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Andreas Grünewald

"Es gibt Sachen, die sind so falsch, dass nicht mal das Gegenteil wahr ist."

15. 12. 2009 - 11:00

Klimapolitik und globale Gerechtigkeit

Unter dem Motto Climate Justice wird seit Monaten gegen den Gipfel mobilisert. Doch was meint der Begriff eigentlich?

Plakat der Gruppe Action for Climate Justice in San Francisco

Action for Climate Justice West

Plakat von Mobilization for Climate Justice West aus San Francisco

"Dear leaders of the world", ist auf der offiziellen Homepage des Kopenhagen-Gipfels zu lesen, "save the planet and do agreement." Mal abgesehen von der Frage, ob die dänischen GastgeberInnen bei der Aktion Climate Greetings ähnlich vorgehen wie österreischische Boulvardmedien beim Zustandekommen ihrer Leserbriefe, sagt dieser Satz einiges aus über das Selbstverständnis des Gipfels sowie der globalen Klimapolitik im allgemeinen. Da wird zum einen suggeriert, der Klimawandel sei ein globales Umweltproblem, das "unseren" Planeten bedroht. Zum anderen wird davon ausgeganen, dass die Staats- und Regierungschefs ein für alle zufriedenstellendes und gerechtes Abkommen entwickeln können. Gegen diese Sichweisen machen in Kopenhagen zahlreiche Organisationen unter dem Motto Climate Justice mobil.

Ein globales Klima?

Die "Wir sitzen alle in einem Boot"-Rhetorik, die den Klimadiskurs über weite Strecken prägt, verdeckt eine Reihe von Ungleichheiten, die die Klimapolitik durchziehen. Da wäre zum ersten die Schuldfrage zu nennen: Während die Nordländer diese Thematik eher unter den Teppich kehren, fordern die Südländer immer wieder ein, dass die Industriestaaten ihre historische Verantwortung für den Klimawandel eingestehen. Als Entschädigung erwarten die Schwellen- und Entwicklungsländer finanzielle Unterstützungen bei Anpassungsprogrammen und technischen Entwicklungen.

Plakat: System Change not Climate Change

Climate Justice Network

Ein zweiter Punkt betrifft die unterschiedliche Betroffenheit von Ländern und Regionen. Viele BewohnerInnen flacher Inseln und Küstenregionen (wie Bangladesh) erleben den Klimawandel als Existenzbedrohung. Länder rund um die Sahara droht ein Verlust von weiteren Wasserressourcen und landwirtschaftlichen Anbauflächen. Auf der anderen Seite freut man sich in Teilen Rußlands auf die Vergrößerung potentieller Nutzflächen, in Grönland ist gar eine gewisse Euphorie im Hinblick auf die Möglichkeiten entstanden, die die Erderwärmung für eine Nutzung der Ressourcen auf der Insel ermöglicht. Unterschiedliche Betroffenheit hat aber nicht nur mit regionalen Unterschieden zu tun, sondern auch mit sozialen und beruflichen. So profitieren BetreiberInnen von Freischwimmbädern in Österreich vielleicht langfristig vom Klimawandel, während SkiliftbetreiberInnen ordenlich ins Schwitzen kommen. Der Klimawandel allein kann soziale Probleme und Notlagen nie erklären, seine Wirkung entfaltet sich immer nur im Zusammenwirken mit anderen Faktoren wie gesellschaftlichem Stand, sozialer Integration etc.

Ein dritter wesentlicher Unterschied betrifft die Ressourcen, die den einzelnen Ländern bei der Klimapolitik und für Anpassungsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Die Niederlande und der San Francisco Bay, beide von dem prognostizierten Meeresspiegelansteig stark betroffen, können ganz anders agieren als etwa Bangladesh, das bei einem Meeresspiegelanstieg von 50 Zentimeter ein Viertel seiner Fläche zu verlieren droht. Zugleich haben ärmere Länder auch weniger Möglichkeiten, sich in die internationale Klimadiskurse und Verhandlungen effektiv einzuklinken. In der Wissenschaft dominieren nördliche Institutionen und ihre Sichtweisen, bei den Verhandlungen weisen die nördlichen Delegationen eine auch phyische Übermacht auf. Werden viele ärmere Länder zu den Verhandlungen oft nur einige wenige Personen entsenden (können), warten Industriestaaten jeweils mit bis zu 100 Delegierten auf. Die Verhandlungen sind also - auch abseits der Schuld- und Betroffenheitsfrage - höchst aysmetrisch.

Aufruf zu Protestveranstaltungen in Kopenhagen

Klima!Bewegungsnetzwerk

Gerechte Lösungen für alle?

Bestehende Ungleichheiten zwischen und innerhalb der Staaten werden durch die aktuelle Ausrichtung der Klimapolitik eher verstärkt denn verringert. Aus dem Süden kommt der Vorwurf, dass Maßnahmen wie der Clean DevelopmentMechanism, die im übrigen von der Weltbank kofinanziert werden, einem modernen Ablasshandel gleichkommt. Anstatt ihr ressourcenintensives Wirtschaftssystem umzustellen, kaufen sich die Industrieländer mit einigen Entwicklungs- und Umweltschutzprojekten im Süden frei, so der Vorwurf.

Profiteur dieses Systems ist jedoch nicht nur der globale Norden, sondern auch Akteur/innen des Südens, allerdings beschränkt auf einen exklusiven Kreis: Indien, China, Südkorea und Brasilien streifen 90% aller CDM-Projekte ein, in diesen Ländern selbst werden in der Regel Großprojekte gefördert. Dass diese Projekte oft weder dem Klima, noch der lokalen Bevölkerung zugute kommen, legt Carbon Trade Watch in unzähligen Fallstudien detailliert dar. Während sich Regierungen und Unternehmer über den leichten Geldfluss aus dem Norden freuen, um Großprojekte wie Biomassekraftwerke oder Staudämme zu errichten, ist deren soziale oder ökologische Nachhaltigkeit oft höchst fragwürdig. Immer wieder kommt es zu Protesten lokaler Bevölkerung, die durch die Großprojekte ihren Lebensraum bedroht sehen.

Zwei kurze Filme über die REDD-Programme in Indonesien aus Sicht der betroffenen BewohnerInnen finden sich hier.

Ähnliches gilt auch für das Programm Reduced Emissions from Deforestation and Forest Degradation (REDD). Durch den Schutz von Wäldern, die als wichtige CO2-Senken gelten, erhalten Regierungen des Südens Geld aus internationalen Klimatöpfen oder von Industrieunternehmen aus dem Norden.

Palakat zu den Demos in Kopenhagen

Climate Justice Network

Aufruf zu den Protesten in Kopenhagen

Dadurch verlieren jedoch die lokalen BewohnerInnen jegliches Recht der Ressourcenentnahme und Mitsprache in den jeweiligen Regionen. Soziale Konflikte verlaufen in der Klimapolitik also nicht nur zwischen den Staaten, sondern auch quer zu ihnen.

Anpassung vs Climate Justice

Blind gegenüber sozialen Komponenten sind auch die meisten Anpassungsstrategien im Rahmen der Klimapolitik. Anstatt zu fragen, wer aus welchen Gründen besonders stark vom Klimawandel betroffen ist, wird der Klimawandel als globales Problem definiert, bei dessen Lösung die Industriestaaten die Führungsrolle zu übernehmen haben. Dadurch kommt es zur Fortschreibung von Abhängigkeitsverhältnissen und herrschaftlichen Problemdefinitionen.

In vielen Ländern des Südens wird der Klimawandel - entgegen dem globalen Diskurs - nicht als das primäre Problem erlebt, sondern als Verschärfung von bereits vorhandenen Problemen und Konflikten in bezug auf Land, Wasser oder andere Ressourcen. Dass die Verwüstungen in Afrika mindestens so viel mit einer falschen Agrarpolitik und Strukturanpassungsprogrammen zu tun hat wie mit der globalen Erwärmung, oder die Auswirkungen des Hurrican Kathrinas in New Orleans mehr mit rassistischer Politik und fehlender sozialer Absicherung zusammenhängen als mit dem Klimawandel, für solch "komplexe" Zusammenhänge ist in naturwissenschaftlichen, technischen und ökonomistischen Problemdefinitionen und Lösungsstrategien kein Platz.

Gegen die Engführung der Klimaproblematik in Kopenhagen machen hunderte Organisationen seit Monaten mobil. Beim Gipfel selbst wird bei Veranstaltungen und Protesten jeden Tag ein spezifisches Thema aufgegriffen, das mit der Klimaproblematik eng verwoben ist: Landwirtschaft, Migration, Wirtschaft, etc. Beim Klimaforum09 treffen sich WissenschafterInnen und Aktivisten/innen aus der gesamten Welt zum gegenseitigen Austausch und zur Entwicklung alternativer Lösungsansätze. Lauter geht es auf den Straßen Kopenhagens zu, auf denen seit dem 11. Dezember täglich mobil gemacht wird. Am 16. Dezember möchten die Protestierenden gar in das Bella Center, den Veranstaltungsort des Klimagipfels eindringen, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen.

Auch wenn die Agenda der Climate-Justice-Aktivistinnen und Aktivisten bisher nicht auf der Agenda des Gifpels steht, und die Proteste von der Polizei teilweise massiv behindert werden, wird man während und nach dem Gipfel in Kopgenhagen um den Begriff Climate Justice also nicht herumkommen. Eine Möglichkeit für den österreichischen Umweltminister Berlakovich, seine bisherige Auffassung zu dem Begriff nochmals zu überdenken. Vor kurzem meinte er nämlich bei einer Veranstaltung, Klimagerechtigkeit heiße, dass auch der Süden sich nicht vor seiner Verantwortung für den Klimaschutz drücke.