Erstellt am: 26. 4. 2013 - 17:45 Uhr
Beehave, Lobbyists! Beehave.
Die industrielle Landwirtschaft drangsaliert unsere Umwelt seit Dekaden mit Giften, über deren Wechselwirkungen und Abbauprodukte bestenfalls spekuliert werden kann. Einmal ausgebracht verschwinden diese Stoffe nicht mehr aus der Welt. Sie sind noch viele Jahre nachweisbar, reichern sich in Organismen und Grundwasser an und vergiften diese(s). Zugelassen sind diese Produkte der Agrochemie trotzdem. Einmal auf den lukrativen Markt gebracht, sind sie nur äußerst schwer wieder loszuwerden. Wie schwer, zeigt sich aktuell an der Diskussion zum angedachten (EU-weiten) Teil-Verbot sogenannter Neonicotinoide.
Anlass ist ein massenhaftes Bienensterben, das zahlreiche seriöse Studien unmittelbar mit dem Einsatz dieser Nervengifte auf landwirtschaftlich genutzten Flächen in Verbindung bringen. Neonicotinoide sind hochwirksame, systemisch wirkende Insektizide, die seit 1991 auf dem Markt sind. Verschiedene Produkte auf Neonicotinoid-Basis sind weltweit im Einsatz. Seit Jahren wissen wir, dass dieses Nervengift nicht nur "Zielorganismen" (wie beispielsweise den Maiswurzelbohrer), sondern eben auch Bienen trifft. In welchem Ausmaß, darüber wird allerdings viel gestritten.
dpa/Fredrik von Erichsen
Warum Giftmischer ausgezeichnet verdienen
Monokulturen sind ihrer Natur nach besonders anfällig für Schädlinge aller Art. Um die Verluste in Grenzen zu halten, muss die konventionelle Landwirtschaft massiv und zyklisch auf sogenannte Pestizide zurückgreifen, auf Giftcocktails. Serviert werden dieses von global agierenden Konzernen wie Syngenta, BayerCropScience, DuPont oder Monsanto. Die Produktion von chemischen Produkten für die Agrarindustrie ist ein gigantisches Business, das diesen Konzernen jährlich Milliardenumsätze beschert. Dieses glänzende Geschäft wird allerdings überschattet von immer wieder auftauchenden Bedenken bezüglich der Umweltverträglichkeit der produzierten Gifte. Die kommen von Konsumenten- und Umweltschützern, Biologen, Medizinern, Fischern, ... und Imkern.
Die Liste der Beschwerdeführer ist lang
Die Meinungsführerschaft zur Frage, wie gefährlich der Einsatz von sogenannten „chemischen Schädlingsbekämpfungsmitteln“ tatsächlich ist, wird über wissenschaftliche Studien ausgetragen. Die Schlachtfelder sind Gerichtshöfe, Parlamente, Medienberichterstattung. Es geht vorrangig um Zulassungsbescheinigungen (also den rechtlichen Rahmen, in denen sich die Agro-Chemie bewegen darf), aber auch um die Meinung der Öffentlichkeit. Diese steht der Agrarindustrie heute entweder gleichgültig oder - angestachelt von diversen Mahnern - misstrauisch gegenüber. Genährt wird solches Misstrauen aktuell von einem vermeintlich „mysteriösen“, massenhaften Bienensterben.
Ja, die Bienen, unsere „drittwichtigsten Nutztiere“, sterben in Scharen. Egal ob in Kalifornien, China, Australien oder Österreich. Die Bienenvitalität ist aus unterschiedlichen Gründen geschwächt. Zu den bekannten Ursachen zählen: Genetische Selektion, Überarbeitung, (Präventiv-)Medikamentierung, Mangelernährung, Befall durch Varroamilben und andere Parasiten (Pilze, Bakterien) und vor allem: die chemische Keule.
Bienen sind - wie ungezählte andere Insekten auch- Umweltgiften mehr oder weniger schutzlos ausgesetzt. Sie nehmen sie in Form von Pollen und Nektar auf, tragen sie in den Stock, wo sich die Gifte anreichern und schon die Brut mit den hochtoxischen Stoffen gefüttert wird.
Neonicotinoide gelten als ganz heißer Kandidat auf den Titel "Hauptverursacher des Bienenmassensterbens"
Zumindest, und das ist hinreichend untersucht, beschleunigen und verstärken diese Stoffe das Phänomen. Schon kleinste, kaum messbare Mengen des Nervengifts stören den Orientierungssinn der Honigbiene erheblich und schwächen zusätzlich ihr ohnedies schwer angeschlagenes Immunsystem.
Oft finden vergiftete Bienen nicht in den Stock zurück. Im Extremfall fanden Imker ihre Beuten (Bienenbehausungen) gänzlich verlassen vor. Zurück blieb nur die Königin samt Honigtracht und Brut. Dieses Phänomen, Colony Collapse Disorder genannt, ist traurig, sicher, aber längst nicht so geheimnisvoll wie es die Agrarlobby gerne dargestellt wissen will. Auch die hohen Verluste nach der Winterpause werden mit dem Einsatz von Insektiziden in Verbindung gebracht. Ein Viertel(!) der österreichischen Bienen hat den letzten Winter nicht überlebt.
Geht’s der (Land-)Wirtschaft gut, geht’s der (Land-)Wirtschaft gut
Wenn also die Neonicotinoide ausgemachte Protagonisten im Bienensterben-Drama sind, warum sind sie dann nicht verboten? Gegenfrage: Warum ist der österreichische Landwirtschaftsminister gleichzeitig Umweltminister? Sind in so einer Konstruktion Interessenskonflikte nicht vorprogrammiert? Nein, sagt Minister Berlakovich und argumentiert im aktuellen Fall damit, dass in den vergangenen drei Jahren immerhin 4,5 Mio. Euro für das österreichische Bienenprogramm zur Verfügung gestellt worden seien. Der Schutz der Biene, so Berlakovichs Büro, habe „seit jeher oberste Priorität“.
Wie weit diese reicht, hat das Umweltministerium erst vor kurzem unter Beweis gestellt, als die EU-Kommission sich für ein vorübergehendes Aussetzen von Neonicotinoiden stark gemacht hat, Berlakovich aber nicht mitgezogen ist. Vorschlag abgelehnt. Die Verluste seien „marginal“. Andernfalls „stünde ein Verbot dieser Mittel außer Frage.“
dpa-Zentralbild/Patrick Pleul
Zur Vorgeschichte: Anfang des Jahres veröffentlichte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) einen Bericht, der inhaltlich auf eine Neubewertung von drei Neonicotinoid-Wirkstoffen abzielt. Diese Gifte stellten „ein für Bienen nicht akzeptables Risiko“ dar und sollten daher vom Markt genommen werden. In der Folge hatte die EU-Kommission eine Entscheidung über das Verbot auf kommenden Montag vertagt, weil sich keine qualifizierte Mehrheit für das (Teil)Verbot dieser Nervengifte fand. Neun Staaten stimmten dagenen, darunter Österreich.
Die Lobby der Agrochemie freute sich sehr und so veröffentlichte Bayer CropScience diese Pressemitteilung: „Das Fehlen einer Mehrheit ist eine klare Bestätigung dafür, dass keine überzeugenden Argumente gegen den weiteren Einsatz von Produkten auf Basis von Neonicotinoiden vorliegen.“
Tatsächlich scheint das Fehlen einer Mehrheit aber vielmehr eine klare Bestätigung dafür, dass manche Volksvertreter entweder keine Studien lesen, oder sie aber nicht richtig interpretieren können: Das großangelegte Projekt "Melissa" (der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) hat drei Jahre lang tote Bienen in Österreich untersucht. Dabei wurde auch der Frage nachgegangen, wie sich "Maisschutzmittel" (Neonicotinoide) auf die Bienengesundheit auswirken. 50 Prozent der 2011 untersuchten Verdachtsproben hatten sich als Schäden durch Neonicotinoide erwiesen.
Die Ergebnisse der Studie lagen dem Minister Berlakovich übrigens schon vor, als er sich gegen das Verbot auf EU-Ebene ausgesprochen hatte. Wie wird er am kommenden Montag entscheiden, wenn es in Brüssel zur entscheidenden Abstimmung zum Teilverbot dreier Neonicotinoide im Berufungsausschuss kommen wird? Zeit, seine Papiere durchzulesen, hätte er ja noch. Wenn da nur nicht diese permanente Doppelbelastung wäre…