Erstellt am: 24. 5. 2013 - 15:59 Uhr
Weltmacht Monsanto
March against Monsanto - It’s time to take back our food! Unter diesem Motto soll morgen weltweit gegen den AgroChemieBioTech-Giganten protestiert werden.
"Die Natur ist nicht per se gut, wir müssen auch Maßnahmen setzen!"
Mit diesen Worten begründete unlängst ein Vertreter der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) seine Ablehnung des von der EU geplanten Teilverbots bienengefährdender Pestizide. In diesen Worten kommt das Grundverständnis zeitgenössischer Lebensmittelproduktion zum Ausdruck: Ist die Natur nicht willig, so braucht es Gewalt. Und einen Schulterschluss der Landwirtschaft mit der chemischen Industrie.
Befürworter der konventionellen Landwirtschaft können sich eine Lebensmittelproduktion ohne Chemie-Einsatz gar nicht mehr vorstellen. Wo Schädlinge die Monokulturen zu vernichten suchen, wird Gift eingesetzt. Wo die Fruchtbarkeit der Böden schwindet, wird mit Kunstdünger nachgeholfen. Und will man den maximalen Ertrag einfahren, braucht es nun mal gentechnisch verändertes Saatgut (GMOs), so die Logik von Monsanto und anderen Vertretern der Agrogentechnik. All das gilt mittlerweile als so selbstverständlich, dass Gegenargumente und Zweifel als weltfremd und technikfeindlich abgetan werden können.
Wer, wenn nicht die Agrochemie samt Biotechnologie, soll der Menschheit die Ernährung im 21.Jahrhundert sichern? Klimaerwärmung, schwindende Anbauflächen, Wasserknappheit, eine wachsende Weltbevölkerung ..., all das verlange nach hochtechnologischer Innovation. Dieses Selbstverständnis des Weltmarktführers Monsanto, dessen ausgesprochenes Ziel die fortdauernde Marktdominanz ist, wird allzu oft unhinterfragt von Entscheidungsträgern übernommen.
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Begonnen hat Monsanto 1901 mit der Herstellung von Süßstoffen, Koffein und Vanillin. Später produzierte das Unternehmen Gifte wie beispielsweise DDT oder Agent Orange, das es im Zuge des Vietnam-Krieges zu trauriger Berühmtheit gebracht hat. Heute befeuert Monsanto eine Agrarindustrie, die sich bedingungslos dem Diktat der Ertragssteigerung und kurzfristiger Gewinne unterworfen hat. Mit schwerwiegenden und weit in die Zukunft reichenden Konsequenzen für Umwelt und Gesellschaft.
In der Sprache der Ökonomen leben wir längst nicht mehr von den Zinsen, die der Boden abwirft. Wir fressen uns ins Kapital: Die so wertvolle wie dünne Humusschicht schwindet rasant. Landwirte würden von "Substanzverlust" sprechen. Als Ersatz wird ihnen Kunstdünger angetragen. Aber Mineraldünger ist nicht einmal eine Scheinlösung, denn dessen Anwendung beschleunigt den Humus-Verlust sogar noch. Auch die Biodiversität, vor allem die Vielfalt unserer Kulturpflanzen, geht unter dem wachsenden Druck der Monokultivierung verloren.
Die industrielle Landwirtschaft ist der mit Abstand größte Umweltverschmutzer und verantwortlich für giftbelastete, überdüngte Landschaften und Gewässer. Zu verantworten hat all das auch eine von Angst geleitete Politik, die dem Treiben des Verbundes aus Chemie- und Landwirtschaftsindustrie scheinbar ohnmächtig gegenübersteht. Die modernen Industriestaaten haben sich so sehr von Saatgut-, Kunstdünger- und Giftzulieferern abhängig gemacht, dass politischen Entscheidungsträgern ein Paradigmenwechsel kaum noch möglich scheint.
Unter der Maxime "wachsen oder weichen" hat die Landwirtschaftsindustrie in den letzten Dekaden Fakten geschaffen: Unter dem Begriff "Strukturbereinigung" (Bauernsterben) wurden in der Vergangenheit kleine und mittelgroße Landwirte aus dem Feld gedrängt. Systematisch wurde ausgerechnet jene Struktur zerstört, die am ehesten eine ressourcenschonende, dezentrale und stabile Nahrungsmittelversorgung sicherstellen könnte.
Wer wenn nicht Monsanto?
Vor 80 Jahren stellte die Chemieindustrie weltweit etwa eine Million Tonnen organische Chemikalien her, 1990 war diese Menge bereits um das Tausendfache angestiegen. Heute trägt dieser Industriezweig wesentlich zur Gestaltung unserer Umwelt bei, schafft durch Überdüngung und Versalzung neue Rahmenbedingungen für Lebewesen und in den letzten Dekaden sogar "neues" Leben selbst: in Form von gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren. Monsanto ist nicht nur Produzent des höchst umstrittenen und weltweit meist verkauften Pflanzengiftes Roundup (Glyphosat & Tallowamin), sondern hält auch de facto das Monopol für genetisch manipuliertes Saatgut. Weltweit wächst dieses auf einer Fläche von 170 Millionen Hektar.
Der Anbau dieses Saatguts wiederum bedingt die Verwendung von Roundup. Ein Landwirt, der sich dafür entscheidet, gentechnisch verändertes Saatgut von Monsanto anzubauen, muss auch das Herbizid Roundup vom selben Hersteller kaufen. Und zwar jedes Jahr aufs Neue. Gut für Monsantos Bilanz, aber schlecht für die Umwelt. Der intensive Gebrauch des Spritzmittels, das auch für den Menschen gefährlich ist, hat in den USA zu Toleranzbildungen bei Ackerunkräutern geführt. "Superweeds" lassen die Farmer verzweifeln. Auch die von Monsanto versprochenen Ertragssteigerungen bleiben aus. Tatsächlich haben Studien gezeigt, dass die Ernteerträge bei Monsantos "RoundUpReady" Saatgut teilweise hinter denen von konventionellem Saatgut zurückliegen.
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Auf 90% der gentechnisch veränderten Organismen, die weltweit angebaut werden, hält Monsanto Patente. Das Unternehmen mit Sitz in St. Louis ist folglich auch in wirtschaftlicher Hinsicht die klare Nummer eins im Biotechnologie-Geschäft: 2011 machte Monsanto einen Umsatz von 11,8 Milliarden Dollar.
Ob seiner schieren Größe ist Monsanto heute mit einer Machtfülle ausgestattet, deren Kontrolle unsere demokratischen Institutionen offenbar überfordert.
Die Folge ist ein weit verbreitetes, diffuses Unbehagen gegenüber dem Dinosaurier. Zu oft schon hat das Unternehmen hart erkämpfte, demokratische Prinzipien verletzt, als dass man ihm noch trauen mag.
Monsanto hat eine lange, und dank PCBs, Agent Orange oder dem Fälschen von Untersuchungsergebnissen, unrühmliche Geschichte (der entsprechende Wiki-Eintrag ist sehr aufschlussreich).
Der Biotechnologie-Riese ist zudem bekannt für aggressives Lobbying und hat schon mehrere, gut dokumentierte Gift- und Korruptionsskandale zu verantworten. Kritiker, Umweltschützer, Bauern aber auch politische Institutionen werden von dem Konzern regelmäßig mit Klagen überzogen. Kritische, industrieferne Genforscher, die den Zugang der kommerziellen Gentechnik als arg naiv-vereinfachend und verantwortungslos bezeichnen, werden von Monsanto öffentlich als "elitär" und "ideologisch verblendet" diffamiert. Gleichzeitig gibt es kaum noch eine Wissenschaft in diesem Bereich, die nicht mit Geldern der Biotechnologie-Konzerne gestützt wird.
"Ernährung. Gesundheit. Hoffnung." (Slogan von Monsanto)
Der Diskurs darüber, wie risikobehaftet systemisch wirkende Gifte und gentechnisch modifizierte Organismen (GMO) außerhalb von Labor-Mauern sind, ist so alt wie diese Technologien selbst. Wissenschaftler haben diesbezügliche ganz unterschiedliche Auffassungen. Die Fronten sind verhärtet. Dass es keinerlei Risiken birgt mit Gift und Gentechnik
zu hantieren, traut sich heute allerdings kaum noch jemand behaupten. Ignacio Chapela (University of California, Berkeley) stellte beispielsweise fest, dass DNA von genetisch veränderten Pflanzen in wilde Maispopulationen übergingen und es so zu einer transgenen Verunreinigung der Pflanzen kam. Monsanto hatte ebendas bis dahin als "völlig unmöglich" bezeichnet.
Da nicht sein kann, was nicht sein darf, versuchte der Konzern den Wissenschaftler in der Wissenschaftswelt als unseriös darzustellen. Monsanto beauftragte die PR Agentur The Bivings Group eigens damit, eine anonyme Schmutzkübelkampagne im Internet loszutreten, die Ignacio Chapela diffamieren und seine Forschung desavouieren sollte. Kein Einzelfall, aber ein besonders gut dokumentierter.
Weltmacht mit Drehtür
Da Forscher und Wissenschafter immer wieder warnend in Erscheinung treten und wichtige Geschäftsfelder des Unternehmens bedrohen, versucht Monsanto stets Einfluss auf die Schaltzentralen der politischen Macht und deren Institutionen auszuüben. Das Unternehmen pflegt seit Dekaden engste Verbindungen zur Politik. So gab es in der Vergangenheit zahlreiche strategische Jobwechsel zwischen dem Biotech-Giganten und der US-Regierung samt Administration. 2001 ernannte George W. Bush beispielsweise Linda J. Fischer zur Vizedirektorin der staatlichen Umweltschutzbehörde (EPA). Davor war Fischer als leitende Angestellte bei Monsanto. Und davor wiederum als EPA Staatsbeamtin zuständig für den Bereich "Pestizide und Giftstoffe". Kein Einzelfall, sondern eine Strategie, die Kritiker "perfektionierte Drehtürpolitik" nennen.
Dass sich kurze Wege zu Politik und Behörden auszahlen, zeigt der Umstand, dass es Monsanto ohne größere Probleme gelungen ist, seine gentechnisch veränderten Organismen in juristischer Hinsicht "herkömmlichen" gleichzustellen. Laut US Auffassung sind beispielsweise Genmais und herkömmlicher "substantiell äquivalent". Das gilt nicht nur für die gentechnisch veränderten Pflanzen und Tiere selbst, sondern auch für die Lebensmittel, die aus ihnen hervorgehen. Daher braucht es für diese (anders als in der EU) in den USA keine Kennzeichnungspflicht. Bemerkenswert daran ist die Tatsache, dass die unterstellte "Äquivalenz" nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Im Gespräch mit der Journalistin Marie-Monique Robin gibt der damals zuständige Beamte der FDA (Behörde für Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit), James Maryanski, offen zu, dass es sich bei der "Gleichstellung" um eine rein politische Entscheidung gehandelt hat. Die USA wollte sich unbedingt die Vormachtstellung im Bereich Biotechnologie sichern.
Die US-amerikanische Bevölkerung, die sich laut Umfragen bis heute mehrheitlich für eine entsprechende Kennzeichnungspflicht ausspricht, ist vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Gentechnik ist sicher. Per politischem Beschluss. Die US Regierung vertritt diese Auffassung auch im Ausland und hat seine diplomatischen Mitarbeiter dezidiert dazu angewiesen, Monsanto und Co den Weg in fremde Märkte zu ebnen. Die Beamten sollen helfen, rechtliche Hürden beiseite zu räumen, "vor allem in Entwicklungsländern".
The Monsanto Protection Act
Erst kürzlich schafften die Lobbyisten des Chemie-Riesen ihren bislang größten Coup: den sogenannten "Monsanto Protection Act",
der offiziell "Zusatz 735 zum US-Haushaltsgesetz" heißt (Farmer Assurance Provision, Sec. 735).
Von nationalen und internationalen Medien anfänglich unbemerkt war am 26. März vom US Senat (im Rahmen des Haushaltsbudgets) ein Gesetz verabschiedet worden, das es den Gerichten der USA künftig verunmöglicht, den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zu stoppen. Selbst "bei begründeten Zweifeln" an der Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit genmanipulierter Produkte kann kein Richter deren Anbau und Vertrieb unterbinden. Kurzum: Monsantos Interessen stehen derzeit über jenen der amerikanischen Bevölkerung.
Freilich brach nach Bekanntwerden dieses demokratiepolitischen Skandals ein heftiger Shitstorm los. Einige Senatoren haben sich bereits für ihre Unterschrift entschuldigt und ihre Zustimmung öffentlich zurückgezogen. Spätestens im September sollte Zusatz 735 wieder vom Tisch sein.
Was vom "Monsanto Protection Act" allerdings bleiben wird ist ein noch größeres Unbehagen gegenüber Monsanto und Flecken auf Barack Obamas Weste. Ausgerechnet Obama, der im Wahlkampf versprochen hatte, eine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel durchzusetzen, hat ein Gesetz unterschrieben, das direkt aus der Feder von Monsanto stammt.
Missouris Senator Roy Blunt, zu dem der ursprünglich anonym eingebrachte Antrag zurückverfolgt werden konnte, gab offen zu, den Text gemeinsam mit Monsanto verfasst zu haben. Der Weltmarktführer hatte dem Politiker in der Vergangenheit mehrfach Wahlkampfspenden zukommen lassen. Der Konzern rechtfertigt das Gesetz zwei Tage nach dessen Unterzeichnung übrigens folgendermaßen (eigene Übersetzung): "Diese legislative Lösung stellt sicher, dass die nationale Landwirtschaftsstrategie nicht vom Gerichtssystem entschieden wird. Gleichzeitig garantiert sie einen Level an Gewissheit, der sicherstellt, dass unsere landwirtschaftlichen Produzenten weltweit führend bleiben."