Erstellt am: 12. 2. 2015 - 17:05 Uhr
Null Porn, null Ironie, null Guilty Pleasure
Eine Stunde habe ich mich in die Schlange von 500 Journalisten gestellt. Manche wurden handgreiflich, andere ausfällig, in der Angst, ihre Submission mit der Verfilmung des (Pseudo)Sadomaso-Schlagers von Autorin E.L. James ihrem Medium gegenüber nicht ausfüllen zu können.
Im Berlinale-Eiltempo, wo man die Chance hat, täglich fünf fünfmal bessere Filme zu sehen, stenografiere ich: "Fifty Shades of Grey" ist so fesselnd wie eine fadgasige Zweierbeziehung an ihrem 50. Hochzeitstag. Hollywood blamiert sich fantasielos familienkompatibles Schmuddel-Genre zum ultimativ kapitalistischen Massenkitzler zu ver(sinn)bildlichen.
Tag 8 auf der Berlinale
In einem Hollywood-Zeitalter, wo jeder junge Schauspieler den Jedermann mit Zehn-Kämpfer-Statur stellt, ist der Sex hoffnungslos vergreist: Zuerst Entjungferung der Literaturstudentin Ana (Dakota Johnson) in Stellung 69. Dann ein bisschen Popo-Klatschen und Probe-Peitschen. (Kein) SM, der an den tradierten Männchen-Weibchen-Stereotypen anstreift. Milliardär Christian Grey - Jamie Dornan so sexy wie ein Klassensprecher - muss den Romance-Fetisch, das in allen Lebenslagen unterlegenen Mittelstand-Mittelmaß-Mädchen aufpeppen. Gähn. Ärger. Null Porn. Null Ironie. Null Guilty Pleasure. Seufz. Ist doch egal.
Berlinale
Siehe auch:
Das Herz und die Peitsche
Ein paar Anmerkungen zu BDSM in Literatur und Film von Sophie Strohmeier
1974 hat der Skandal-Arthouse-Film "Der Nachtportier" Charlotte Rampling zum internationalen Star gemacht. Den werde ich mir nach der Berlinale reinziehen, um die Nullnummer "Fifty Shades of Grey" endgültig in meinem Kopf zu neutralisieren. Rampling spielte eine Ex-KZ-Insassin mit masochistischem Faible für ihren SS-Unterdrücker. Das waren noch beziehungspolitische Entwürfe, die zumindest in der fabelhaften Performance von Rampling im Berlinale-Wettbewerbsfilm "45 Years" wiederkehren. Rampling verkörpert darin mit minimalistischem Gestus die plötzliche und jede kleinste Erschütterung einer langjährigen Ehe, als der Gatte Nachricht über den Tod seiner Ex-Freundin herhält. Der Silberne Bär für die beste Darstellerin bleibt für Charlotte Rampling in Reichweite.
Eigentlich braucht man nur in die Sektion "Panorama" abbiegen, um zu sehen, wie hardcore weit noch Kinodoku und Reality-TV auseinander liegen, wenn es darum geht, über Sexpraktiken ein Gesellschaftsporträt zu zeichnen. Jan Soldats grindig grimmiges Setting "Haftanlage 4614" von einer privaten Haftanstalt für schwule Lust zeigt einen Fetisch-Kammer-Betreiber und seinen Assistenten. Sie erfüllen Kundenfantasien. Der Regisseur kratzt mit Interviewfragen und seinem beobachtenden, trashigen Amateur-Movie-Stil rührend und lächerlich unter der Voyeurs-Oberfläche.
Dane DeHaan – A Star is born…
Dane DeHaan, der bereits in Max Landis Indie-Sci-Fi-Thriller "Chronicle" und zuletzt in "The Amazing Spider-Man 2" auffällig wurde, ist eine Entdeckung in Anton Corbijns neuestem Bio-Picture "Life". Dane DeHaan spielt da nicht Hauptrolle, sondern das Motiv: James Dean. DeHaan ist der intelligente Hot Boy der Berlinale. Lässig auratisch, mit seiner Leichtigkeit beeindruckend in der Darstellung einer Ikone. Bedächtig nachdenklich im Interview.
See-Saw Films
Eigentlich sollte Robert Pattinson im Zentrum des Bio-Abschnitt-Pictures "Life" stehen. Er ist der Fotograf Dennis Stock, der 1955 den Riecher hatte, den Promi-Fotojournalismus mit authentischem Alltag auszustatten: James Dean rauchend im Regen. Stocks Foto "James Dean the haunted Times Square" wurde einer der meist reproduzierten Bilder des 20. Jahrhunderts.
Die Macht der Serie
Im 3. Jahrtausend übervorteilt die TV-Serie mit ihrer innovativen Endlosigkeit auch eine 65 Jahre alte Berlinale, die immer schon das politische Weltkino zu ihrer Kür gemacht hat. Das "Breaking Bad"-Spin-off "Better Call Saul" und sein schmierigen Anwalt-Hauptdarsteller Bob Odenkirk feierten noch vor Netflix in Berlin Deutschland-Premiere – neben 7 anderen Serienvorstellungen. Dass die Macht auf A-Filmfestivals schon längst mit den Serien ist, beweist heuer auch die Zusammensetzung der Internationalen Jury. Unter dem Vorsitz von Darren Aronofsky brütet nämlich auch Serien-Creator Matthew Weiner ("Mad Men") über den besten Film im Wettbewerb. Seine bei uns im Kino nie angelaufene Comedy "You are here" (2012) mit Owen Wilson und Zach Galifianakis, ist an mir vorbeigezogen. Nicht aber "Body" und "El Club", die beide seltsam überraschend Bärenkandidaten sind.
Diese beiden finsteren(Gesellschafts)Bilder greifen die katholische Kirche und den Esoterik-Wahn an. Mit schaudernden Humormomenten ohne überkandidelt die Schwarze Komödie raushängen zu lassen, kippen diese Wettbewerbsbeiträge nie aus ihrem dunklen Kino- Realismus. Der Chilene Pablo Larraín zeichnet in "El Club" den Sittenverfall von (deutlich wegen Kindesmissbrauchs) exkommunizierten Priestern in einer Wohngemeinschaft. In einem Haus am Meer wird eine Gruppe von alten Kirchenbrüdern von einer Nonne und der doppelten Moral der geistlichen (Un)Würdenträgern zuerst geschützt, dann inspiziert und ihre Windhunde-Renn-Wetten abgestellt wie der Rassehund brutal getötet.
Fabula
Berlinale 2015
Null Porn, null Ironie, null Guilty Pleasure
Die Berlinale stolpert über einen bornierten (No)Porn und sein Cast
"Don't hurt the girls when you dance (or any other time)". Der schönste Berlinale-Satz stammt von Kurt Cobain, dessen Leben - und einmal nicht sein Tod - auf der Berlinale dokumentiert ist.
"Ich Frau" - "Du Frau"
Über Ausschweifungen und Umschweife in der Sex- und Genderdebatte bei der Berlinale
Eine animalische Beziehung samt Umarmung im Bett mit einer monströsen Dogge führt eine Therapeutin für Magersüchtige, die auch als Medium arbeitet. "Body" von Regisseurin Malgorzata Szumowska spielt im katholischen Polen, wo spirituelle Ausflüge die schiefe Beziehung eines rationalen Staatsanwalts und seiner an Bulimie erkrankten Tochter geradebiegen sollen.
Jacek Drygała