Erstellt am: 17. 5. 2012 - 13:54 Uhr
Die Wahrheit heißt dann Nescafe
Unweit vor der georgischen Grenze bei Rize taucht ein riesiges Gebirge auf, schneebedeckt, ein bisschen Wehmut kommt beim Abschied von Istanbul auf: Vielleicht ist es doch die schönste Stadt der Welt? Das nächste Fernziel heißt Samsun, die Hafenstadt am Schwarzen Meer.
Auf dem Weg zum Eurovision Song Contest 2012 nach Baku
Riesige Raststätten liegen auf dem Weg. Große Hallen mit einer Rezeption, Kellner in schwarzen Anzügen eilen durch Restaurantlandschaften, die gehen in Selbstbedienungsmärkte mit undurchschaubarem Vorkassesystem über, daneben liegen die Waschräume, Gebetsräume, Textilmärkte, Geschirrbasare.
Nach dem Autobahnkreuz Richtung Küste wird die Schnellstraße zu einer Piste aus Split oder anderen fragwürdigen Belägen, regnet es in Strömen, der Regen weicht alles auf. Schlammlöcher entstehen, die Lkws vor uns bremsen jäh, fahren im Schritttempo, dann wird die Straße kurz vierspurig und mündet in einem löchrigen Kiesweg. Prasselnder Regen, keine Sicht, der Wagen schlingert, Lkws donnern mit aufgeblendetem Fernlicht entgegen. Da hilft nur: Durchhalten, keine Angst haben, sich nicht reinsteigern! Wir sind doch toughe Truckerinnen! Zwischendurch aber doch der Gedanke: Ich will nicht so ums Leben kommen auf dieser elenden Straße im türkischen Nirgendwo.
Aber auch der schlimmste Weg führt an einer Stadt mit Hotels vorbei. Das Zimmer ist ganz herrlich, tolle Betten, Minibar und Internet! Ach, warum können wir denn nicht einfach zwei Wochen lang in diesem Zimmer bleiben! Warum müssen wir denn immer weiter, wir Getriebene des ESC? Es ist alles so sinnlos! Der Grand Prix ist im Fernsehen doch genauso schön, und die letzten 40 Jahre hat das doch gereicht!
Am nächsten Morgen tut sich eine liebliche Vorgebirgslandschaft auf. Der viele Regen am Abend und in der Nacht hat die ganzen Felder unter Wasser gesetzt - ein Hochwassergebiet. Seltsam nur, dass zwischen den überfluteten Feldern immer kleine gerade Wege sind und das Hochwasser so ganz ordentlich in immer gleich abgezirkelten, gleich großen Feldern steht - und überall werden so kleine Säckchen an der Straße zum Verkauf angeboten! Recht rätselhaft alles - bis der Bauerstochter endlich auffällt: Das kann kein Zufall sein - hier wird Reis angebaut! Von der Reisgegend fahren wir in die Zwiebelgegend, dann in die Haselnussgegend und vor Trabzon nehmen die Akazienbäume überhand. Wurde hier vielleicht der türkische Bal (Honig) gedreht?
Christiane Rösinger
Christiane Rösinger
Die Landschaft ist wunderschön, das gastronomische Angebot recht karg. Schon ein Stück nach Istanbul wurde bereits die Cappuccino-Sitzklo-Light-Getränke-Grenze überschritten, bevor wir eine Tank- und Raststätte ansteuern, geben wir überkandidelte Phantasiebestellungen auf: "Eine Rhababersaftschorle, eine Chai-Latte und einen entcoffeinierten Latte-Macciato mit Sojamilch, bitte!"
Christiane Rösinger
Die Wahrheit heißt dann Nescafe, denn der berühmte türkische Kaffee wird eher ungern zubereitet. Bei Samsun sollten wir auf das Schwarze Meer - Karadeniz - treffen, es ist auch tatsächlich da, aber man kommt nicht ran. Hafenanlagen, Industriegebiete, private Park- und Sportflächen, und dann ist es lange Kilometer lang hinter Gittern eingesperrt.
Christiane Rösinger
Christiane Rösinger
Dafür ist in Kemal Atatürk allgegenwärtig, schließlich hat er von Samsun aus am 19. Mai 1919 seinen Befreiungskampf gegen die griechische Besatzung begonnen. Alle drei Meter ein Atatürk-Denkmal und morgens Militärmusik auf den Straßen und Umzüge, wahrscheinlich weil er am 15. Mai auch schon was für die Befreiung der Türkei getan hat.
Christiane Rösinger
Unweit vor der georgischen Grenze bei Rize taucht ein riesiges Gebirge auf, schneebedeckt nicht nur die Gipfel, was ist das denn? Etwa schon der Kaukasus - das kann nicht sein! Nach Tiflis sind es doch noch über 500 km. Es ist natürlich nicht der Kaukasus, auch nicht der kleine Kaukasus, sondern das Pontische Gebirge.
Es scheint eine arme Gegend zu sein, eine Teegegend - Teeplantagen, Teefabriken, der auch agrarisch interessierte Atatürk hat verfügt, dass hier Tee angebaut wird, um die Wirtschaft zu stärken. Hier leben viele blauäugige blonde Türken, die so genannten Lasen, über deren vermeintlich hinterwäldlerisches, naives Wesen in der Türkei viele Witze gemacht werden, es sind also die Ostfriesländer oder Burgenländer der Türkei.