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Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

23. 4. 2014 - 19:52

Is this news or may we enjoy it?

It is news, leider. Der Filmemacher Michael Glawogger ist in der Nacht zum 23. April gestorben.

Michael Glawogger ist tot
Der österreichische Filmemacher Michael Glawogger ist im Alter von 54 Jahren gestorben. Bei Dreharbeiten zu einer Doku in Liberia ist er an Malaria erkrankt.

Aus aktuellem Anlass ändert der ORF sein Programm. Mehr Infos und ein FM4 Doppelzimmer Spezial aus dem Archiv findet ihr hier.

Martin Blumenau zum Tod Michael Glawoggers

Erst gestern, am 22. April, ging sein letzter Blogeintrag online. Michael Glawogger rätselt darin über ein mysteriöses Loch in einer Mauer in Harper in Liberia. Statt jemanden zu fragen, beobachtet er lieber drei Tage lang die Menschen, die zu dem Loch gehen, kurz reden, etwas durchreichen und wieder verschwinden.

Michael Glawogger

Hubert Mican

Glawogger hat sich im Dezember vergangenen Jahres aus Pitten in Niederösterreich, wo er gelebt hat, auf eine Weltreise gemacht, um den Zauber des Augenblicks einzufangen. Er wollte das festhalten, was er auf seinen anderen dokumentarischen Reisen außen vor lassen musste, da ihm der filmische Fokus - etwa auf Prostitution oder auf Schwerstarbeit - es nicht erlaubt hat, zufällig Gefundenes, Nebensächliches, Alltägliches zu drehen. Tragischerweise nannte er sein aktuelles Projekt "Film ohne Namen". Es sollte ein Film der kleinen Geschichten werden, ein Film über die Schönheit, über das Glück und jedenfalls ganz anders, als alles, was er bisher gemacht hat, hat Glawogger in einem Interview mit dem Standard gesagt.

In diesen letzten Wochen seiner Reise durch Kroatien, Albanien, Italien, Marokko, Mauretanien, den Senegal und zuletzt Liberia konnte man in den regelmäßigen Blogeinträgen - man kann es kaum ein Tagebuch nennen, denn Michael Glawogger schrieb konsequent in der dritten Person über sich selbst - auf den Websites des Standards und der Süddeutschen die literarische Seite von Michael Glawogger kennenlernen, seine poetische Präzision als ergänzendes Gegenstück zu seiner Bildgewalt. Die Texte waren zart, grübelnd, immer wieder traurig und mysteriös, es ging um Müdigkeit, um Träume (in diesem Text erinnert sich Glawogger an ein Doonesbury Cartoon, in dem Kinder ihre Eltern fragen "Is this news or may we enjoy it"), um das Reisen mit dem Zug.

Michael Glawogger kann nicht eingeordnet werden, er hat Dokumentar- und Spielfilme gedreht, sich dadurch ausgezeichnet, dass er immer Neues entdecken wollte und ausprobiert hat, eine Schönheit gesucht und wahrgenommen hat und sie auch vermitteln konnte. Was verstörend war. Sowohl in seinem letzten langen Dokumentarfilm "Whore´s Glory", als auch in "Workingman´s Death", in dem er härteste Arbeit - in einem Bergschacht in der Ukraine oder in einem Schlachthof in Nigeria - ästhetisch eingefangen hat. Er selbst hat in seiner ruhig-bedachten Art dazu nur gesagt: "Was der Film wiederspiegelt, ist, was ich gefunden habe".

Dokumentation "Megacities"

Lotus Film

"Megacities"

Als Dokumentarfilmer, der die negativen Folgen der Globalisierung thematisiert, wurde er zwar bezeichnet, hat sich selbst aber nie so gesehen. Er konnte mit dem Begriff der Globalisierung in Bezug auf seine Arbeit nichts anfangen. Obwohl bereits "Megacities" (1998), sein erster international erfolgreicher Dokumentarfilm, an Brennpunkten der Globalisierung spielt und Menschen porträtiert, die prekär arbeiten, unter schwierigsten Bedingungen leben und derart momentan, dass man an Zukunft gar nicht denken kann. "Megacities" ist ein Film ohne Kommentar aus dem Off - diesem Prinzip ist Glawogger immer treu geblieben - ohne Erklärung, ohne Interviews und insofern alles andere als das, was gängigerweise als globalisierungskritisches Kino gilt.

Paulus Manker im Schnee

Lotus Film

Was seine Spielfilme betrifft, war Michael Glawogger ein Schelm mit Hang zur bösartigen Groteske, was in "Slumming" (2006) am härtesten umgesetzt wurde. Zwei Yuppies (Michael Ostrowski und Daniel Brühl) betreiben Lausbubenstreiche, ohne die Herzen von Lausbuben in sich zu tragen. In der Nacht packen sie einen betrunkenen alten Poeten (perfekt gecastet mit Paulus Manker) in ihr Auto und setzen ihn in Tschechien aus. Der wacht auf, weiß nicht, wo er ist, will aber zurück. Sein verzweifelter Marsch durch die tschechische Winterlandschaft zählt zu den traurigsten Bildern, die das österreichische Kino in den letzten zwei Jahrzehnten hervorgebracht hat.

Michael Glawoggers letzter Film bleibt unvollendet, obwohl er seine momentane Drehmethode "anticipating serendipity", also das Vorausahnen der glücklichen Fügung genannt hat. Ein sehr, sehr großer Verlust.