Erstellt am: 15. 2. 2013 - 19:08 Uhr
Zum Tag des Regenwurms. Eine Huldigung.
Ich bin Gärtner. Wer Pflanzen zieht, muss sich mit dem Boden beschäftigen. Wer sich mit Böden beschäftigt taucht in eine wahrlich komplexe Welt ein und lernt dabei auch eines: Ihn zu schätzen. Den Regenwurm.
Es kann ohne Übertreibung behauptet werden, dass die Regenwürmer einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung, Verbreitung und Versorgung der Menschheit haben. Wie kommt das?
"Standing on the shoulders of earthworms"
Seit 2005 wird der 15.Februar als Tag des Regenwurms gefeiert.
In guten, gesunden, weil humusreichen Böden können 100 bis 500 Regenwürmer pro Quadratmeter gezählt werden. In den Tropen sind es bis zu 2000, auf den Monokulturflächen der konventionellen Landwirtschaft dagegen nur 8-16. Selbst 500 klingt aufs erste recht wenig. Aber wenn ein Wurm im Schnitt ein Gramm wiegt, ergibt das pro Hektar 5000 Kilogramm. Das ist schon was. Vor allem wenn man bedenkt, dass ein Wurm pro Tag die Hälfte seines Eigengewichts frisst.
Während er das tut, durchgräbt er den Boden, durchlüftet, befeuchtet und düngt ihn mit seinen Ausscheidungen. Seine Tunnelsysteme werden von Pflanzenwurzeln genauso gerne angenommen, wie der extrem wertvolle Wurmkot, mit dem die Wurm-Röhren ausgekleidet sind. Die Tätigkeit der Würmer sorgt dafür, dass der Boden mehr Wasser aufnehmen und speichern kann. Von Würmern bearbeitete Erde funktioniert ob ihrer krümeligen Struktur nämlich wie ein Schwamm : "saugfähig" und gleichzeitig exzellent durchlüftet.
Regenwurmkot sieht aus wie Erde und ist deutlich nährstoffreicher, feuchter und weniger sauer als normaler Boden bzw. Ackererde. Wurmkot enthält viele Ton-Humus-Komplexe und ist nicht mit menschlichem Kot vergleichbar. "Pro Jahr können etwa 40-80 Tonnen Regenwurmkot pro Hektar an der Bodenoberfläche und in den Gängen abgesetzt werden, in tropischen Gebieten sogar bis zu 200 t/ha. Wären diese Krümel als gleichmäßige Schicht auf dem Erdboden ausgebreitet, so ergäbe sich in Europa jährlich ein Bodenauftrag von 1-5 mm, in tropischen Bereichen bis zu 14 mm." (DUNGER 1964, S. 80).
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Als die ersten europäischen Siedler Australien erreichten, haben sie zuerst nach Böden mit hoher Wurmdichte Ausschau gehalten. Je mehr Würmer, umso fruchtbarer das Land. Das wussten die Neuankömmlinge aus den Erfahrungen in der Heimat. Ebendort haben sie dann ihre Zelte aufgeschlagen um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Dass es eben diese Böden sind, die im weiteren Verlauf durch den Städte- und Straßenbau versiegelt wurden und werden ist eine Ironie der Geschichte. Eine weitere Ironie birgt die Tatsache, dass ausgerechnet jene Lebewesen, die seit 200 Millionen Jahren an der Fruchtbarkeit des Festlandes "arbeiten" von den Profiteuren dieser Arbeit (uns Menschen) verdrängt und vernichtet werden.
Um zu verstehen wie unendlich blöd wir im Umgang mit dem Werk der Würmer, dem Humusboden umgehen, muss man zuerst anerkennen, wie wichtig die Tunnelsysteme und Ausscheidungen der Regenwürmer für den Boden und damit auch für uns sind.
"Würmer sind die Eingeweide der Erde" (Aristoteles)
Die Wissenschaft unterscheidet grundsätzlich zwischen drei verschiedenen Regenwurm-Typen. Grob gesagt graben die einen horizontal, die anderen vertikal und die dritte Gruppe gar nicht.
Die Vertikalen "Lift"-Würmer leben hauptsächlich von abgestorbenem Pflanzenmaterial, welches sie in ihre Gänge ziehen, dort verrotten lassen und erst anschließend auffressen.
Die horizontal grabenden fressen bereits zersetztes organisches Material (z.B. abgestorbene Pflanzenwurzeln). Die dritte, kleingewachsene aber agile Gruppe lebt nur an der Oberfläche. Zu ihnen zählen die Kompostwürmer.
- In Österreich gibt es 62 Regenwurmarten.
- Der Gemeine Regenwurm wird bis zu 30cm lang, Australien kennt den "red worm", der eine Länge von einem Meter erreicht.
- Der Name leitet sich wahrscheinlich vom – noch im 16. Jahrhundert gebräuchlichen "reger Wurm" ab.
- Sie sind Zwitter und besitzen als solche sowohl Hoden als auch Eierstöcke und Eileiter. Regenwurmsex dauert gut und gerne eine Stunde.
- Sie werden 3-8 Jahre alt.
Beim Fressen nehmen alle Regenwurmarten mehr oder weniger viel Sand und andere Bodenpartikel auf. Dieser Sand zerreibt in einem sehr muskulösen Darm die aufgenommene pflanzliche Nahrung (einige Arten fressen auch Aas). Die Verdauung selbst erledigen Enzyme-produzierende Bakterien. Was der blinde und taube Regenwurm schließlich ausscheidet ist ein gut durchmischter Mix aus organischem und mineralischem Material, angereichert mit Enzymen, Aminosäuren und Bakterien.
Zwar können Regenwürmer nicht die Menge der Pflanzennährstoffe im Boden vergrößern, aber sie können sie konzentrieren und langfristig binden. Wurmkot enthält einen besonders hohen Anteil an Mikroorganismen, die den Boden beleben und die Nährstoffaufnahme für Pflanzen enorm erleichtern. Außerdem können die im Kot enthaltenen Nährstoffe nicht ausgeschwemmt werden; weder durch Regen, noch durch gießen. Anders als mineralischer Kunstdünger kann der "Wurmdünger" nicht das Grundwasser belasten oder die Pflanzen "überdüngen". Kurz: Wurmkot (Wurmkompost) ist der vielleicht beste Dünger-Cocktail, den sich eine Pflanze wünschen kann.
Missachtetes Potential der Würmer
All das ist längst bekannt und hinreichend untersucht. Warum also verwendet unsere Kultur heute teuren, die Umwelt belastenden Kunstdünger? Warum zerstören wir den Lebensraum unserer so wichtigen Wurm-Verbündeten, anstatt uns ihre enorme Produktivität zu Nutze zu machen? Zwei Generationen von Landwirten wurde der Einsatz von Kunstdünger mit Hinweis auf Ertragsmaximierung nahe gelegt. Kurzfristig mag das auch funktioniert haben aber heute verlieren wir umso schneller die Fruchtbarkeit unserer Böden. Die konventionelle Landwirtschaft begegnet diesem Problem mit noch mehr Dünger. Einige wenige Konzerne profitieren davon, die Würmer jedenfalls nicht.
In unseren Breitengraden könnte ein Quadratmeter Erde 100 bis 500 Würmer beherbergen und doch sind es oft nur 16. Verloren gehen aber nicht nur Würmer, sondern auch die Struktur und Wasserspeicherfähigkeit des Bodens, seine gesamte Vitalität. Die Gegenwart von Würmern erlaubt es auch einer ganzen Reihe anderer Lebewesen den Boden zu besiedeln: Bakterien, Pilzen, Insekten, Spinnen… Deren Biomasse übertrifft die der Würmer um das bis zu sechsfache. Je lebendiger ein Boden, umso fruchtbarer, umso wertvoller für die auf ihm wachsenden Pflanzen, umso wertvoller für uns Gärtner, Bauern, Menschen. Leider haben die Würmer keine PR-Agentur im Rücken, keine Lobby, nur den Ruf klein und unbedeutend zu sein. Wir sollten das ändern. Werde Wurm-Lobbyist.