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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

23. 5. 2012 - 18:15

Von Tbilissi bis Baku

Auf dem Weg nach Baku: Kopfschütteln über den Song-Contest und neue Städte in Aserbaidschan, die alle gleich aussehen.

Auf dem Weg zum Eurovision Song Contest 2012 nach Baku

Salon Baku
Das Songcontest-Finale 2012 mit Stermann & Grissemann

Am Samstag, dem 26. Mai ab 21.00, auf FM4 und in ORF1 im Zweikanalton.

Tbilissi ist eine ganz wunderbare Stadt, verfallene Holzbalkone, riesige Baustellen und repräsentative Bauten bestimmen das Stadtbild. Auf einer Tour mit unserer georgischen Begleiterin erfahren wir viel über aktuelle Bausünden und den schlechten Geschmack des Präsidenten, der von seinem Palast aus wohl befiehlt, man solle jenes Dach vergolden, da einen glitzernden Fernsehturm hinbauen, um sein Auge zu erfreuen, wenn der Blick aus dem Palastfenster über die Stadtlandschaft streift.

Baustelle in Tbilissi

Christiane Rösinger

Baustelle in Tbilissi

Beim Gang durch die Straßen fallen viele, auch junge Menschen mit verdrehten Gliedmaßen auf, die sich mühsam und elend auf groben Holzkrücken über die Straßen schleppen. Das georgische Gesundheitssystem wird ja gerade modernisiert, sprich privatisiert, und wer kein Geld und keine Familie hat, die hilft, kann sich keine Behandlung leisten. Hilfsorganisationen vor Ort arbeiten mit der Regierung an der Verbesserung der Lage, einige der deutschen Mitarbeiter treffen wir am nächsten Tag bei unserem Auftritt im Goethe-Institut.

Unsere musikalischen Darbietungen - Themenschwerpunkt Überbewertung der Liebe, allgemeine Sinnlosigkeit des Daseins - werden vor allem von den jungen Frauen mit Freude und Verständnis aufgenommen.

Grenze zu Aserbaidschan

Christiane Rösinger

Aber als das Spiel Bayern München - Chelsea übertragen wird, ist es aus mit der anregenden Konversation. Zum Glück kann sich der sprachinteressierte Mensch immer helfen und für die georgischen Kommentatoren begeistern, die an alle Spielernamen ein i hängen: Schweinsteigeri, Mülleri, Neueri, Robbeni.

Die letzte Grenze unserer Reise liegt zwischen Georgien und Aserbaidschan. Zutrauliche junge Grenzsoldaten umlagern neugierig unseren Bus, wollen vieles wissen, lachen viel, sprechen aber leider aber nur persisch, russisch, aserbaidschanisch und türkisch, was ihnen bei uns nicht viel nützt. Auch die Deutschkenntnisse eines belarus-stämmigen Soldaten: "Achtung! Hände Hoch du Russenschwein!" können nur wenig zur Vertiefung des Gesprächs beitragen.

Nach der Grenze ändert sich, wie so oft auf dieser Reise, sofort die Landschaft - im Nordwesten Aserbaidschans wartet eine idyllische, grüne Weidenebene mit blühenden Bäumen, großen Tierherden, Schafen, Kühen, Wasserbüffeln begleitet von echten Kaukasus-Cowboys auf Pferden.

Stadttor nach Seki

Christiane Rösinger

Stadttor nach Seki

Salon Baku
Das Songcontest-Finale 2012 mit Stermann & Grissemann

Am Samstag, dem 26. Mai ab 21.00, auf FM4 und in ORF1 im Zweikanalton.

Zum ersten Mal auf der Reise durch neun Eurovisions-Länder: Deutschland, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Serbien, Bulgarien, Türkei, Georgien, Aserbaidschan - ist der ESC ein Thema. In den Spätis der alten Seidenstadt Seki fragen die Männer "Eurovison Song Contest?" Sagt man dann Ja, schütteln sie halb belustigt, halb fassungslos den Kopf - eine Geste, die man vielleicht mit dem deutschen Wort "Plem Plem" übersetzen könnte.

Alle zwei Kilometer sind riesige Plakatwände mit dem Konterfei des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyew aufgestellt. Er hat das Amt quasi von seinem Vater geerbt und regiert nun das Land "mit harter Hand", wie es so schön heißt.

Präsident Aliyev mit Soldaten

Christiane Rösinger

Präsident Aliyev mit Soldaten

Auf der Strecke nach Baku werden neue Städte aus dem Boden gestampft, alles sieht gleich aus, die Hauptstraßen heißen immer Aleyew-Prospekt. Vielleicht wurden sie auch von einem Präsidentenverwandten gebaut? Der ganze Clan ist ja finanziell an den Telekommunkationsunternehmen, der Gold- und Silberförderung und anderen Industrien beteiligt. Aserbaidschanische Journalisten, die darüber oder über den Konflikt in Nagorny-Karabach oder über Umweltskandale recherchieren, werden zusammen geschlagen, verhaftet, mundtot gemacht.

Umso wichtiger ist es, dass die aus aller Welt angereisten Journalisten neben der Freude über das tolle ESC-Spektakel auch Interesse für die weniger schönen Seiten Aserbaidschans aufbringen. Ansonsten machen wir uns hier alle zu Jubelpersern eines totalitären Regimes.