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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

12. 5. 2012 - 13:10

Aserbaidschan

Auf dem Weg nach Baku: Langsam wirkt die Landschaft ein bisschen weniger vertraut.

Vor etwa einem Jahr, beim Eurovision Song Contest in Düsseldorf, als Ell & Nikki gewannen, kam die Idee auf, 2012 zum ESC nach Baku in dieses seltsame Land Aserbaidschan, von dem keiner so richtig wusste, wo es lag, zu fahren. Eine abenteuerlustige Begleitung wurde gefunden, die Strecke lang diskutiert, da alle möglichen Konfliktherde auf dem Weg liegen. Man kann von Russland nicht nach Georgien einreisen, und man müsste den Weg über den "Schurkenstaat" Dagestan nach Aserbaidschan nehmen, wovor man aber überall gewarnt wurde, also blieb nur die Fähre von Odessa übers Schwarze Meer nach Poti. Die fährt aber wohl nur entweder Dienstags oder Mittwochs oder Donnerstags, und man muss vor Ort warten, unter Umständen eine ganze Woche.

Logo Eurovision Song Contest

Songcontest

Also kam nur der lange Weg über die türkische Schwarzmeerküste in Frage. Aber von der Türkei aus kann man nicht nach Armenien einreisen und so entschieden wir uns für die Etappen Berlin, Budapest, Sofia, Istanbul, Trebzon, Batumi, Tiflis, Baku. Kleine Auftritte, in Tiflis und beim deutsch-aserbaidschanischen Freundschaftsverein wurden organisiert, ein VW-Bus angeschafft, Karten bestellt, geredet und geplant.

Aber alle Planungen nützen nichts, wenn was dazwischen kommt.

Das Auto hat schon auf der Lesetour Wasser verloren, Schläuche müssen bestellt werden, der Bus steht in der Werkstatt, kann nicht gepackt werden. Es geht erst nachmittags los - die erste Station, Budapest, ist nicht zu schaffen. Und in Berlin-Lichtenberg, auf dem Weg zur Autobahn nach Dresden, wartet schon der erste Stau. Wenigstens nach Brno müssen wir es doch schaffen.

Es ist ganz unwirklich, dass wir jetzt wirklich losfahren. Es war ja zuerst nur eine Idee. Dann ein Vorsatz. Von Berlin nach Baku in zwei Wochen - ist das zu schaffen? Die Berliner Türken fahren in den Sommerferien in 30 Stunden bis Istanbul, also muss es für uns in drei Tagen zu machen sein. Und ab Georgien können wir uns dann Zeit lassen.

Bis Dresden und Prag ist alles normal, letzte Woche sind wir den gleichen Weg zum Auftritt in Wien gefahren, es hat so gar nichts Exotisches. Der Raps blüht an der Autobahn in Tschechien genauso unnatürlich gelb wie in Bayern, die Gartenzwergausstellung an der Straße kennen wir schon, die Knödel, die wie Baguettescheiben aussehen, die Sprache, von der man leider kein einziges Wort versteht, weil man immer nur durchfährt und sich nicht bemüht hat. Alles wie immer… Was wissen wir von Brno - man kann Brünn dazu sagen? Eine Kirche steht auf einer Anhöhe, oder ist es eine Burg? Eine verlassene Gegend, Erotik-Center, leerstehende Fabrikanlagen, trostlose Straßen, leere verfallene Häuser, das Hotel mit typisch restsozialistischem Charme. Ist Brno eine "shrinking city" oder hat uns das Navigationsgerät nur zufällig durch die verfallenen Straßenzüge geschickt und parallel spielen sich Barockwunder oder Naturschönheiten ab? Man weiß es nicht. Es ist keine Vergnügungs- und keine Bildungsfahrt, es müssen Kilometer gefressen, abgearbeitet werden.

Und die berühmten Grand-Prix-Lieder fahren die ganze Zeit mit. In der Flittchenbar am letzten Sonntag wurde „Unser Lied für Baku“ ermittelt, und die Interpreten spielten auch jeweils ein historisches Grand-Prix-Lied. Merci, Cherie, La Poupee von France Gall und Lenas Satellite sind im Ohr hängen geblieben, fahren mit durch Tschechien und die Slowakei.

Langsam wirkt die Landschaft ein bisschen weniger vertraut.

Das ist der Vorteil, wenn man noch nicht so viel rumgekommen ist - man kann immer wieder innerlich ein verwundertes "Hier war ich noch nie" ausrufen. Aber jede kleine Reiseeuphorie erlebt sofort einen Backlash, wenn ein Schild "Wien 70 km" auftaucht. Wie frustrierend! Man ist schon den zweiten Tag unterwegs! Als wäre man noch ganz nah zu Hause! Dann die erste Grenze, bei der man kontrolliert wird und der Autoput Richtung Belgrad beginnt. Aus Serbien kam ja die Gewinnerin 1999 mit dem Lied…

Wien Autobahnausfahrt-Schild

flickr.com/ukuolo

In Belgrad können wir nur zu Abend essen, dann geht es sofort zurück zum Autoput. Wir sind Getriebene des ESC!

Nis ist ganz und gar anders und zum ersten Mal stellt sich das Gefühl ein, wirklich weit weg von zu Hause zu sein, es sieht schon ein bisschen aus wie in der Türkei, der große Platz mit Kriegerdenkmal (säbelschwingende Serben, die Türken vertreiben) ein dekorativer Springbrunnen, McDonalds, ein Hotelhochhaus Ambassador, das 15 Stockwerke hat… Wir sind fast die einzigen Gäste, der Security Mann sitzt in der melancholischen Lobby und schaut Fußball auf einem Flachbildschirm, das einzige Möbelstück, die überbesetzte Rezeption versprüht den verloren geglaubten Charme des Ostblocks.

Die Festung, die Totenschädelausstellung- es bleibt leider keine Zeit, sich was anzuschauen. Wir haben einen Auftrag. Wir müssen am 19. Mai in Tiflis am 23. in Baku und bis morgen in Istanbul sein!