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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

20. 8. 2010 - 18:08

Kammer-Pop und metaphorisches Konfetti

Freitag FM4 Frequency: Martina Topley-Bird, Asteroids Galaxy Tour. And Miss Platnum, Madsen und die Klaxons.

Ein „Hello!“ verhallt im weiten Festivalareal. Der frühe Nachmittag, die Sonne, das Licht, all das eignet sich vom Konzept her für einen Auftritt von Martina Topley-Bird in ähnlichem Maße nicht besonders wie es das gestern für Peaches getan hat. Ein ziemlich großartiges Konzert kann man aber trotzdem spielen, auch wenn so gut wie gar keiner vor der Bühne steht. Die britische Sängerin Topley-Bird, deren Biografie wohl leider bis in alle Ewigkeiten hinein mit dem Hinweis „Tricky“ versehen bleiben wird, erscheint im rot-feierlichen Abendkleid und ebensolcher Gesichtsbemalung, begleitet von ihrem Drummer und musikalischem Partner Ninja, mit dem sie ihr drittes, bei der englischen weltmusikalischen Fundgrube Honest Jon’s veröffentlichtes Album „Some Place Simple“ eingespielt hat. Filigraner Kammer-Pop mit minimalistischem Instrumentarium: Ein wenig Georgel, Händeklatschen, sachte klappernde Drum-Arbeit und die Stimme von Topley-Bird, damit kommen die meisten der Stücke aus. Topley-Bird loopt ihren Gesang und schichtet ihn zu Klangwänden aus dünnem Glas, Kunstnebel kommt auf, auf der Bühne und in unseren Seelen.

Merkwürdigerweise kommt der tendenziell nachtschwarze Tobak von Topley-Bird nicht mit pathetischer Düster- und Bedeutsamkeit daher, sondern in eleganter Leichtigkeit und erzeugt dabei ein wohlig diffuses Mulmigkeitsgefühl, mit dem man sonst nur durch die „Black Lodge“ schleicht. Auch ganz ohne roten Vorhang. Trotz des geringen Publikumaufkommens werden die Aufforderungen zur Partizipation gerne angenommen: “Do some singing, goddamn!“ sagt Topley-Bird und meint das ganz freundlich. Als sie „Overcome“, einen Song von Trickys Debütalbum „Maxinquaye“ spielt, nennt sie den Namen des Künstlers nicht: „This next song is from the first record I ever sang on.“ Der Song „Overcome“ eine Art Paraphrase zum Song „Karmacoma“ von Massive Attack, dem Headliner des heutigen Tages. Man wird in heute abend später wieder finden. Mit Martina Topley-Bird.

Dass die dänische Gruppe Asteroids Galaxy Tour eine sehr nette Band ist, das hat man dieses Jahr beispielsweise schon beim Springfestival in Graz erleben können. Ein naher Nachbar der Nettigkeit ist bekanntlich aber auch die Belanglosigkeit. Mit ihrer Verwurstung von Soul, Funk samt Bläserbombast, Indiegitarre, Wave-Albernheiten und deftig knisterndem Brausepulver im Geist - komplett auf Partytauglichkeit frisiert - ist die Combo um die durchaus als extravagant zu bezeichnende Sängerin Mette Lindberg immerhin eine schöne Nachmittagsunterhaltung und passende Einstimmung auf den herrlichen Quatsch, der da demnächst in Gestalt einer merkwürdig kostümierten Dame folgen wird. Konfetti rausholen, bitte.

Miss Platnum hat einige Alltagsweisheiten für Festivalbesucher anzubieten: „Man darf nicht zuviel trinken, wenn man nicht genug gegessen hat. Ich habe Euch gutes rumänisches Essen mitgebracht.“ Das Essen meint hier aber nicht tatsächlich kulinarische Spezialitäten, sondern den üppigen Musik-Fleischtopf, den die rumänisch-deutsche Musikerin mit der Vorliebe für grell aufondulierte Outfits aus dem Trend-Shop in der Shopping Mall auf die Bühne stellt. Was vergangenes Jahr Peter Fox war, ist heuer Miss Platnum. Die Idee, Versatzstücke aus HipHop, RnB, Dancehall und Pop in seiner schillerndsten Ausformung mit mächtig donnerndem Blechgebläse und rumänischen Folklore-Elementen zu koppeln, ist so schlicht wie live extrem überzeugend. Miss Platnum versucht sich da immer wieder an den Mustern Xtina, Beyoncé und klarerweise Lady Gaga, lässt aber immer wieder durchblicken, dass sie ganz genau weiß, dass sie all das nicht ist. Da wird kurz Shirley Basseys „Diamonds Are Forever“ angeteaset, um dann in ein goldkettenschwenkende Hymne an das schöne Bling Bling überzugleiten, die genau wie Miss Platnum selbst an der Grenze zwischen ja, ja, zwinker, zwinker, Ironie und der dann schon auch wieder kompletten Ernstmeinung der Klischees balanciert, auch wenn man weiß, das die ganze HipHop-Pose schon auch ein bisschen doof ist. „Pon De Floor“ von Major Lazer, der sichere Garant für jeden DJ, der so richtig den Dancefloor zerlegen will, wird in einen Song integriert, komplette Ekstase, auf Platte vernachlässigbar, live sehr gut, und „manchmal muss man auch eine Ansage machen“, weiß Platnum: „Ladies, wenn eine Bitch Euren Typen stehlen will, dann muss man sagen: "Go, bitch, go!“

Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein. Aber wirklich dringend. Die Boys von der Rockband Madsen sind sicher ganz nette Burschen. Mit denen kann man ein Bier trinken gehen und ihnen die Probleme mit dem Liebesquatsch erklären. Die Band um die drei Brüder Madsen aus Niedersachsen macht allgemeinverständliche Befindlichkeitsmusik, die den kleinsten gemeinsamen Nenner sehr weit unten hält. Es geht um die Liebe, das Begehren, die ganz großen Gefühle, das FÜHLEN und den ganzen Schmerz, gegen die Poesie von Madsen möchte man die Spür-Lyrik von Tomte als subtil gearbeitetes Kunsthandwerk hochleben lassen. Müssen alle mit. Um jeden Preis will Sänger Johannes Madsen den energetischen, kumpelhaften Frontmann geben, der am Liebsten die ganze Welt knuddeln möchte. Das schon sehr zahlreich erschienene Publikum freut und hadert gemeinsam mit Madsen. Musik, zu der es sich sicherlich exquisit leidend Erwachsenwerden lässt. „Oh-oh-oh, das muss Liebe sein, oh-oh-oh, Willkommen daheim, Oh-Oh-Oh, ein Gefühl, das für immer bleibt.“ Die Toten Hosen spielen aber erst morgen, oder?

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Die englische Band Klaxons hat auch ein bisschen mit einem Missverständnis zu kämpfen. Hipster-Shit, Vorreiter der Blase, die da „Nu Rave“ geheißen worden ist, Glowstick-Sponsorvertrag. Mit all dem Verzerrer-Gebrumm und der Baller-Elektronik, die da beispielweise von Acts wie Boys Noize, Digitalism oder auch aus dem Stall des französischen Labels Ed Banger nach dem Prinzip des höchsten Krawallmachens auch in die seinerzeit ausschließlich Gitarren-affinen Indie-Clubs gespült wird, hat die Band nämlich relativ wenig zu tun. Zwar war sie auch maßgeblich an der Etablierung von der aktuell den Status Quo von „Indie“ stellenden, vor 5, 6 Jahren noch als irgendwie bemerkenswert einzustufenden Verschmelzung von Gitarre und Elektronik beteiligt, vielmehr als an nach einfachstem Schema im Punk-Modus polterndem Beat-Gewitter sind die Klaxons aber an der Erschaffung einer experimentellen Rockmusik interessiert. Die Klaxons sind eine Prog-Rock-Band im Anfangsstadium, die ihre Musikgeschichte gelernt hat. Was man auf dem demnächst erscheinenden zweiten Album „Surfing The Void“ deutlicher nachhören kann als noch auf dem Debüt. Live werden also freilich einige neue Stücke gegeben, die aktuelle Single „Echoes“ beispielsweise, die vergleichsweise nach dem Muster „Hit“ gestrickt ist. Anderswo ist verstärktes Interesse an Krautrock und Psychedelik spürbar. Wer die Klaxons vielleicht schon das eine oder andere Mal live in einem kleinen Club scheitern sehen hat, darf sich wundern wie die Band die große Bühne zuvorkommend-souverän in der Hand hat. Hits, „Golden Skans“, „It’s Not Over Yet“, „Gravity’s Rainbow“ und Noch-Nicht-Hits werden gerne im Leben des Publikums willkommen geheißen. Werden die Klaxons die nächsten Muse? Nein, dazu nehmen sie den Akt des Prätenziös-Seins viel zu wenig ernst. The Kids Are Coming Up From Behind.