Erstellt am: 23. 1. 2015 - 16:00 Uhr
#WirHabenEsSatt
#WirHabenEsSatt!, brüllten Tausende am vergangenen Wochenende in Berlin. Ihr Adressat: Agrarindustrie und Politik. Deren selbstbewusste Antwort: #WirMachenEuchSatt!! Denn ist es nicht die Hochleistungs-Intensiv-Landwirtschaft die die Welt ernährt?
Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.
Geschichten gestalten Geschichte. Ob zum Guten oder Schlechten hängt von der Erzählung ab und davon, wie sie verstanden wird. Manche Erzählungen lassen wenig Spielraum für Interpretationen, allen voran solche, die für sich in Anspruch nehmen „wahr“ zu sein. Zu dieser Kategorie zählt der Narrativ von der unbedingten Notwendigkeit, die globale Nahrungsmittelproduktion zu intensivieren.
DieAusloeser.net, Berlin
Weltweit leiden rund 870 Millionen Menschen an chronischer Mangel- und Unterernährung. Täglich sterben Tausende an deren Folgen. Es ist eine Tragödie, die laut einer weit verbreiteten Erzählung einen einfach zu verstehenden Hintergrund hat: Die Weltbevölkerung wächst rascher als die Ernteerträge. Schlussfolgerung: Wir müssen mehr produzieren.
Bigger, better, faster, stronger.
Mit überholten Werkzeugen geht das aber nicht, erklärt die hochsubventionierte Agrarindustrie. Die Gegenwart und Zukunft verlangten nach modernen Bewässerungssystemen, gentechnisch modifiziertem Saatgut, intelligenten Traktoren, chemischer Düngung und Schädlingsbekämpfung... Dazu freie Märkte, entsprechende politische und gesetzliche Rahmenbedingungen, Freihandelsabkommen wie TTIP, Vertragssicherheit, Investorenschutz. All das für das zweifelsohne ehrenwerte Ziel Hunger zu verhindern, indem man Erträge maximiert.
Das Kernstück der strategischen Kommunikation der Agrar- & Nahrungsmittelindustrie ist die Verbreitung ihres Glaubensgrundsatzes: Sie, und nur sie, könne genug Nahrung für eine wachsende Weltbevölkerung produzieren. Recherchiert man im Netz zum Themenkomplex Agrarindustrie, stößt man unweigerlich auf die immer gleiche, sich selbst beantwortende Frage: „Wer wird die prognostizierte Weltbevölkerung von 9-10 Milliarden Menschen im Jahr 2050 ernähren?“
CC BY 2.0 von flickr.com/siebeneinhalb-de/
Der global agierende AgroChemieBioTech-Gigant hat viele Feinde. Warum eigentlich (nicht)?
Im Artikel „Monsanto discovers new social Media“ aus dem International Journal of Communication (hier als pdf) wird Mica Veihman, bei Monsanto verantwortlich für die Kommunikation in sozialen Medien, so zitiert:
„Monsanto will sich öffnen und ein Gespräch darüber führen, wie die Landwirtschaft die Bedürfnisse der Welt im Jahr 2050 befriedigen wird. Dann wird es geschätzte neun Milliarden Menschen geben, was bedeutet, dass wir in den nächsten 50 Jahren so viel Nahrung produzieren müssen wie in den vergangenen 10.000 Jahren zusammengenommen.“
Subtext: Wer, wenn nicht wir soll das bewerkstelligen? Eben. Also: „Spread the word!“.
Erst vor wenigen Tagen beklagt der Economist hier, dass potentiellen Investoren der Zugang zu Farmen erschwert werde. Der Artikel („Hardy Investors are seeking a way to grow their money“) beginnt mit einer inzwischen vertraut klingenden Formulierung:
„In the next 40 years, humans will need to produce more food than they did in the previous 10,000 put together [...] Supply is not keeping up with demand. Clever farmers, scientists and entrepreneurs are bursting with ideas. But they need money to make this jump.“
Es folgen Vorschläge, wie das Investoren-Geld zum Zwecke der Ertragsmaximierung eingesetzt werden könnte: Für moderne Bewässerung („automatic spray systems“) beispielsweise, oder, etwas teurer, für Melk-Roboter („Pricey robots can boost milk per cow by 10-15%“). Man kann aber auch in „big-data analytics“ investieren („can push crop yields up 5%“).
Investitionen in Technik führen zu Ertragssteigerungen, weiß der Economist und endet sein Plädoyer mit einem Rat, aus Mark Twains Feder: „The investment thesis is as simple as they come, as Mark Twain realised long ago: „Buy land, they’re not making it any more.“
CC-BY-SA-2.0 / Chris Happel
Again: Supply is not keeping up with demand!
Warum die Zulassung von gentechnisch modifiziertem Saatgut in der EU nicht einmal für die Freunde der grünen Biotechnologie ein Grund zur Freude sein kann.
Kritiker und Zweifler des „Ertragssteigerung via Intensivierung“-Credos heißt man „weltfremd und naiv“, schlechterdings „zynisch und menschenverachtend“. Ein agrarökologischer Ansatz, der auf Gifte weitgehend verzichtet, der dem System Monokultur eines mit Mischkulturen entgegensetzt, der auf Gentechnik verzichtet und auf lokale Gegebenheiten Rücksicht nimmt, wird von der Agrarindustrie und ihren Verfechtern mal ignoriert, mal angefeindet.
Ungeachtet der zahlreichen und vielversprechenden Forschungserfolge werden moderne agrarökologische Lösungsansätze als „rückwärtsgewandt“ wahrgenommen. Die High-Tech-Landwirtschaft stilisiert sich als „Pro-Science“, ihre Gegnerschaft heißt sie „romantisch und wissenschaftsfeindlich“, „Anti-Science“.
CC BY 2.0 von flickr.com/soilscience/
Wofür die biologische Landwirtschaft und ihre diversen Gütesiegel heute stehen und wofür nicht.
Wie groß ist die Lücke zwischen den Ernteerträgen aus konventioneller und jenen der biologisch-organischen Landwirtschaft tatsächlich? Eine im vergangenen Dezember veröffentlichte Meta-Studie der Universität von Kalifornien (Berkeley) beantwortet diese Frage mit trockenen Zahlen: „We find organic yields are only 19.2% lower than conventional yields...“
Ein Fünftel weniger Ertrag. Bedenkt man, dass der konventionelle Anbau weit mehr Ressourcen (v.a. Erdöl und Wasser) verbraucht als der organische, und im besten Fall Humus auf- statt abbaut, ist diese Zahl recht beeindruckend. Am vielversprechendsten aber ist ein weiterer Befund der Meta-Studie: Wenn Bauern ihr Land mit Mischkultur (= gleichzeitiger Aufwuchs mehrerer Pflanzenarten auf gleicher Fläche) bestellen und eine Fruchtfolge einhalten (also jede Saison andere Pflanzen anbauen), verringert sich der Abstand zu den Erträgen der konventionellen Landwirtschaft auf unter 10%. Unabhängig von Klima- oder Niederschlagszone, ganz egal auch, ob der Vergleich in Entwicklungs- oder Industrieländern gezogen wurde.
Nur ein Zehntel weniger Ertrag. Ohne Pestizide. Ohne Kunstdünger. Zehn Prozent.
Selbst dieser geringe Abstand, so die Studie, sei mit Vorsicht zu genießen. Verglichen wurden nämlich Sorten, die für die Bedingungen und Ansprüche der konventionellen Landwirtschaft gezüchtet wurden. In Langzeitversuchen konnte nachgewiesen werden, dass das biologische System das der konventionellen Landwirtschaft in Bezug auf die Erträge mitunter sogar übertrifft.
Sensationell? Vielleicht. Und doch ist dieser Vergleich im Kern problematisch. Denn sportlich betrachtet gelten für die Wettkämpfer gänzlich unterschiedliche Voraussetzungen und Regeln. Wer den Fokus auf die Gewinne (Ertragsmenge) legt, läuft Gefahr, die entstandenen Verluste (d.h. Kosten) zu übersehen.
DieAusloeser.net, Berlin
Intensivlandwirtschaft erkauft sich die Ertragsmaximierung
Das konventionelle System ist überaus energieintensiv. Es zieht nie ohne Chemie (Kunstdünger & giftige Pestizide) ins Feld, schafft dadurch Abhängigkeiten und nimmt gravierende Substanzverluste in Kauf: Sie verunreinigt Grundwasser, Flüsse und Küsten, führt zum Verlust von Biodiversität, degradiert Böden (Fruchtbarkeit, Wasserspeicherfähigkeit), befördert Erosion und Wüstenbildung.
Die zweifelsfrei hohen Erträge der high-input Landwirtschaft schönen die Bilanzen. Sie sind nicht von Dauer und gefährden mittel- bis langfristig die Produktivität. Die Spitzenleistung (wie viel?) geht auf Kosten der Lebensleistung (wie lange?). Eine Milchkuh, die täglich Höchstleistungen erbringen muss, wird nicht alt. Für Ackerböden gilt dasselbe: Dank „moderner“ Techniken (Hochleistungssaatgut, Mineraldünger, Pflanzenschutzmittel, Monokultur, intensive Bewässerung) fährt Europa zwar Rekordernten ein, verliert gleichzeitig aber an Boden.
"Es mag bezweifelt werden, ob es viele andere Tiere gegeben hat, die in der Geschichte der Welt eine so wichtige Rolle gespielt haben" (Charles Darwin)
In der EU zeigen 35% der landwirtschaftlich genutzten Böden Verdichtungserscheinungen. 17% sind degradiert, also in ihrer Qualität deutlich verschlechtert bis zerstört. 45% haben deutlich an organischer Substanz verloren (Humus und Bodenlebewesen). Die natürliche Fruchtbarkeit der Äcker ist gesunken.
Mehr ist weniger
Der „Wer hat mehr?“-Vergleich birgt aber noch eine andere Gefahr: Er befördert indirekt das irreführende, perfide Narrativ von der Notwendigkeit zur Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion. #WirHabenEsSatt, meint auch: Wir produzieren zu viel, nicht zu wenig. Aber, und darauf können sich die Demonstranten in Berlin (laut Veranstalter sollen es 50.000 gewesen sein) einigen: Wir produzieren falsch.
DieAusloeser.net, Berlin
Wie der Hunger in die Welt kommt
Warum Millionen Menschen hungern hat viele Gründe, mangelnde Produktionsleistung der globalen Landwirtschaft ist keiner davon. Rein kalorisch gesehen reichen die Ernten für 12 bis 14 Milliarden Menschen.
Fast 50% der globalen Getreideernte landet in Masttierfabriken, die sogenanntes Billigfleisch erzeugen. Ein Drittel aller weltweit produzierten Nahrungsmittel verdirbt. Das sind 1,3 Milliarden Tonnen Nahrung, die drei Milliarden Menschen ernähren könnte.
Hunger ist aber nicht nur eine Frage der Verteilung, bzw. Verteilungsgerechtigkeit. Oft ist Hunger auf Naturkatastrophen zurückzuführen, auf Dürren und Überschwemmungen (die durch den Klimawandel gehäuft auftreten).
Hunger tritt auch im Schatten von politischen Konflikten auf. Allen voran bewaffneten. Wo Krieg herrscht, ist weder der Transport noch die Produktion von Nahrungsmitteln gewährleistet. Kämpfe zwingen Millionen von Menschen ihre Heimat zu verlassen; ihre Felder bleiben unbestellt und ernähren niemanden mehr.
Hunger ist vor allem aber ein Kind der Armut, d.h. des ungleichen Zugangs zu Bildung, Kapital und Grundbesitz. „Armut wird meist durch den Mangel an verfügbarem qualitativ gutem Land verursacht“, schreibt die FAO.
80% aller von Bauern bewirtschaften Flächen sind kleiner als zwei Fußballfelder, was sie allerdings nicht davon abhält, mehr als die Hälfte der weltweit produzierten Nahrung zu erwirtschaften. In der wirkmächtigen Erzählung der Agrarindustrie spielen Kleinbauern keine besondere Rolle. In einer anderen wären sie Helden. Warum, das lässt sich auch in einem Zahlenverhältnis ausdrücken: 30/70.
Die Industrielle Nahrungsmittelproduktion braucht 70% der globalen landwirtschaftlichen Ressourcen, um 30% der globalen Ernte einzufahren. Kleinbäuerliche Familienbetriebe (hier treffender „the peasant food web“ genannt), produzieren die restlichen 70%. Dafür allerdings haben sie nur 30% der Ressourcen zur Verfügung.
Kleinbauern sind zwar oft selbst von Hunger betroffen (v.a. in Subsahara-Afrika und Südostasien), brauchen aber weder große Traktoren, noch Kunstdünger oder gentechnisch modifiziertes Saatgut, wie Bill & Melinda Gates & Co meinen. Zum einen kosten diese High-Tech-Werkzeuge viel Geld (das nicht vorhanden ist), zum anderen schaffen sie Abhängigkeiten (von Saatgut-, Landmaschinen-, Erdöl- und Agrarchemieindustrie). Kleinbauern brauchen Know-how, nicht Schulden.
Die Höchstleistungslandwirtschaft und ihre Rekorderträge machen nicht satt
Gerade die hochindustrialisierte Europäische Agrarpolitik (GAP) spielt eine höchst problematische Rolle im Kampf gegen Hunger. Die EU ist einer der größten Nahrungsmittel-Nettoexporteure auf dem Weltmarkt und trägt „maßgeblich zum anhaltenden Verfall der Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Güter bei“ (Misereor 2011 ). Dieser Preisverfall machte den Anbau von Grundnahrungsmitteln in vielen Entwicklungsländern unrentabel und ermöglichte es den Regierungen, gerade in vielen afrikanischen Ländern, die kleinbäuerliche Produktion zu vernachlässigen.
Die Kleinbauern werden aus dem Feld gedrängt.
Ein Prozess, an dem auch die westliche Politik beteiligt ist, indem sie Infrastruktur (Behörden, Ministerien) und Steuergelder zur Verfügung stellt. Ein aktuelles Beispiel dafür nennt sich „German Food Partnership“, kurz: GFP, ein Leuchtturmprojekt der deutschen Entwicklungshilfe.
„Die German Food Partnership (GFP) ist eine privat-öffentliche Initiative mit dem Ziel, Armut und Hunger in Entwicklungs- und Schwellenländern zu reduzieren. Die Weltbevölkerung wächst, die landwirtschaftlichen Erträge halten dabei jedoch nicht Schritt…“, heißt es auf der GFP-Webseite.
Die Schirmherrschaft für dieses Projekt hat das deutsche Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) übernommen. Bislang sind 32 deutsche und internationale Unternehmen involviert. Darunter viele namhafte Riesen wie die Bayer CropScience AG, die METRO-Gruppe, BASF oder Syngenta.
"GFP ist keine Charity-Veranstaltung", erklärte Hans-Joachim Wegfahrt von Bayer CropScience bei der GFP-Projektvorstellung. Im Gegenteil, das Projekt müsse sich auszahlen. Und das wird es wohl auch. Kritiker bringen es auf den Punkt: „Bayer, BASF und Co. kassieren Entwicklungshilfegelder – unglaublich!“ Aber wahr.
Die industrielle Landwirtschaft westlichen Standards füttert sich selbst, nicht die (zum Klischee gewordenen) „hungrigen Kinder in Afrika“. Im Gegenteil: Die Überschüsse, die der Agrarindustriekomplex erwirtschaftet, befördert Hunger und Armut. Die erwirtschafteten Gewinne werden privatisiert, die Verluste vergesellschaftet (und künftigen Generationen angelastet). Dieses verschwenderische System ist weder tragfähig noch modern. Seine High-Tech-Gadgets können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Kern mindestens 60 Jahre alt ist und auf einem zentralistisch-hierarchischen Machtverständnis aufbaut.
Es ist an der Zeit, eine neue Geschichte über die Landwirtschaft der Zukunft zu erzählen. Denn die alte hat keine.