Erstellt am: 26. 11. 2013 - 14:58 Uhr
Wie weit darf Bio gehen?
Der Mann mit dem urigen Bart aus der TV Werbung gibt die Richtung vor. Bio müsse „weiter gehen“. Nur, wohin? Und wer bestimmt darüber?
Der öffentliche Diskussion zum Thema Bio beginnt und endet nicht selten mit der Frage: „Ist bio nicht eh schon längst ein ‚Schmäh‘, eine ‚Mogelpackung‘ unter vielen im Supermarktregal?“
Diese Bio-Diskussion aus KonsumentInnen-Perspektive kratzt aber nur an der Oberfläche. Wirklich spannend sind die Strukturen, die Mechanismen und die Machtverhältnisse, die hinter den Produkten stehen.
dpa/dpaweb/dpa/A2585 Frank Leonhardt
Von außen betrachtet müssen die teils heftig geführten Diskussionen darüber, welche Landwirtschaft das Prädikat „biologisch“ verdient hat, befremdlich erscheinen. Kämpft da die judäische Volksfront gegen die Volksfront von Judäa? Sprich: Sind das nicht bloß Grabenkämpfe der ohnehin Marginalisierten? Man könnte meinen, dass es bei dem Streit um die Frage „Wie weit darf Bio gehen?“ vor allem einen Gewinner gibt: die sogenannte konventionelle Landwirtschaft.
Die Symptome werden behandelt, das System Agrarindustrie nicht
Das System Agrarindustrie, ihre Philosophie und Arbeitsweise werden medial und öffentlich nur selten vertiefend diskutiert. Und das, obwohl 93,6% der in Österreich gehandelten Lebensmittel aus konventionellem Anbau stammen, und dieser Industriesektor regelmäßig mit Skandalen aufwartet.
Sollen die Ökos doch über Stallgrößen, Enthornung, Futtermittel und Düngegaben streiten... Der tonangebenden Agrarindustrie kann eine Aufmerksamkeit bündelnde und zersplitterte Opposition nur recht sein.
Im Zentrum der „wie weit?“ Diskussion (innerhalb der biologischen Landwirtschaft und deren SympathisantInnen) steht die Frage, wie weit die Annäherung an „die Konventionellen“ noch gehen kann, ehe man seine Glaubwürdigkeit, Vorbild-Funktion, Inhalte, ja, Zukunftsfähigkeit verliert.
Es besteht die reale Gefahr, dass die Bio-Bauern heute abermals zu Zulieferern einer Lebensmittelindustrie degradiert werden, deren Gesetzmäßigkeiten der ursprünglichen Motivation der Biobauern-Bewegung diametral entgegensteht. Poppiger und epischer formuliert: Luke Skywalker muss verdammt aufpassen, nicht in die Fußstapfen von Papa Darth zu treten.
Die Bio-Bewegung wollte Alternativen aufzeigen
Am Beginn der Erfolgsgeschichte der österreichischen Biolandwirtschaft in den späten 1970er Jahren (die Ursprünge liegen freilich schon in den 1920ern) war Bio nicht weniger als die gedachte und gelebte Antithese zur Agrarindustrie und deren zweifelhaften Annahmen, Praktiken und Strukturen.
In politischen und sozialen Fragen durchaus uneins, teilten die Pioniere des Biolandbaus doch gemeinsame Ansichten: Eine langfristig tragfähige landwirtschaftliche Produktion müsse auf Kreislaufwirtschaft setzen, also aus Lebendigem Lebendiges schaffen. Nutztiere müssten mit gebührendem Respekt behandelt, den Bauern und Bäuerinnen unbedingt Handlungs- d.h. Entscheidungsspielräume gewährt werden. Die grundsätzliche Idee: Gesunde Böden > Gesunde Pflanzen > Gesunde Tiere > Gesunder Mensch.
Auf der anderen Seite stand und steht eine Agrarpolitik, die spätestens seit den 1950er Jahren für die Agenden der Agrarindustrie ficht. Diese Politik begreift Landwirtschaft als einen Industriezweig, der als solcher per Definition marktwirtschaftlichen Überlegungen folgen muss. Ergo habe sich die Landwirtschaft dem Diktat des Optimierungs-Dogmas zu beugen. Für ernstgemeinte Nachhaltigkeitsüberlegungen ist in diesem Business kein Platz.
Ackerböden werden – völlig unwissenschaftlich – als Substrat, das heißt Produktionsmittel betrachtet, und nicht als lebendige (=fragile) Substanz. Die Nutzpflanzen und -Tiere sind in der Erzählung der Agrarindustrie nichts weiter als Energie-Akkumulatoren, während dem Menschen die Rolle des Konsumenten zufällt: Auf der einen Seite der Bauer, der Futter, Gifte, Dünger, Maschinen kaufen muss, auf der anderen Seite der Kunde an der Supermarkt-Kasse. Irgendwer zahlt, irgendwer kassiert.
Aus einer solchen, d.h. marktwirtschaftlichen Perspektive erscheinen Intensivierung, Spezialisierung und Konzentrierung schlicht notwendig, um „Schritt halten zu können“. Von diesem Prozess, der mit dem Wort Konventionalisierung beschrieben wird, bleibt auch die biologische Landwirtschaft nicht verschont.
Die einen sprechen von „Strukturbereinigung“, die anderen vom „Bauernsterben“
„Wachsen oder weichen?!“ Diese als Frage formulierte Anordnung seitens des Verbunds aus Agrarpolitik und -industrie, beantworteten die frühen Biobauern der 1970er/80er Jahre mit „Ausweichen!“ Sie taten sich zusammen und entwickelten in einem demokratischen Prozess eigene Richtlinien, um sich vom konventionellen Sektor abzugrenzen und dem Handel gegenüber geschlossen auftreten zu können (Die Vertreter der Handelsketten verhandelten damals – anders als heute – noch nicht mit den Bauern direkt, sondern mit deren Ernte-Verband.)
Diese Strategien sind auch Ausdruck dafür, dass „die Biobewegung Handlungsspielräume zurückzugewinnen wollte, die im Zuge der Industrialisierung der Landwirtschaft verloren gegangen waren“, so der Politikwissenschafter Andreas Grünewald bei der Präsentation seiner Forschungsarbeit „Von der Zertifizierung der Natur und der Natur der Zertifizierung“. Heute schrumpft der Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum für Bio-Landwirte zusehends, und die Gründe dafür sind ausgerechnet in der jüngeren Bio-Erfolgsgeschichte zu suchen.
Von der Forderung zur Förderung: die Geschichte des Bio-Booms
Österreich ist heute innerhalb der EU Spitzenreiter, was den Anteil der Biolandwirtschaft betrifft:
2012 wurden knapp 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche biologisch bewirtschaftet, im EU-Schnitt waren es 5,4 Prozent.
Weltweit hat sich die biologisch bewirtschaftete Fläche zwischen 1999 und 2011 von 11 Mio. Hektar auf über 37 Mio. Hektar mehr als verdreifacht
1986 gab es in Österreich 600 Biobetriebe. Heute sind es 22.058 (das sind 16,4 Prozent aller Betriebe) die rund 20% der Landwirtschaftsfläche bewirtschaften.
Diese Zahlen bezeugen nicht nur ein unglaublich rasantes Wachstum, sie deuten auch die grundlegenden Veränderungen an, die der heimische Biolandbau in den vergangenen 20 Jahren vollzogen hat.
Anfang der 1990er Jahre erlebte die Biolandwirtschaft eine erste Boomphase. Grund: Bund und Länder begannen die Bio-Landwirtschaft systematisch zu fördern. Die zweite Boomphase, Mitte der 1990er, wurde mit Österreichs Beitritt zur EU losgetreten. Diese lockte mit attraktiven Bio-Förderprogrammen (ÖPUL), und viele Bauern nahmen das Angebot an. Oft mehr aus der konventionellen Not heraus, denn aus biologischer Überzeugung. Zum Verständnis: Allein zwischen 1995 und 2007 kam es in Österreich im Schnitt zu 12 Betriebsschließungen pro Tag (Hans Weiss, „Schwarzbuch Landwirtschaft“). Diese Entwicklung, auch als „Bauernsterben“ bekannt, umschreibt die Agrarpolitik euphemistisch mit dem betriebswirtschaftlichen Begriff „Strukturbereinigung“.
BMLFUW
Die vermeintlichen Standesvertreter der Landwirte haben diesen offenkundigen Verdrängungs- bzw. Konzentrationsprozess nicht nur nicht aufgehalten, sie haben ihn sogar befördert: Nach außen hin gibt die politische Vertretung der Bauern vor, den unter Druck geratenen „Landschaftspflegern“ eine Existenz sichern zu wollen. In der Praxis fließen aber 80% der Agrarförderungen in die Richtung der Problemverursacher. Zu Privatstiftungen, Großgrundbesitzern, Konzernen, Politikern. Die Umstellung auf Bio war für viele bäuerliche Betriebe die einzige Möglichkeit, dem großen Reinemachen zu entgehen. Der Weg in die Bio-Landwirtschaft bedeutete also keineswegs eine unbedingte Identifikation mit den Inhalten der Bewegung.
Ist Bio ein Wert? Ein Prinzip? Oder doch nur eine Richtlinie?
Die schnelle Expansion der Bio-Anbauflächen führte in der Folge zu einem „Angebotsüberhang“, der die damaligen Bio-Vertriebs- & Vermarktungsstrukturen schlicht überforderte. Nicht wenige Bio-Bauern stiegen wieder um. Bis die Supermärkte die Bühne betraten und anboten, ihre Regale künftig auch mit Bio-Produkten zu füllen. Der Rest ist eine quantitative Erfolgsgeschichte, die sprechende Schweinderl hervorbringen sollte und Österreich zum Europameister in Sachen Biolandwirtschaft gemacht hat.
Der Erfolg der Marke Bio untergräbt jedoch die Vision einer alternativen Landwirtschaft. Denn der Schulterschluss mit den mächtigen Handelsketten gewährleistet zwar Absatzsicherheit für große Teile der Bio-Landwirtschaft, bugsiert diese aber auch in eine zunehmende Abhängigkeit. Bio ist heute einem globalisierten und stark konzentrierten Markt samt dessen industriellen Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen unterworfen. 2010 entfielen 68% der gesamten Bio-Umsätze auf den Lebensmitteleinzelhandel, der von den drei Riesen Rewe/Billa, Hofer und Spar dominiert wird.
Bauer oder Zulieferer?
Die großen Lebensmittelketten nehmen Bio-Bauern heute zunehmend direkt unter Vertrag. Vorausgesetzt natürlich, dass diese die jeweils eigenen Standards erfüllen. Gab es einst nur ein Bio-Gütesiegel, so gibt es heute eine ganze Palette. Die Handelsketten haben nämlich die Möglichkeit genutzt, eigene, das heißt private, strengere Standards festzulegen. Es ist tatsächlich so, dass der Handel heute bestimmt „wie weit Bio gehen muss“.
Das Wort „muss“ weist dabei auf das zentrale Problem hin. Denn die Inhalte der Gütesiegel werden nicht im Dialog mit den Bauern formuliert. Das Machtgefüge hat sich verschoben.
In der ursprünglich gedachten Biolandwirtschaft stand der Bauer im Zentrum – heute sind es die immer strenger werdenden Standards selbst.
Wer zahlt, schafft an. Die Produktionsbedingungen werden angeordnet und von Kontrolleuren überprüft. Eine Feedback-Kultur gibt es kaum, wie die aktuelle Analyse „Von der Zertifizierung der Natur und der Natur der Zertifizierung“ von Andreas Grünewald zeigt. Der Politikwissenschaftler weist in seiner Arbeit auch darauf hin, dass sich die Beziehung zwischen Gütesiegel und Bauern verkehrt hat: Waren die Standards ursprünglich dazu gedacht, die Bewirtschaftungsmethode nach außen hin abzubilden, geben sie heute selbst vor, wie gearbeitet werden soll.
„Muss“ heißt auch: Zwang, Gebot, Bedingung
Auch wenn die Bio-Großabnehmer glaubwürdig vermitteln, dass sie nur das Beste für den heimische Biolandbau wollen: die privaten, externen Standards verringern die Handlungsspielräume auf den Höfen, nach individuellen, lokal angepassten Verfahren zu wirtschaften. Damit steht aber nicht weniger als eine zentrale Zielsetzung der Bio-Landwirtschaft zur Disposition: Die Freiheit, das Richtige zum richtigen Zeitpunkt tun zu können. Selbstverantwortlich entscheiden zu können, für wie viele Tiere man Zeit, Platz und Futter hat, welche Fruchtfolge die beste für den ganz individuellen Boden ist, was man sich selbst und seiner Familie zumuten will.
Der holistische (ganzheitliche) Ansatz, der die biologische Landwirtschaft ursprünglich ausgemacht hat, lässt sich nur bedingt mit den Wünschen und Vorstellungen von Marketingstrategen vereinbaren. Die Mitarbeiterin einer Kontrollstelle formuliert diesen Widerspruch so: „Man kann die beste Richtlinie erlassen und damit den Biolandbau umbringen“.
Vergibt die österreichische Agrarpolitik eine historische Chance?
Lebensministerium
Wie weit darf Bio gehen?
Die "Analyse von Konventionalisierungsrisiken im Bereich der biologischen Landwirtschaft Österreichs" der Bundesanstalt für Bergbauernfragen gibt es hier auch als Download.
Was wäre, wenn die heimische Landwirtschaft ihr wahres Potential zum Ausdruck bringen würde? 100% Bio. Was wie ein naiver, grüner Fieberwahn klingt, ist nicht nur möglich, sondern naheliegend: Österreich verfügt über fruchtbare Böden, eine erfahrene, historisch gewachsene, kleinstrukturierte Landwirtschaft und über bäuerliches Know-how, von dem andere Länder nur träumen können.
Die eigentliche Stärke der heimischen Landwirtschaft lässt sich auch in einem Verhältnis ausdrücken: Hirn pro Hektar. Keine andere Industrienation könnte seinen Böden so viel Aufmerksamkeit widmen: 72% der österreichischen Betriebe bewirtschaften weniger als 30 Hektar.
Die Voraussetzungen für eine tatsächlich nachhaltige Landwirtschaft, die auf adäquate Techniken setzt, sind hierzulande also ideal. Dr. Wilfried Hartl (Bio-Forschung Austria) argumentiert, dass die heimische, kleinteilig strukturierte Landwirtschaft im Grunde genommen eine Gartenlandschaft ist.
Umso widersinniger sei die gängige Praxis, diese Flächen mit agrarindustriellen Techniken und Gerätschaften zu bewirtschaften, die für US-amerikanische Gegebenheiten mit durchschnittlichen Betriebsgrößen um die 180 Hektar entwickelt worden sind. Große, schwere Maschinen, Kunstdünger, Monokulturen, intensive Unkraut & Schädlingsbekämpfung etc. sind kostenintensive und substanzschädigende Werkzeuge, die österreichische Landwirte schlicht nicht brauchen.
Flexibel und smart, statt groß und behäbig
Man stelle sich vor, dieses kleine Land wäre tatsächlich federführend bei der Entwicklung einer zukunftstauglichen, weil energieextensiven Landwirtschaft von morgen. Einer Landwirtschaft, die Bio weniger entlang von Verbotskatalogen denkt, sondern auf spezifische, regionale Gegebenheiten Rücksicht nimmt und auf Wissenstransfer baut.
Das Potential ist enorm. Es zu erkennen und zu fördern wäre die eigentliche Aufgabe der politisch Verantwortlichen. Außerdem: Was ist ein locker herausgespielter, selbstgebastelter Europameistertitel schon wert, wenn man ein echter Bio-Weltmeister sein könnte?