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Sophie Strohmeier Philadelphia

Film, Film, Film

10. 2. 2015 - 16:16

Das Herz und die Peitsche

Rechtzeitig zum Valentinstag erscheint die Augenrollen induzierende Verfilmung von "50 Shades of Grey". Ein paar Anmerkungen zu BDSM in Unterhaltungsliteratur und Film.

Es ist schwer, daran vorbeizukommen. Fifty Shades of Grey ist der laufende Witz der Unterhaltungsindustrie, das Non-plus-ultra-Symbol für hirnlose Erotikliteratur und die Peinlichkeit der Filmkonzerne, die aus allem Geld rausquetschen - und trotzdem: Der Roman (die Trilogie!) von einer gewissen E. L. James mit der Formel Girl (Jungfrau) + Boy (= "27-jähriger Tycoon") + BDSM (Bondage & Discipline / Domination & Submission / Sadism & Masochism) hat sich an die 100 Millionen Mal verkauft.

Das heißt: Es hat unlängst eine ganze Ära gegeben, in der pro Sekunde zwei Ausgaben von Fifty Shades erworben wurden. Und das bei einem Werk, das in seiner Urfassung gratis im Internet zu lesen war, als fortlaufende Geschichte auf fanfiction.net (das hoffentlich auch immerfort weitere solche Ungeheuer gebiert, auch jetzt gerade, während ich das hier tippe. Denn fanfiction.net ist ein sakrosankter Ort der persönlichen Entfaltung, der wahre Blick in die Tiefen der menschlichen Vorstellungskraft).

Filmstill "Fifty Shades of Grey"

UPI Media

"Dieser Anzug mag Bleifarben aussehen", flüsterte Mr. Grey, "ich verspreche Dir, im Katalog hieß das noch 'Anthrazit'."

Sich über Fifty Shades lustig zu machen, ist irgendwie alt, ähnlich wie die alljährliche Entrüstung über Gelsen und kalten Regen - es gibt halt diese Dinge (Gelsen, Wetter, Fifty Shades), sie wirken allmächtig, wir können nichts dagegen tun, also werden wir uns davon nicht das Gemüt ruinieren lassen. Stattdessen eine kurze Reflexion:

Hierbei handelt es sich um einen "Franchise", bei dem sogar den Stars die Mitarbeit irgendwie peinlich zu sein scheint. Was von den Massen gehyped wird, muss nicht unbedingt gut sein, Hitler war das ja auch nicht - so lässt sich Jamie Dornan vernehmen, Darsteller des BDSM-Fetischisten ‘Christian Grey’ und Titelheld. Selber habe er einmal zur Recherche einen sogenannten "Dungeon" besucht - und sich nachher lange geduscht, bevor er Frau und Kind berührt habe. Irgendwie macht einen das traurig.

Komplizierter Kink

Im Ernst: Wir haben alle die Bücher nicht gelesen, gelt? Und wenn, dann nur, um uns darüber lustig zu machen. Selber habe ich die Bücher auch nie gelesen (das liegt halt an meiner persönlichen Präferenz. Mein Fifty Shades of Grey heißt nämlich Orange is the New Black.)

Zu gerne mockiert sich die Welt über Frauenherzen. Oder sagen wir: über die Abgründe der Frauenherzen. Denn was ist Fifty Shades außer eine besonders langlebige Form der populären Romance Novel, eine glänzende Fan-Fantasie - ein Phänomen, als Wunsch-Weiterspinnung der Twilight-Serie entstanden, durch Empfehlungen verbreitet und, unter dem Schlagwort "Mommy Porn", besonders bei der Spezies "Hausfrau" äußerst beliebt. Seit Fifty Shades in den Regalen steht, bieten "sex-positive" Sex-Shops freundliche BDSM-Schnellkurse an. Menschen, die vielleicht nie von BDSM gehört hätten, beschäftigen sich nun mit Termini wie "Submissive", "Dom" und "Switch", und machen sich Gedanken zur persönlichen sexuellen Entfaltung.

Catherine Deneuve als Belle de Jour

Criterion

Als filmikonische Verkörperung der Ehefrau mit dem Hang zum Kink, erinnert Catherine Deneuve doch wirklich ein klein bisschen an eine Valentinstagsgrußkarte.

Ist ihnen vorzuwerfen, dass diese Einstellung nicht durch eine kräftige Dosis D.H. Lawrence herbeigeführt wurde? Ist E.L. James vielleicht eine moderne Erbin der Brontë-Schwestern, und wir wollen uns damit nicht abfinden? Wie viel Kunst ist der Pornografie überhaupt zumutbar? Erotika wie Pornografie dürfen - müssen - trashig sein, müssen etwas peinlich und verboten wirken, um als solche empfunden zu werden.

Das Nervigste an der Diskussion rund um Fifty Shades: Sobald von jungen Frauen und Literatur die Rede ist, besonders wenn diese Literatur explizit ist, wird sofort Fifty Shades herbeizitiert; ungefähr so, als hätte sich vor E.L. James keine Frau je an Erotik und BDSM herangewagt, als hätte es Gestalten wie Anaïs Nin, Unica Zürn und Angela Carter nie gegeben.

Das klingt nach dem typischen Insiderproblemchen - wie diese Fantasy-Fans, die die Harry Potter-Reihe einfach aufgrund ihrer Popularität ablehnen - aber in diesem Fall gibt es einen kleinen Unterschied: Nach 3 Wälzern Fifty Shades darf 'Christian Grey', grauäugiges Objekt der Begierde, durch die Liebe der Protagonistin geheilt werden. So ist Fifty Shades dann doch weniger schelmischer, libidinöser Genusses als brutales Urteil: BDSM ist bitterböse, und Menschen, die auf BDSM stehen, sind grauslich und krank.

Dirk Bogarde und Charlotte Rampling in The Night Porter

Criterion

Dirk Bogarde und Charlotte Rampling im Unwohlfühlfilm "Der Nachtportier"

Da ist dann Fifty Shades plötzlich mit den kontroversielleren Arthouse-Lieblingen nicht unverwandt: In Pasolinis Salò oder die 120 Tage von Sodom (1975) stehen BDSM und Scat als Metapher für Faschismus, Brutalität und wortwörtliche Unterdrückung (bei aller Liebe zu Pasolini - diese Metapher ist doch wirklich besonders originell, findet ihr nicht?), genauso, wie in dem seltsamerweise sehr beliebten The Night Porter (1974) von Liliana Calvani Roleplay und BDSM auch Stockholmsyndrom und tatsächliche Grausamkeit darstellen sollen - Fetisch könnte man wohl nicht gröber missverstehen, bzw: Sicher gab es unter den Nazis BDSM-Fetischisten, aber ein BDSM-Fetischist muss nicht unbedingt Nazi sein.

Kulturelle Amnesie

Romantischer Eskapismus und erotische Unterhaltung sind das vielleicht lukrativste Gut der Literaturindustrie.
Wie aber die Balance halten - trashig sein, aber doch den Schöngeist wahren; BDSM darstellen, ohne das Tabu zu zerstören (denn was wäre danach noch geil?); ohne die BDSM-Community und vor allem die Political-Correctness-Polizei zu beleidigen. Es kann nicht einfach sein. Dabei vermag genau diese Art von Belletristik die schönsten Dinge zu bewirken: das Beflügeln der Phantasie, die Möglichkeiten des Eskapismus, die Lust am Wunsch, von einem besonders attraktiven Mann oder einer Frau begehrt und erniedrigt zu werden.

Buchcover von "The Claiming of Sleeping Beauty" von Anne Rice

E.P. Dutton

Was oft vergessen wird, ist, dass ein millionenfach verkaufter BDSM-Roman, der sich an Frauen richtet, im Zeitalter der Massen nichts Neues ist. Schon in den 1980er-Jahren schrieb Anne Rice - Autorin der wahnsinnigen Vampire Chronicles, darunter Interview mit einem Vampir - unter dem romantischen Pseudonym A.N. Roquelaure die Sleeping Beauty-Reihe: In The Claiming of Sleeping Beauty (1983) erwacht das schlummernde Dornröschen nicht wegen eines Kusses, sondern wegen - muss ich es wirklich schreiben - und gibt sich mit ihrem Prinzen drei Bücher lang dem BDSM-Spiel hin. Die märchenhafte Serie war seinerzeit ein Riesenerfolg und erlebt nun endlich ein kleines Revival. Dank des aktuellen Fifty Shades-Phänomens entsteht gerade eine Fernsehserie; ein vierter Band, Beauty’s Kingdom, kommt Ende April 2015.

Film und Sleaze

Im englischen Sprachraum derzeit hoch gelobt und leider (noch?) ohne AT-Starttermin ist die wunderschöne Giallo-Hommage The Duke of Burgundy (2014) von Peter Strickland, in der ein lesbisches Liebespaar bemüht ist, die BDSM-Wünsche einer der beiden Partnerinnen zu erfüllen. In eine träumerische Stimmung gehüllt, erinnert der Film visuell an etwas viel Älteres, spielt aber auf eine herzzerreißende Art mit naturalistischen Problemchen: Die Dominatrix schnarcht, und eine gefesselte "Submissive" kann sich nicht gegen Insekten wehren.

Filmstill "Duke of Burgundy"

Artificial Eye

'Safe Words' können nicht immer Beziehungen retten: "The Duke of Burgundy"

Wichtiger noch - der Film erinnert an das, wofür BDSM in der Kunst und der Fantasie wirklich stehen soll: an die Grausamkeit der unüberbrückbaren Leidenschaft, an die Unmöglichkeit der tatsächlichen Vereinigung mit dem geliebten Objekt. Mit solcher emotionalen Brutalität und Obsession beschäftigen sich die Filme von Jean Rollin und Jess Franco, das gewaltvollste Beispiel kommt aber von Mario Bava: In The Whip and the Body (1963) treibt Unhold Christopher Lee mit einer Peitsche die Träume junger Bräute in den Wahnsinn.

Christopher Lee mit Peitsche in The Whip and the Body

VCI Video

"You have always loved violence!" Christopher Lee und die Peitsche

Film hat eben den Vorteil, erst seit ein, zwei Generationen als eine Kunstform gesehen zu werden, und kann damit in seiner Geschichte viel "verdorbener" sein, als Literatur es je sein dürfte. Überlegen wir uns, wie großartig trashig eigentlich Luis Buñuel ist, wenn er die Bondage- und Erniedrigungsfantasien einer Belle de Jour (1967) darstellt - oder wie schlimm und lustig (und tragisch) die Situation der unersättlich verdammten Liebenden aus Polanskis Bitter Moon.

Valentinstag ist am 14. Februar - "Fifty Shades of Grey" läuft in der westlichen Welt am Vorabend an.

Weniger lustvoll mag die Situation von Hanekes Klavierspielerin (2001) sein, deren Wucht an Gefühlen und Verlangen nach seelischer Erfüllung nicht gelindert werden kann - was wiederum der ebenso selbstzerstörerischen Protagonistin von Secretary (2002) so gut gelingt. Hier findet Maggie Gyllenhaals "sub" in James Spader ihren eigenen "dom" und der heißt - richtig - Grey.

Und in diesem Sinn – frohen Valentinstag! May your nights be kinky.