Erstellt am: 29. 4. 2014 - 19:15 Uhr
Was heißt hier prekär?
Hörtipp
Mittwoch, 16-17 Uhr in FM4 Connected: Sind die etablierten Interessensvertretungen noch zeitgemäß? Diskussion mit GPA-djp und Initiative Abfallberatung. Anrufen unter 0800 226 996
Auch wenn man vielleicht erst den "Klassiker" vom ausgebeuteten Dauer-Praktikanten vor Augen hat, kann "Prekariat" viele unterschiedliche Beschäftigungsformen meinen. Bestimmend ist ein Zusammenspiel mehrerer Mangelerscheinungen: wer zu wenig Geld, Zeit, Sicherheit und Perspektiven vorfindet, arbeitet wahrscheinlich unter prekären Bedingungen.
Nicht nur, aber besonders oft gefährdet sind "atypisch" Beschäftigte. Eine hundertprozentig trennscharfe Definition für atypische Beschäftigung gibt es nicht. Grob gesagt fallen darunter Arbeitsverhältnisse, die nicht der althergebrachten unbefristeten Vollzeitanstellung entsprechen. In Österreich arbeiten laut Statistik Austria knapp ein Drittel der unselbstständig Beschäftigten unter "atypischen" Verhältnissen. Darunter fallen Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung (bis 395,31 Euro/Monat), Freie Dienstverträge, befristete Anstellungen und
Arbeitskräfteüberlassung, also Leiharbeit.
Kaum statistisch fassbar sind dagegen die "atypischen" Selbstständigen – das betrifft vor allem "Neue Selbstständige" (Freiberufler ohne "Gewerbeschein", von der IT-Spezialistin bis zum Psychotherapeuten) und Scheinselbstständige, also Menschen, deren Tätigkeit einem Dienstverhältnis ("Anstellung") gleichkommt, die aber abgerechnet werden wie selbständige Ein-Personen-UnternehmerInnen. Die Arbeiterkammer schätzt den Personenkreis der Scheinselbstständigen auf mehrere zehntausend Menschen.
Wie ist es dazu gekommen?
Die zunehmende Aufsplittung in verschiedene Formen der oft unsicheren Beschäftigung lässt sich nicht an einer einzigen Ursache festmachen. Was davon politische Entscheidung und was notwendige Entwicklung ist, liegt im Auge des Betrachters. Jedenfalls beigetragen haben: der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft mit individualisierteren Arbeitsbildern gemeinsam mit der Tendenz, Routinearbeiten und Randbereiche auszulagern. Organisatorische Vernetzung und Flexibilisierung haben zugenommen – Arbeitsbilder und damit die Ansprüche an die Beschäftigten wandeln sich heute schneller als vor zwanzig Jahren, Digitalisierung und ständige Erreichbarkeit tragen dazu bei, dass Arbeit mehr ins Private hineinreicht. Immer mehr Frauen sind erwerbstätig, sehr viele von ihnen teilzeitbeschäftigt. Auf einem globalisierten Arbeitsmarkt stehen Standortwettbewerb und Sozialpolitik im Widerstreit und nicht zuletzt bröckeln in der Krise Arbeitsplätze weg und so manche "wählen" dann mehr oder weniger zwangsläufig den Weg in die Selbstständigkeit.
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Who cares? Leben im Prekariat
Special am Mittwoch, 30. April in FM4 Connected (15-19 Uhr) und auf fm4.ORF.at
- Beim Kugerlwirt: Was hat Bubble Tea mit Leben im Prekariat zu tun? Wir haben versucht, es uns vorzustellen: eine Soap
- Waschen, schneiden, leben: Wenn FriseurInnen sich ihren Job kaum leisten können
- Ausbeuten 2.0: Wie man als Start-Up hochqualifizierte PR-Leute ausnützt
- Who cares? Was heißt "prekär" und welche Anlaufstellen gibt es? Links und Tipps.
- Studiodiskussion und Reportagen für 7 Tage on Demand.
Hard work, hardly paid
Heikel, unbeständig, kritisch, unerfreulich... in diesem Bedeutungsfeld bewegt sich je nach Lexikon der Begriff "prekär". Die eingangs genannten Mangelerscheinungen, also zu wenig Geld, Zeit, Sicherheit und Perspektiven, lassen sich an mehreren konkreten Problemen ablesen:
Wenig Job- und damit finanzielle Sicherheit, generell niedriger Verdienst (abseits von Kollektivverträgen) und Probleme mit der Sozialversicherung sind nur ein paar davon. Langfristige Folgen ergeben sich durch wenig Planbarkeit; geringe Möglichkeiten zur Weiterbildung. Stress und Überlastung können mürbe machen und die Lebensplanung zum Stottern bringen: mit jedem "prekären" Jahr sinkt etwa die Wahrscheinlichkeit von Nachwuchs bis zum 35. Lebensjahr um acht Monate, und auch wer keine Kinder möchte, muss sich vor Burn-Out und Altersarmut fürchten.
Darüber reden
Die Arbeiterkammer ist in Österreich gesetzliche Interessensvertretung für ArbeitnehmerInnen – daneben kann man auf freiwilliger Basis einer der sieben Teilgewerkschaften des Österreichischen Gewerkschaftsbundes beitreten. Sind diese etablierten Interessensvertretungen noch zeitgemäß aufgestellt? Was tun bei Scheinselbstständigkeit? Barbara Kasper von der Gewerkschaft der Privatangestellten diskutiert mit Ulli Müller von der Initiative Abfallberatung, deren Mitglieder jahrelang bei der Gemeinde Wien prekär bzw. scheinselbstständig beschäftigt waren: Am Mittwoch, 30. April von 16 bis 17 Uhr in FM4 Connected. Anrufen geht aus ganz Österreich kostenlos, die Nummer ins Studio ist 0800 226 996. Fragen an die Diskussionspartner kannst Du auch jetzt schon an fm4@orf.at schicken.
Wer hilft, informiert, organisiert
- ÖH-Arbeitsvertragscheck Seit kurzem kann man seinen Arbeitsvertrag bei der HochschülerInnenschaft gratis durchchecken lassen.
- Flexpower-Service ÖGB & AK beraten Werkvertrags- und freie DienstnehmerInnen einmalig kostenlos
- Amici delle SVA Initiative für ein gerechtes Sozialversicherungssystem für Selbstständige
- Prekär Café AktivistInnen-Kollektiv rund um Selbstorganisation und Debatte
- Initiative Abfallberatung Alles zum Arbeitskampf der AbfallberaterInnen bei der Gemeinde Wien (mehr dazu auf fm4.ORF.at)
- Die Initiative Übernahme engagiert sich für gleiche Arbeitsbedingungen und faire Dienstverhältnisse für alle im Krankenanstaltenverbund Wien
Ganz analog kann man am 1. Mai ins Thema eintauchen. Parallel zu Maiaufmarsch und Tag-der-Arbeit-Feiern findet in Wien die "Parade der Prekären" statt, Start ist um 13 Uhr am Columbusplatz.
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