Erstellt am: 14. 5. 2012 - 12:57 Uhr
Über Bulgarien nach Istanbul
Bulgarien rauscht mehr oder weniger an uns vorbei. Ein Stück nach Sofia beginnt eine richtige Winnetou-Landschaft: Schluchten, Flussläufe, Felsvorsprünge – aber angeblich wurde Winnetou woanders gedreht.
Auf dem Weg zum Eurovision Song Contest 2012 nach Baku
Bulgarien also, was wissen wir von Bulgarien? Gibt es berühmte Bulgaren oder Bulgarinnen?
Meine Begleiterin, Frau Fierke, protzt mit ihrem Halbwissen über einen bulgarischen Fußballspieler, der manchmal mit Regenmantel und Schirm gespielt hat. Später stellt sich heraus, dass es ein tennisspielender Rumäne war. Aber mir fällt auch nur Lucy von den No Angels ein und später recherchiere ich noch den Verpackungskünstler Christo. Auch beim Grand Prix ist Bulgarien nie groß aufgefallen. Ich glaube, mich an stimmgewaltige Sängerinnen, in kostbare Brokatvorhänge gehüllt, zu erinnern, kann mich aber auch täuschen.
Christiane Rösinger
Sofia macht sich in der Ferne durch eine beachtliche Skyline mit vielen Hochhäusern bemerkbar, am Stadtrand spielen Kinder vor verfallenen Bretterbaracken, magere Pferde sind vor klapprige Fuhrwerke gespannt, Feuer lodert aus einer alten Öltonne. Dann wird es immer ländlicher.
Auf den Wiesen grasen Ziegen und Schafe, dabei sitzen Männer, die auf Ziegen starren. Andere hocken, ganz in meditierende Naturbeobachtung versunken, bei einer Handvoll Schafen neben der Schnellstraß. Was denken diese Männer den ganzen Tag? „Später geh ich nach Hause, vielleicht hat R. was zu essen gemacht, das Gras steht schon recht hoch für Anfang Mai?“ Glauben sie an die romantische Zweierbeziehung? Empfinden sie das Leben manchmal als sinnlos?
An der Grenze zur Türkei endet die einfache Reiserei durch Europa. Eine riesige Grenzanlage, fünf oder sechs Checkpoints hintereinander tun sich auf und natürlich stimmt was nicht. Wir brauchen eine Zusatzversicherung für die Türkei, erklärt uns die junge Grenzbeamtin gelangweilt, während sie einen Popsong aus dem Radio mitsingt, und ihre zwei Freundinnen, die mit in dem Kabuff sitzen und gleichzeitig teilnahmslos rauchen, ihre Nägel betrachten und SMS tippen.
Christiane Rösinger
Nach der Fahrt über den Balkan wirkt die Türkei für uns Kreuzbergerinnen ganz vertraut und westlich, man kennt die Sprache ein bisschen, man kennt die Schrift und das Essen. Trotzdem ist es kein Zuckerschlecken, in die 14 Millionen-Stadt Istanbul rein zu fahren. Wir sind am Taksim-Platz verabredet und finden tatsächlich ohne Navi auch hin. Dort sind wir aber erst einmal wie erschlagen vom Leben, dass uns in einer Freitag Nacht erwartet. Autos und Taxis haben sich vierspurig ineinander verkeilt, dazwischen rangieren Zuckerkringelverkäufer und andere Händler mit allen möglichen Gefährten, Menschengruppen bewegen sich von allen Seiten durch das hupende, wogende Verkehrschaos, Polizisten pfeifen schrill und fuchteln mit den Armen, Musik dröhnt aus den Autoboxen – wie klein und idyllisch Berlin im Vergleich dazu ist!
So schön wie das Autofahren auch ist, es ist doch auch toll, mal einen Tag lang zu pausieren. Am Samstag haben wir frei und können endlich mal tun, was Städtetouristen so tun: Durch die Straßen gehen, in Cafes sitzen, rumhängen.
Für den Song Contest interessiert sich hier niemand so besonders. Gestern hat die berühmteste türkische Sängerin Bülent Ersoy, eine transsexuelle Diva, in einer Liveshow im Fernsehen einfach ihr Orchester und ihre Fans stehen lassen, weil ihr alles zu langweilig war. Man mutmaßt, sie hätte getrunken. Und natürlich kennt man noch Sertab Erener, die 2003 den Grand Prix nach Istanbul geholt hat. Damals moderierte Stefan Raab eine Woche lang aus einem verglasten Studio am Goldenen Horn. Wer ging denn damals für Deutschland ins Rennen? Max Mutze? No Angels? Texas Lightning?
Christiane Rösinger
Der deutsche Teilnehmer 2012, Roman Lob, ist uns ja auch ganz egal, wir können uns noch nicht mal an sein Lied erinnern. Aber wir sind ja schließlich keine Song Contest- Fans, wir fahren nach Baku, weil wir durch den ESC auf die Idee gekommen sind, da mal hin zufahren.
Abends spielt der Istanbuler Fußball Verein Galatasaray gegen Fener Bachce von der anderen, asiatischen Seite und die Straßen sind schwarz vor Menschen. Nach dem Abpfiff macht sich alles zum Autokorso Richtung Taksim Platz auf, überall die Fahnen mit den Löwen, brüllende Männer, kreischende Mädchen, hupende Autos.
Feuer werden gezündet, noch Stunden später knallt und raucht es überall. Wir müssen bald weiter zum schwarzen Meer- Karadeniz.