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Andreas Grünewald

"Es gibt Sachen, die sind so falsch, dass nicht mal das Gegenteil wahr ist."

3. 12. 2009 - 14:31

Nur heiße Luft? Wissenschaft und Klimawandel

Der IPCC liefert die wissenschafliche Basis für die globale Klimapolitik. Doch wie objektiv sind dessen Informationen eigentlich?

Chef des IPCC vor der UNO

United Nations Photo

Rajendra Pachauri, Chef des IPCC, bei einer Rede vor der UNO

2007 schien die Welt dem aufgeklärten Ideal einer Gesellschaft, die ihre Zukunft aufgrund wissenschaftlicher Beobachtungen und Prognosen nachhaltig gestaltet, einen wichtigen Schritt näher zu kommen. Der mittlerweile vierte Berichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) kam zu dem Schluss, dass die Menschheit die Hauptschuld am aktuellen Klimawandel treffe und zeichnete gleichzeitig bedrohliche Zukunftsszenarien mit einer Erderwärmung um prognostizierte zwei bis vier Grad bis Ende des Jahrhunderts. Die Veröffentlichung löste weltweit Entsetzen aus verbunden mit dem politischen Versprechen, in der Klimapolitik nun endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Im Dezember 2007 bekam der IPCC zusammen mit Al Gore den Friedensnobelpreis verliehen: Objektive wissenschaftliche Forschung im Auftrag des Weltfriedens.

Der IPCC betreibt keine eigene wissenschaftliche Forschung, sondern trägt bereits vorhandene Forschungsergebnisse zusammen. Er setzt sich aus drei Working Groups (WG) und einer Joint Task Force zusammen. WG I beschäftigt sich mit naturwissenschaftlichen Analysen des Klimasystems und der Klimaveränderung. WG II untersucht die Vulnerabilität von Ökosystemen und Bevölkerungen bezüglich des Klimawandels und entwickelt mögliche Anpassungsstrategien. WG III untersucht Möglichkeiten, den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern, sowie Zukunftsszenarien zu entwickeln.

Wissenschaft in der Geiselhaft der Politik?

Ganz so unumstritten, wie es auf den ersten Blick scheint, sind der IPCC und seine Arbeit jedoch nicht. Während eine schrumpfende Zahl von Klimaskeptikern behauptet, der vom IPCC diagnostizierte vom Menschen verursachte Klimawandel finde gar nicht statt oder habe zumindest mit menschlichen Eingriffen nichts zu tun, lautet auch der Vorwurf vieler kritischer NGOs, dass die Analysen und Prognosen des IPCC so objektiv und unparteiisch gar nicht seien. Die fehlende Objektivität des IPCC wird dabei meist auf den Einfluss der Politik zurückgeführt.

Der IPCC wurde 1988 von der UNO ins Leben gerufen. Damit kam es zu einer wichtigen Verschiebung: Die relevanten Informationen für die Klimapolitik wurden nicht mehr von unabhängigen, regionalen Forschungseinrichtungen geliefert, sondern von einer Organisation, die eng an die Regierungen gebunden ist. Eine Folge davon: die plurale Forschungslandschaft zu Klimasystem und Klimawandel mit unterschiedlichen Meinungen und Forschungsergebnissen wurde gestreamlined und zwar im Sinne dominanter, westlicher Akteure und deren Interessen. Der direkte Einfluss der Politik zeigt sich nicht nur an der Zusammensetzung des Panels, in dem westliche WissenschafterInnen und damit auch deren Problemwahrnehmungen dominieren, sondern auch an der Art, wie die Endberichte des IPCC zustande kommen. Die Formulierungen des letzten Endberichts seien überwiegend von Regierungsvertretern festgelegt, lautet ein oft gehörter Vorwurf. Dabei sei die Frage der unterschiedlichen Verantwortlichkeit von Industriestaaten und Entwicklungsländern ebenso heruntergespielt, wie Zukunftsszenarien verschönert worden.

Amazonas mit Fluß

leoffreitas

Wer mehr Wald hat, darf auch mehr verschmutzen?

Vorwürfe bezüglich der wissenschaftlichen Redlichkeit der Arbeit des IPCCs kommen immer wieder auch aus der Wissenschaft selbst, etwa nach der Veröffentlichung des Berichts Land Use, Land Use Change and Forestry im Jahr 2000. Darin untersuchte der IPCC die CO2-Lagerungskapazitäten von Bäumen und Böden und kam zu dem Schluss, dass Industriestaaten sich den erhöhten Ausstoß von CO2 mit dem Erhalt von Wäldern und Böden im In- und Ausland gegenrechnen lassen könnten. Sowohl die verwendeten Methoden als auch die lückenhaften Beweisführungen des Berichts weckten viele Bedenken, änderten aber nichts daran, dass die Praxis der sogennanten "CO2-Senken" Eingang in das internationale Vertragswerk fanden.

Was heißt "objektive Klimaforschung"?

Ohne den Einfluss von Regierungen und dominanten politischen Interessen auf die Arbeit des IPCCs negieren zu wollen, ist die Vorstellung einer hehren, objektiven Wissenschaft, die durch politischen Einfluss verunreinigt wird, zu hinterfragen. Wie Beispiele aus den einzelnen Working Groups des IPCC zeigen, liefert wissenschaftliche Forschung auch abseits jedes politischen Einflusses keine objektiven Ergebnisse, sondern betreibt immer schon selektive Ursachenforschung und Zukunftsprognosen.

Rauch aus Fabriken

dmytrok

Nur heiße Luft?

Innerhalb der WG I wird die globale Erderwärmung als Problem der zu hohen Konzentration von CO2 und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre beschrieben. Auch wenn dies keine "falsche" Sichtweise ist, betreiben die WissenschafterInnen dadurch schon eine - meist unbewusste - Engführung der Klimaproblematik. Die Frage der Treibhausgase wird dabei von deren politischen und wirtschaftlichen Umfeld völlig isoliert. Wer, wo, warum, wie viele Treibhausgase produziert, fällt unter den Tisch. Damit bleiben andere mögliche Erklärungen des Klimawandels, wie eine auf Wachstum und intensiver Ausbeutung von Rohstoffen basierende Wirtschaftsform, automatisch außen vor. Bei der Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen geht es daher vor allem um technische Fragen der Emissionsreduktion, und weniger um gesellschaftspolitische Fragen.

Vertrocknete Erdschollen

United Nations Photo

Mehr als nur eine Folge des Klimawandels: die zunehmende Verwüstung von Ackerland

Deutlich wird die sozialwissenschaftliche Blindheit der WissenschafterInnen auch in der Arbeit der WG II, die die Vulnerabilität bestimmter Regionen untersucht. Als unabhängige Variablen dienen dabei neben naturwissenschaftlichen Daten allein makroökonomische Daten wie die Wirtschaftsstruktur oder das Bruttoinlandsprodukt eines Landes. Welche Rolle Armut, soziale Ungleichheit oder Strukturanpassungsprogramme für die Verletzlichkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen im Rahmen des Klimawandels spielen, bleibt dagegen im Dunkeln.

Die Arbeit der WG III treibt die schon genannten Engführungen an die Spitze. Zum einen kommt es in den Prognosen zur Privilegierung einer ökozentristischen Sichtweise: die biophysikalischen Veränderungen (in Form einer Erhöhung von Treibhausgasen in der Atmosphäre) sind innerhalb eines schmalen Schwankungsbereichs gesetzt, die Gesellschaft muss sich diesen Veränderungen dann anpassen. Die Möglichkeit, dass sich Gesellschaft auch unabhängig vom Klimawandel verändert, wird in den Simulationen des IPCC, die nur allzu oft mit Vorhersagen verwechselt werden, nicht berücksichtigt. Die zweite Engführung betrifft die Schwankungsbreiten innerhalb der Zukunftsszenarien. Alle entworfenen Szenarien basieren auf einem westlichen, wirtschaftsliberalen Weltbild, das die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen und die wirtschaftliche Wachstumslogik als unveränderlich voraussetzt. Hier folgt die Wissenschaft der ceteris paribus-Regel: Gesetz die Gesellschaft bleibt die gleiche, wird der Klimawandel so und so stattfinden und diese und jene Veränderungen herbei führen. Die Möglichkeit (oder Notwendigkeit) radikaler gesellschaftlicher Veränderung wird dadurch von vorne herein ausgeschlossen. Andere Meinungen innerhalb und außerhalb des IPCC werden an den Rand gedrängt, Forderungen nach einem radikalen Umbau gelten in der Klimapolitik heute als "politisch unkorrekt".

Was folgt aus der fehlenden Objektivität der Klimaforschung? Sollen wir die Wissenschaft gleich über Board werfen? Das hieße wohl, das Kind mit dem Bad auszuschütten. Wissenschaftliche Analysen und Prognosen waren und sind von immenser Bedeutung, um uns die Folgen unseres Handelns bezüglich der Erderwärmung, dem Anstieg des Meeresspiegels etc. vor Augen zu halten. Allerdings sollten wir Wissenschaft als das begreifen, was sie ist: eine partielle, keine allumfassende Beschreibung und Analyse der Wirklichkeit. Das Beharren auf wissenschaftlicher Objektivität und wissenschaftlich geleiteter Politik, das in der Klimadebatte stattfinden, ist demgegenüber nicht nur falsch, sondern auch undemokratisch: Es verabsolutiert einen partikularen Standpunkt und degradiert andere Akteure/innen wie soziale Bewegungen zu reinen Zuschauern/innen, die von Entscheidungen über die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft ausgeschlossen bleiben. Anstatt eine demokratische Diskussion über mögliche gesellschaftliche Veränderungen in Gang zu setzen, fixiert der wissenschaftliche Diskurs auf technische Lösungen. Diese werde ich mir im nächsten Artikel genauer ansehen.