Erstellt am: 7. 12. 2009 - 16:23 Uhr
Techno-Klima
FM4 zum Thema Klimaschutz
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Aufgabe: Wie verringert man den Anteil von Treibhausgasen in der Atmosphäre, ohne unsere ressourcenintensive Lebensweise einzuschränken? Einige Gustostückerln aus der Technikwunderkiste findet ihr hier. Welche Probleme ein technischer Lösungsoptimismus mit sich bringt, werde ich dann anhand der Agrotreibstoffe verdeutlichen.
Cybernature
Nehmen wir an, der Ausstoß von Treibhausgasen lasse sich unter den herrschenden Produktionsbedingungen und Konsummustern nicht verändern. Dann gibt es nur drei Antworten auf die oben gestellte Frage: Entweder man fängt die Treibhausgase direkt bei der Produktion ein (1), steigert die Aufnahmekapazitäten der Umwelt (2) oder manipuliert die Atmosphäre als Ganzes (3). Geoengineering heißt das Zauberwort, ohne dem nach Angaben des IPCC-Chefs Rajendra Pachauri der Kampf gegen den Klimawandel schon verloren sei.
Japan Petrol Exploration
- Die Idee, CO2 und andere Treibhausgase erst gar nicht in die Atmosphäre entweichen zu lassen, ist nicht neu. Ausgeklügelte Filteranalgen sollen die Gase binden, um diese dann unter statt über der Erde zu sammeln (CO2 capture and storage - CCS). Für die Realisierung fehlt es zwar noch an einigen technischen Details, potentielle Lagerstätten hat man aber jedoch schon zu Genüge ausfindig gemacht: neben alten Erdöl- und Kohlelagerstädten soll sich auch die Tiefe der Ozeane, die man mit Hilfe von CO2-Injektionen anreichern möchte, bestens dafür eignen.
- Ein zweiter Lösungsansatz setzt auf die "carrying capacity" der Umwelt, die mit Hilfe technischer Tricks erhöht werden soll. Die Ideen dazu sind schier endlos. Die einfachste Möglichkeit, die Aufnahmekapazität der Erde zu steigern, ist das Pflanzen von Bäumen. Mit Hilfe von genetischer Modifikation will man das Aufnahmepotential der Bäume zudem steigern. Gleiches gilt für die Errichtung riesiger Seetang-Farmen im Meer, die nach erreichter Sättigung selbständig zum Meeresboden sinken. Daneben gibt es Versuche, via synthetischer Biologie neue Organismen mit einer erhöhten Speicher- und Umwandlungskapazität von Treibhausgasen zu erzeugen.
- Doch das Klima kann auch dann stabilisert werden, wenn die Punkte 1 und 2 nicht greifen sollten. Dazu müsste nur die direkte Sonneneinstrahlung auf die Erde reduziert werden. Die Überlegungen reichen hier von Turbinen im Meer, die Salz in die Wolken schleudern und dadurch deren Reflexionspotential bei Sonneneinstrahlung verringern sollen, bis zur Besprühung der Stratosphäre mit feinen Metallpartikeln, die das gleiche Ziel verfolgt.
Biosprit als Rettung?
Sam Beebe/Ecotrust
Von den luftigen Höhen wieder zurück auf die Erde: Neben den genannten Eingriffen in die Natur sehen manche hier alternative Energiequellen als weitere Möglichkeit, den Klimawandel zu stoppen. Dazu zählt etwas das Projekt Desertec, mit dem die EU zukünftig Teile des eigenen Energiebedarfs mit Solaranalgen gigantischen Ausmaßes in der Sahara decken will. Oder die massive Förderung von Agrotreibstoffen, hierzulande auch propagiert als Biosprit. Die EU beschloss im letzten Jahr, herkömmliche Treibstoffe bis 2010 mit 5,75 Prozent Biotreibstoffen zu mischen, 2020 sogar mit 10 Prozent. Da der EU die dafür notwendigen Flächen für den Anbau von Mais, Soja und Zuckerrohr fehlen, ist man auf die Produktion einiger Südländer, insbesondere Brasilien, abhängig.
Das grüne Gold ...
Brasilien ist der weltgrößte Produzent von Biotreibstoffen. 50 Prozent des Treibstoffverbrauchs im eigenen Land basiert auf verarbeitenden Pflanzen, gut 70 Prozent der weltweiten Exporte von "Biotreibstoffen" gehen auf Konto dieses Landes.
Brasilien sieht mit dem Run auf "Biotreibstoffe" eine Möglichkeit, die eigene wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Brasiliens Präsident Lula ist voll des Lobes für den boomenden Wirtschaftszweig: „Lange waren die Großgrundbesitzer die schwarzen Schafe unserer Gesellschaft. Jetzt sind sie zu Helden geworden.“ Allerdings leben diese Helden noch immer auf Kosten breiter Bevölkerungsschichten und einer intakten Umwelt. Denn die Produktion von "Biotreibstoffen" hat verheerende Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt. Die brasilianische Aktivistin Camilla Morena zieht daher den Begriff Agrotreibstoffe der Bezeichnung Biotreibstoffe vor, basiert deren Produktion doch auf den herkömmlichen Methoden der Agroindustrie ihres Landes: Enteignungen, Vertreibung von Landbewohnern, sklavenähnliche Arbeitsbedingungen, Abholzung von Regenwäldern und massiver Kunstdüngereinsatz. Dazu kommt noch ein weiterer verheerender Aspekt: Flächen, die einst zur Nahrungsmittelproduktion verwendet wurden, werden jetzt zur Produktion von Agrotreibstoff umgewidmet, während Brasilien gleichzeitig Weizen zur Versorgung der eigenen Bevölkerung importiert.
... glänzt längst nicht für alle
Was an Agroreibstoff nachhaltig sein soll, ist schwer nachzuvollziehen. Der Staat vertreibt Bauern von ihren Grundstücken, gibt die eigene Nahrungsmittelproduktion für die Produktion von Treibstoff auf, wird dadurch von Weltmarktpreisen für Nahrungsmittel abhängig, die wiederum u.a. aufgrund der massiven Ausweitung der Agrarspritproduktion und Preisspekulationen stark ansteigen und zu weltweiten Nahrungsmittelengpässen und Hunger führen. Während die Produktion riesige Flächen einnimmt, schafft sie wenige Arbeitsplätze, deren Arbeitsbedinungen zudem katastrophal sind. Des weiteren fördert sie die Expansion gentechnisch manipulierter Pflanzen (gegen die Österreich ansonsten so stark auftritt). Zudem ist ein positiver CO2-Effekt von Agrotreibstoffen aufgrund der Abholzung von Regenwäldern und der langen Transportwege kaum nachzuweisen.
Grenzen der Technik
Eine Gemeinsamkeit aller Versuche, die Klimaproblematik allein mit technischen Mitteln zu lösen liegt daran, dass sie am Grundproblem, einer auf ständigem Wachstum und wachsendem Ressourcenverbrauch basierenden Lebensweise, nichts verändern. Damit verfallen die Lösungsvorschläge aber zum einen in den Wahn, Natur unter totale menschliche Kontrolle bringen und beliebig manipulieren zu können, und halten gleichzeitig ungleiche gesellschaftliche Strukturen aufrecht. Das Nord-Süd-Gefälle wird zementiert, indem der globale Süden wieder einmal als billiger Rohstoffliferant für die Industriestaaten herhält, während letztere sich mit neuen Umwelttechnologien im globalen Standortwettbewerb etablieren. Zudem bleiben die sozialen Folgen technischer Lösungen ausgeblendet, wie der Fall der Agrotreibstoffe zeigt. Was der Soziologe Wolfgang Sachs vor 15 Jahren konstatierte, scheint heute aktueller denn je: "Bei näherer Betrachtung erweisen sich die Aufrufe zur Rettung des Planeten häufig als Aufrufe zur Rettung des Industriesystems." Der freie Markt gilt weithin als Kern dieses Industriesystems. Welche Rolle ihm bei der Rettung des Klimas zufallen soll, werde ich im nächsten Beitrag untersuchen.