Erstellt am: 11. 2. 2015 - 18:09 Uhr
Die Reise zum Ich
Einer von Jimmy McGills Lieblingssätzen ist ein aufmunterndes "It's Showtime, Folks!", das sich der am unteren Ende der Erfolgsskala operierende Anwalt im Spiegel der Gerichtstoiletten aufpeitschend zuruft, nachdem er ein letztes Mal sein Plädoyer einstudiert hat. Falls "Plädoyer" nicht ein ein wenig zu glamouröses Wort ist, im Zusammenhang mit den miesen, kleinen Fällen, die McGill betreuen muss.
Während dieses Selbstvergewisserungsrituals öffnet er ausladend die Arme, wie ein stolzer Magier, der seinem Publikum die Sensation präsentiert. Jimmy McGill ist Showman und Gaukler im schäbigen Anwaltsanzug, im Gerichtssaal führt er Grandezza vor und moralisiert süffisant, in einer Art und Weise, wie er es wohl in packenden Filmdramen gesehen haben wird. Seinen "It's Showtime, Folks!"-Slogan hat er aus dem Film "All That Jazz" von der Figur Joe Gideon geborgt, einem übereifrigen, erfolgreichen, manischen, mit Pülverchen hochgeputschten Choreografen und Regisseur.
Auch McGill will hoch hinaus, die Talente zum Hochstapler und Taschenspieler sind schon in ihm veranlagt, bis er aber zum schmierigen Intrigenjongleur mit guter Miene und Komplikationsradierer Saul Goodman werden wird, den wir aus "Breaking Bad" kennen, muss noch einiges an moralischem Ballast abgeworfen und eine Entwicklung durchlaufen werden.
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Gerade ist also das "Breaking Bad"-Prequel/Spin-Off "Better Call Saul" mit Sensationswerten gestartet und angesichts der ersten beiden ausgestrahlten Episoden darf man die vage Skepsis und die Befürchtungen vorerst ein wenig zur Seite schieben, dass hier eventuell ein Serien-Schlachtschiff bloß unmotiviert gemolken werden könnte, ein zu Ende gedachter, kanonisierter Klassiker angekratzt wird.
In "Breaking Bad" war der schleimige Vielsprecher Saul Goodman, der mit allen ätzenden Rasierwassern gewaschene Anwalt aus der Billig-Mall, trotz aller Hinterfotzigkeit und Kaltblütigkeit ein Comic Relief, in "Better Call Saul" wird die Figur zunächst glücklicherweise nicht als ironischer Quatschcharakter ausgeschlachtet. Die Origin Story vermittelt den Eindruck eines Blicks hinter die Oberfläche, wie werden wir was wir sind und was werden wir morgen sein, wie wird James "Jimmy" McGill zur Kunstfigur Saul Goodman, wann wird er sie komplett ausfüllen?
Die zeitlich rund sieben Jahre vor der Handlung von "Breaking Bad" angesiedelte Show "Better Call Saul" trägt wieder klar die Handschrift von Macher Vince Gilligan, wenngleich hier in etwas helleren Tönen gezeichnet wird. Dass der Haudrauf-Humor - wäre mit der schrillen Figur des Saul Goodman ein Leichtes gewesen - nicht überwiegt, beruhigt. Gerne findet man sich in lange, langatmige Szenen geworfen, die einem nicht von der ersten Sekunde an eine eindeutige Orientierung anbieten.
In "Breaking Bad" konnte das die Eröffnungsszene einer Folge sein, die minutenlang ohne Dialog einen bis dahin in der Show nicht vorgekommenen Jungen auf einem BMX-Rad begleitet oder ein ebenso lang gemächlich in Schwarzweiß abgefilmter Swimmingpool, in dem ein rosa Teddybär treibt. Ebenfalls ohne Dialog. Nichts Weltbewegendes, nicht viele Shows leisten sich dieses simple Manöver des zeitaufwendigen Spannungschürens.
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In der ersten Episode von "Better Call Saul" sehen wir ewige Minuten lang einen gut besetzten Gerichtssaal, in dem mit voller Absicht nichts passiert. Betont wird gehüstelt, die Klimaanlage surrt, irgendwo trinkt jemand aus einem Pappbecher, sonst aufdringliche Stille. Man ahnt es schon: Der Anwalt ist noch nicht da, er lässt auf sich warten, um dann mit gekünstelter Verve das Verfahren aufzumischen. Es wird nicht viel nutzen.
Das Spiel mit Tempo und Rhythmus ist jetzt schon eine große Stärke von "Better Call Saul". Hauptdarsteller Bob Odenkirk gibt diesen Jimmy McGill als Verlierer, der noch zwischen Schlitzohrigkeit und dem ein bisschen guten Weg hadert. Bislang ist sein Leben trostlos inszeniert, sein Minibüro ist im Hinterzimmer eines Nagelsalons eingerichtet, er schläft dort. Aus diesem Schauplatz funkelt schon das seltsame Mischverhältnis aus ausgestellter, mal leiser, mal quietschender Skurrilität und Verzweiflung, von dem die Show lebt.
McGill träumt von dem einen großen Fall, der ihm zum Durchbruch verhilft, dabei zerknirscht er immer mehr, weil kaum Geld in die Kasse kommt. Diese Aspekte von "Better Call Saul" sind bislang überraschend düster angelegt. Auch die Szenen mit Jimmys Bruder Chuck, einst Staranwalt, mittlerweile aufgrund psychischer Probleme im Haus verbarrikadierter Einsiedler und pleite, glimmen vor traurigem Zauber.
Den toll tranigen Passagen stehen muntere Musikmontagen gegenüber, die zeigen, wie das aussieht, wenn es dann ausnahmsweise doch mal gut läuft mit den Verteidigungen, Jump-Cuts präsentieren Jimmy beim geglückten Dampfplaudern oder wieder: wie er sich auf der Toilette im Spiegel selbst anfeuert. Dazu läuft - wie im Film "All That Jazz" - Vivaldis "Concerto for Strings in G, Alla Rustica". Man kann wieder mit einigen versteckten Ostereiern rechnen.
Finanziell immer mehr in der Enge versteigt sich Jimmy in ein abgekartetes Spielchen und findet sich durch einen blöden Zufall flugs in den Händen des hochgefährlichen Drogenbosses Tuco Salamanca wieder. Die Figur des Tuco ist in "Better Call Saul" nicht der erste Cameo-Auftritt aus dem Breaking-Bad-Universum, dem künftigen, mürrischen wie melancholischen Handlanger Saul Goodmans und Killer Mike Ehrmantraut begegnen wir als Parkplatzwächter, der sich ungerührte Bagatell-Scharmützel um Parkscheine mit der Hauptfigur liefert. Wie werden die zwei zueinander finden?
In einer großartigen, langen, viel zu langen Wüsten-Szene in der zweiten Episode redet sich Jimmy McGill unter Todesandrohung von Tuco in Pirouetten, switcht von der Wahrheit zur Lüge und wieder zurück, entkommt so der sicheren Ermordung, rettet im Vorbeigehen zwei Schmalspurbetrüger und entdeckt so in einem Erleuchtungsmoment erstmals tatsächlich sein Talent zu Beschwichtigung und die Macht des Schauspiels. "I'm the best laywer ever", wird er später sagen und es glauben wollen.
Wo "Breaking Bad" die Show über die Krise war, darüber wie ein Mann ausbricht, sich ohne Rücksicht selbst ermächtig, gleichzeitig auf- wie absteigt, ist "Better Call Saul" die thematisch parallel gelagerte Serie über den Aufschwung, die Selbstmodellierung eines Mannes, der auf dem Weg zum großen Geld freilich ebenfalls dieses Ding namens "Gewissen" verliert. Das Glück kommt nicht von alleine. "You have zero messages", sagt unerbittlich der Anrufbeantworter.