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12. 9. 2011 - 11:22

"Eine ernsthafte Verbeugung"

Die Funktion der Prostituion in einer Gesellschaft und warum die mexikanische Mafia seine Filme sehen wollte: Michael Glawogger im Interview über seine Doku "Whore's Glory".

Über vier Jahre hat sich der österreichische Regisseur Michael Glawogger mit dem Thema Prostituion beschäftigt und für seinen Film "Whore's Glory" Frauen in Thailand, Bangladesh und Mexiko in deren Alltag begleitet. Bei den Filmfestspielen Venedig wurde "Whore's Glory" in der Nebenreihe Orizzonti der Spezialpreis der Jury verliehen. Petra Erdmann hat Michael Glawogger bereits vor den Filmfestspielen in Venedig zum Interview getroffen.

Petra Erdmann: In der Dokumentation "Whore's Glory" fällt auf, dass der Blick auf den Alltag fällt, das "daily business" mit Freiern und Vermittlern, die wie Geschäftsleute wirken. Man sieht keine "bösen" Zuhälter, keine schwierigen Freier - warum?

Michael Glawogger: Weil sie nicht vorkamen. Ich habe weder etwas gesucht, noch wollte ich etwas weglassen. Was der FIlm wiederspiegelt, ist, was ich gefunden habe. Jeder Mensch hat Vorstellungen, wie es in einem Bordell zugeht, viele waren noch nicht dort. Ich war dort, ich war jahrelang dort und das ist, was ich zu berichten habe und was ich nach Hause gebracht habe. Es gibt böse Freier und es gibt Verbrechen in der Prostitution, aber das tägliche Business, der Alltag in dieser Welt, der schaut ziemlich genau so aus wie in meinem Film.

Michael Glawogger

APA

Michael Glawogger

Sie haben die Prostituierten, sie sich in "Whore's Glory" vor die Kamera begeben, bezahlt. Ist dieser Austausch "Geld" gegen "Bilder" ein befreiender, den man ja nicht immer im Dokumentarfilm wählt?

Ich wähl den immer, weil ich das nicht einsehe, dass Menschen, die mir Zeit opfern und die ihr Leben in irgendeiner Weise für einen Film herzeigen, nicht auch von mir etwas dafür bekommen sollten. Hier hatte ich natürlich keine andere Wahl, weil das in diesem Milieu anders sowieso nicht in Frage kommt.

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Sie haben sehr lang recherchiert, was war das Mühsamste und was war das Erfreulichste in diesem Rechercheprotzess?

Das Mühsamste war die verbrannte Erde, die viele Journalisten zu diesem Thema hinterlassen haben. In einem Bordell oder überhaupt in diesem Milieu nehmen sich ganz viele Leute heraus, heimlich zu filmen, Theorien zu verbreiten, ihr Weltbild den Prostituierten vor die Nase zu setzen, statt zu schauen, was dort wirklich passiert. Ich musste sehr viel Zeit investieren und Aufklärungsarbeit leisten, um in irgendeiner Form das Vertrauen zu gewinnen.

In Ländern wie Thailand und Bangladesh, in denen Sie auch gedreht haben, ist Prostitution illegal. Wie funktioniert das überhaupt, dort drehen zu können?

Prostitution ist schnell einmal wo illegal, sie findet dann sehr schnell Türen und Schlupflöcher, um doch existieren zu können. Ich hab natürlich mit Menschen zu tun gehabt, die Organisationen vertreten, die nicht legal sind, Geschäfte mit diesen Leuten zu machen, war von meiner Seite immer astrein. Selbst die mexikanische Mafa hat sich meine Filme angeschaut, bevor sie mir einen Zugang gewährt haben. Ich habe mit Mafialeuten meine Filme diskutiert.

Was war das Feedback auf Ihre Filme?

Sie haben daraufhin verstanden, was ich machen will. Sie haben ihre Beschränkungen und Bedingungen kundgetan. Sie haben mir auch gesagt, was ihnen gefallen hat und wo ihnen fad war.

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Hat sich Ihr Blick auf Prostitution durch diese jahrelange Beschäftigung verändert?

In jedem Fall. Eines hab ich gelernt durch das Filmemmachen, nämlich, dass, bevor man wirklich hinschaut und bevor man wirklich in eine Sache sich vertieft, weiß man gar nichts. Bevor man nicht wirklich in einem Puff war und mit den Frauen gesprochen hat und wirklich sieht, wie es da zugeht, hat man 100.000 Bilder von 100.000 Filmen, von Zeitungsbreichten im Kopf. Alle haben dieses - ach so verruchte - Milieu ja so gern, die Attraktion ist riesengroß.

Ich hab immer geglaubt, dass es eine sehr starke Funktion in jeder Gesellschaft hat und dass es ohne Prostitution überhaupt nicht geht, weil sonst gewisse Strukturen auseinanderbrechen würden. Das hat sich mehr bestätigt, als ich je gedacht hätte. Wie der Friseur in Bangladesh auch sagt, "wenn wir das hier nicht hätten, dann würden wir Kühe und Ziegen ficken und über jede Frau herfallen, die um die Ecke geht". Das mag sehr drastisch ausgedrückt sein, aber da steckt schon ein ziemlicher Fetzen Wahrheit dahinter und deswegen heißt der Film auch "Whore's Glory". Das ist eine ernstgemeinte Verbeugung vor all den Frauen, die sich das antun.

Im Kino

"Whore's Glory" läuft seit 9. September 2011 in den österreichischen Kinos.