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Petra Erdmann

Im Kino und auf Filmfestivals

8. 2. 2015 - 12:15

„Ich Frau“ - „Du Frau“

Über Ausschweifungen und Umschweife in der Sex- und Genderdebatte hat die Berlinale einiges zu bieten.

Gerade noch hat es in dem verpatzten Eröffnungsfilm „Nobody wants the night“ Juliette Binoche als harsche Nordpol-Expeditionsbesucherin im Schneestudio heftig von der Kritik verweht. Und mit ihr die spanische Regisseurin Isabel Coixet, die erst als zweite Frau (!) in der 65-jährigen Geschichte der Berlinale das Internationale Filmfestival eröffnen durfte. Die erste war Margarethe von Trotta mit „Das Versprechen“, 1995.

Zwei Frauen in Pelzkleidung im Iglu

Leandro Betancor

„Nobody wants the night“ - Berlinale Wettbewerb

Pech, dass Coixet eine Frau ist und dabei ihre rückwärtsgewandte Arktis-Saga-Schmonzette auch nicht sonderlich in die Kinoneuzeit gegendert hat, geschweige denn dem A-Festival kein würdiges Opening bescheren konnte. Naive Inuit Frau spricht im gebrochenen Englisch das aus, was man nicht zu denken wagt. „Ich Frau“ - „Du Frau“. Und irgendwann kuschelt Alaka (Rinko Kikuchi ) mit der hochbürgerlichen Rivalin (Juliette Binoche) unterm Eisbärenfell bis zum bitteren Ende. Uff!

Wir sind Frau

Der deutsche Forumsbeitrag mit dem wunderbaren Titel „Hedi Schneider steckt fest“ hätte im Wettbewerbsprogramm einen frischeren Eindruck von gegenwärtigen Frauenfiguren vor und hinter der Kamera hinterlassen. Im Film geht es darum, wie plötzliche Panikattacken die gut gelaunte Kleinfamilie aus Berlin-Mitte runterrocken . Regisseurin Sonja Heiss und ihre Schauspielerin Laura Tonka, die Lena Dunham („Girls“) im Outfit und unverblümtem dysfunktionalen Pärchen-Talk ähnelt, hätten der Berlinale einen gewagten Start und dennoch einen Crowd-Pleaser-Effekt beschert.

Frau Man und Kind, dreckig am See

Komplizen Film / Pandora Film 2015

„Hedi Schneider steckt fest“ – Forum

Im Zweifelsfalle scheint Berlinale-Festivaldirektor Dieter Kosslick mehr „Pro Quota“ als für den besseren Eröffnungsfilm zu sein. Die weiblichen Filmschaffenden und ihre Sympathisantinnen demonstrieren ohnehin auch ohne ihn am Potsdamer Platz gegen die Geschlechtermissverhältnisse in der Branche, die sie egalisiert wissen wollen. Und auch dafür, dass man auch als Frau schlechte Filme machen darf, wie der „Pro Quota“-Verband der Regisseurinnen ihre Kollegin Isabel Coixet verteidigt hat.

Dieter Kosslick hat neben Isabel Coixet noch zwei weitere Regisseurinnen ins diesjährige Rennen 19 internationaler Produktionen um den Goldenen Bären geschickt, die Polin Malgorzata Szumowska („Body") und Laura Bispuri mt ihrem Erstling „Sworn Virgin“. Kosslick ist vor allem stolz darauf, dass sein Frauenanteil im Wettbewerb mit 15,8% höher liegt als der in Cannes letzten Mai mit 11,1 % . So matchen sich die Männer in den Chefetagen der renommierten Filmfestivals über einen medial politisch korrekten Promo-Feminismus.

Regieextremist Werner Herzog bleibt in der Geschlechterfrage auf seiner Berlinale-Pressekonferenz mit bayrischem Akzent gelassen: „It´s the first erotic scene I´ve shot in my life“ – die zwischen Nicole Kidman und James Franco. Naja, die Chemie, die Herzog zwischen seinen beiden Stars sieht, ist on the big screen wenig zu spüren. Herzog bedauert anlässlich seines Frauenporträts und Wettbewerbsbeitrags „Queen of Desert“ nicht schon früher zum feministischen Film-Glauben übergetreten zu sein. „Fitzcarraldo, Aguirre, Kaspar Hauser, ..alles Männer. Ich hätte schon früher Frauen in Hauptrollen besetzen sollen“.

US actor James Franco (L-R), Nicole Kidman,  Damian Lewis and German director Werner Herzog arrive for the screening of 'Queen of the Desert' during the 65th annual Berlin Film Festival, in Berlin

APA/EPA/TIM BRAKEMEIER

James Franco, Nicole Kidman, Damian Lewis und Werner Herzog

Berlinale 2015

Null Porn, null Ironie, null Guilty Pleasure
Die Berlinale stolpert über einen bornierten (No)Porn und sein Cast

"Don't hurt the girls when you dance (or any other time)". Der schönste Berlinale-Satz stammt von Kurt Cobain, dessen Leben - und einmal nicht sein Tod - auf der Berlinale dokumentiert ist.

"Ich Frau" - "Du Frau"
Über Ausschweifungen und Umschweife in der Sex- und Genderdebatte bei der Berlinale

Nicole Kidman spielt die britische Historikerin und Nahost-Expertin Gertrude Bell, die in den 1920er Jahren für eine politische Neuordnung in der arabischen Region mitverantwortlich war. „Queen of the Desert“ ist ein gediegenes Historien-Epos, mal melodramatisch, mal witzig, aber auch undurchsichtig unironisch. Seinen weiblichen Lawrence von Arabien, Gertrude Bell, bringt Herzog on location ins Spiel. In marokkanischen Wüsten gedreht, verschafft die widerspenstige Landschaft dem Hochglanz-Format Nicole Kidman eine raue Natur oder einen Sekundenauftritt wie in einer Shampoo-Werbung. Nicole Kidman steigt in der Oase in die Badewanne. Das könnte das nächste US-Nipplegate werden, wenn die Szene in der amerikanischen Version drinnen bleibt. „I asked Werner, if I could take a bath once“, hat Kidman auf der Pressekonferenz erzählt. Werner: „I wrote it immediately in the script for Nicole.”

Frau packt Mann am Kragen und drückt ihn an die Wand

Carole Béthuel

„Das Tagebuch einer Kammerzofe“- Berlinale Wettbewerb

Der bürgerliche Beziehungsdrama-Spezialist Benoit Jacquot hat mit Lea Seydoux als widerspenstiges Zimmermädchen Célestine den spöttischen Roman „Das Tagebuch einer Kammerzofe“ von Octave Mirbeau in Szene gesetzt. Nach den Filmklassikern von Jean Renoir (1946) und Luis Buñuel (1964) geht Jacquots Neuverfilmung über die sexuelle Dekadenz von Herrschaften und ihrem Gesinde mit viel Handkamera, bewegten und bewegendem Realismus letztlich der Thrill aus.

Fast nackte Frau liegt auf dem Boden vor einem großen Schreibtisch

Peter Roehsler / Nanookfilm

„Der letzte Sommer der Reichen“ - Panorama

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Ohne Umschweife und mit viel Ausschweifungen trifft der Österreicher Peter Kern in der Berlinale Sektion „Panorama“ den Kern eines freimütigen B-Movie-Lesben-Bondage-Hypokrasie-Anti-Aristo-Karrieristen-Dramas. Sein „Der letzte Sommer der Reichen“ kratzt mit Spaß und Vehemenz an geheuchelter Oberflächigkeit. Die Story ist wie immer bei Kern weird und zu schön um wahr zu sein: Eine junge eiskalte Konzernchefin in Lack und Nappa (toll – Amira Casar!) setzt einen Killer auf ihren reichen Nazi-Opa an und wird von einer Nonne aus der Perversionsfalle in ihr erstes Liebesglück gerettet.