Erstellt am: 23. 4. 2014 - 21:53 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 23-04-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Der Glawogger-Nachruf von Anna-Katharina Laggner.
Es sind die Momente wo man fast vom Stuhl fällt. Die Nachricht vom Tod Michael Glawoggers heute mittag, in Liberia an einer Malaria gestorben; ich japse nach Luft, suche die letzten Blogeinträge, lese die ersten Reaktionen und flüchte dann raus aus dem Funkhaus.
Nein, es hat nichts mit der berühmten Bewusstwerdung der eigenen Sterblichkeit zu tun, die einen in solchen Momenten angeblich erwischt, mit diesem Flash-Interview-Nonsens der Nachruf-Kultur. Und auch nicht unendlich viel mit der Tatsache, dass Glawogger ein knappes Jahr älter war als ich. Klar ist einer, der sich immer wieder der Anstrengung von Reisen in in jeder Hinsicht riskante Gebiete aussetzt, leichter angreifbar als ein Väterteilzeitler in Wien.
Es ist auch nicht so, dass ich Glawogger als guten oder überhaupt als Bekannten ausweisen würde. Aber nach einer irgendwie auch flüchtigen Episode in einer gemeinsamen Arbeitssituation habe ich alles, was er unternommen hat, einfach genauer angesehen, als ich es bei anderen Filmern machen würde. Zuerst aus einer fundamentaloppositionellen Haltung heraus; auch weil er sein Credo, dass der sogenannte Dokumentarfilm keineswegs eine Abbildung der Wahrheit, sondern immer nicht nur gestaltet, sondern inszeniert sei, damals noch nicht formulieren konnte oder wollte, eher im Gegenteil.
Später, rund um Workingman's Death ist mir aufgefallen, dass sich Glawogger dem gestalteten Geschichtenerzählen, dem bewussten Verzicht auf sowas Virtuelles wie Objektivität einfach nur von einer anderen Seite angenähert hatte als ich. Es hat dann bis Contact High und Whores' Glory gebraucht, um mich als Fan zu outen.
Aber auch das ist nicht der Punkt, warum mir diese mittägliche Todesnachricht diesen Schlag in die Magengrube versetzt hat. Es hat vielmehr mit der Herangehensweise Glawoggers an so ziemlich alles zu tun. Zuerst anschauen, genau anschauen, genau beobachten, dann einen Erzählschlüssel finden, Winkel und Personal sortieren und dann abbilden. Das ist eine Vorgangsweise, die ohne viel Gerede auskommt. Ich kann mich an keinen einzigen schwätzenden Glawogger erinnern; wenn ich ihn vor mir sehe, dann zuhörend oder beobachtend, in jedem Fall schweigend oder mit einzelnen, schweren Sätzen.
APA/Herbert Neuhauser
Ich finde, das sieht man seiner Arbeit auch an. Egal ob es Bilder von unter ihrer Last zerberstenden aufgekratzten Kiffern oder Schwefelschlepper sind, das betonte Schweigen der auf sie gerichteten Kamera macht sie intensiver, lässt sie genauer geraten.
Andersrum erklärt: ich kann zunehmend, auch im medialen Umgang, aber noch mehr privat, nicht mehr mit den Herausplatzern, den Immer-Eine-Antwort-Habern, den Immer-Fragen-Stellen-Müssern, den Meinungs-Äußerlnführern, den immer wieder Empörten und Schnell-Erregbaren. Ich beginne jenen, die sich dialoginteressiert geben, aber in Wahrheit das erstbeste Stichwort im spätestens zweiten Satz dazu nützen, ihre bereits vorab vorbereitete zweite Wort-Welle loszuschicken, zunehmend mit Bösartigkeit zu begegnen. Ich weigere mich, die quatschigen Monologe von Eh-Alles-Wissern, die sich mit dieser Methode die eigene Angst vor der Komplexität der Wirklichkeit weglallen müssen, mit freundlichem Interesse zu quittieren. Ich kann Menschen, die alles in simplen Erklärungen, in kurzen Sätzen mundgerecht serviert brauchen, nur noch mit Verachtung gegenübertreten.
Mir ist schon klar, wo diese Unsitten-Sammlung ihre Ursache hat (durch die Anforderungen einer exponentiell diverser werdenden Welt, totale Überforderung jener, die nie gelernt haben sich komplexen Fragen zu stellen). Ich weigere mich aber zunehmend entsprechende Rücksicht zu nehmen. Nicht ich muss mich an die Unkultur der schnappigen Schlagzeilen-Gags anpassen, die an Autoimmun-Logorrhoe Leidenden brauchen eine Kur der Solosprech-Entschlackung, heftige Nachhilfestunden im konstruktiven Zuhören und eine Auffrischung in sinnerfassender Zusammenfassung von anderen Ansichten.
In einer an Quatschköpfen reichen Branche wie der Filmerei und in einer Kulturlandschaft, in der offensives Blendertum, öffentliche Gag-Schleuderei und Schreihalsigkeit als Tugenden gelten, war Glawogger einer von jetzt nicht allzu vielen (mir bekannten), die genau andersrum vorgegangen sind: anschauen, genau beobachten, eine Erzählschlüssel finden, sortieren und abbilden.
Ich gebe zu: wäre Glawogger auch einer jener gewesen, die sich in allererster Linie einmal gern selber reden hören, dann wäre die Nachricht heute Mittag nicht so tief reingegangen. So aber hat es mich mehr gebeutelt als mir lieb war. Nicht wegen dem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit, sondern wegen des Verlusts eines Menschen mit einem vorbildlichen Ansatz. Eines Ansatzes jenseits jeder klassischen humanistischen Geste, jenseits eitler Ausstellung von Philanthropie, sondern voll von Pragmatismus und Neugier. Neugier auf die Ungereimtheiten, auf die Differenzen und Zwischenräume, und auch dann zufrieden, wenn das eigene Weltbild neu definiert werden muss.
Keine Ahnung ob ich da allzu viel in Glawogger hineininterpretiere, aber so kam er mir immer vor. Und das fand ich bemerkenswert; und es schaudert mich, wenn es jetzt weniger davon gibt.
Das Bewusstsein meiner Sterblichkeit hat mir heute schon vormittags entgegengelacht, mir ist ein Stückerl Zahn ausgebrochen; Ja, und Hermes Phettberg geht's gut, habe ihn friedlich im Park sitzen sehen, inmitten von blühendem Flieder, in Begleitung.