und ist das Gegenteil von Grandezza.

In der Verwebung einer vagen Melancholie mit aufgekratzter Disco-Freude findet sich nicht selten der größte Triumph von guter Tanzmusik, James Murphy und seine Kollegen sind unangestrengte Meister in Präzision, Technik, unranschmeißerischer Kumpelhaftigkeit, Resignation und unbedingtem Partywillen, Humor und Herzensangelegenheit. Das unmögliche Stück "Yeah", ebenfalls eines der besten Stücke Murphys, läutet die letzte Viertelstunde des Konzerts ein, und als dann die Band in die letzte Nummer, "New York I Love You" - auch wenn man es schon erwartet hat - "Empire State Of Mind" von Jay-Z und Alicia Keys integriert, dann kann man schon auch vor echt verspürter Wonne vibrierenden Menschen dabei zusehen, wie sie die eine oder andere Träne zerdrücken. Ein Festival-Auftritt wie ein intimer Club-Gig, auch auf großer Bühne. Dancefloor der Zukunft, Wehmut von Gestern, es ist ein verwirrendes Leben, verloren in der Musik.

Massive Attack

Das Konzert von Massive Attack gestaltet sich dagegen eher durchwachsen und lebt vor allem von der Energie, zu wissen, hier irgendwie dem Erscheinen einer wichtigen, bedeutsamen, stellenweise wahrhaft sehr guten Band beizuwohnen. Die, ihre Bedeutsamkeit auch ein wenig weihevoll transportieren will. Im Bühnenhintergrund schwirren Nachrichten-Headlines, Zahlen, Daten, Fakten über die LED-Wand – das könnte man mittlerweile vielleicht schon kennen von Massive Attack – im Zentrum des Geschehens steht an der elektronischen Schaltzentrale 3D, von Daddy G ist nur selten etwas zu sehen.

Zu Beginn tropft das Set zähflüssig dahin, düster, mysterienschwanger und für eine Gruppe, die einmal „Triphop“ genannt worden ist, sehr rocklastig, wie sich das ja auch auf späteren Platten der "Band" immer wieder schon abgezeichnet hat. 3Ds Sprechgesang flüstert ziemlich dünn durch die Nacht, einige tatsächlich großartige Momente erwachsen aus der Beteiligung der üblichen Gastsängerinnen und -sänger: Roots-Legende Horace Andy, die famose Martina Topley-Bird beispielweise beim Hit „Teardrop“ und Deborah Miller mit „Safe From Harm“ und dem auf alle Zeiten hinein unzerstörbaren „Unfinished Sympathy“. „Atlas Air“ ist eine sehr gute, weil kantig akzentuierte Schlussnummer, die schön im Gegensatz steht zur bisweilen schon ein wenig zu majestätisch die herandrohende Postapokalypse simulierenden Morast-Elektronik. Neben den höchst angenehm die Pupillen schockenden Visuals, ein Konzert wie die Alben von Massive Attack nach dem ewigen Meilenstein „Blue Lines“ und – in geringerem Maße - auch noch „Protection“: Es kann nicht immer alles sehr gut gehen. Ein bisschen mehr Dub wäre auch schön gewesen und: Wo war „Paradise Circus“?