Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Bluesexplosion und Discopfau"

Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

5. 2. 2011 - 19:11

Bluesexplosion und Discopfau

Druckvoller Indie-Pop versus krachiger Blues. Die neuen Produktionen von Deckchair Orange und Bo Candy & His Broken Hearts in einer FM4 Soundpark Nacht.

Ich werde gerne überrascht. Während manche Menschen gleich das Wörtchen "böse" dazu fügen, ist meine erste Assoziation doch eher "positive" Überraschung. Besonders wenn es um Musik geht. Das mag vielleicht daran liegen, dass ich sie am liebsten selbst entdecke. Was Anfang der 1990er Jahre noch leichter war und unbekannten Bands ein Touch von Mystik und Geheimnis anhingen, ist heute nur ein Mausklick von der vollkommenen Transparenz entfernt. In Sekundenschnelle wissen wir alles über die neuesten und trendigsten Künstler und oft wird einem gleich das "next big thing" offenbart, ob man es nun will oder nicht.

Gerade was das Feld der heimischen Musik betrifft, ist es mir immer wieder möglich, genau jenes Hochgefühl des "Forschers" von damals zu wieder zu entdecken und mich hin und wieder richtig überraschen zu lassen. So zuletzt passiert bei der Arbeit für die Ausgabe der kommenden FM4 Soundparknacht.

This record is upbeat this record makes the heart beat

Auch wenn die Jungs von Deckchair Orange mit ihrer ersten Single-Auskopplung "Dance With The Geeks" gleich in der ersten Textzeile beteuern I'm sorry, I'm sorry gibt es auf ihrem zweiten Album nichts, wofür sie sich entschuldigen müssten.

Deckchair Orange Album Cover "The Age Of The Peacock

Deckchair Orange

Ganz im Gegenteil. Besagter Eröffnungstitel, der auch auf der letzten FM4 Sound Selection zu finden ist, begeisterte und verwirrte mich gleichzeitig beim ersten Hören. Recht krachig und im selben Moment druckvoll produziert entwickelt der Song mit seinem metallischen Schlagzeugbeat eine Dringlichkeit, die an englische Tanzbeatindierocker wie Hard Fi oder auch die Klaxons denken lässt. Auch die verstärkt eingesetzten analogen und digitalen Tasteninstrumente stehen der mittlerweile zum Quintett angewachsenen Band wahrlich gut zu Gesicht. So bewegt sich auch das treibende Stück "Go Go Go" im Schnittbereich zwischen erdigem Indierock und Synthiepop, wenn der hölzerne Sound aufeinander schlagender Drumsticks und schneidene Gitarrenakkorde auf zwirbelnde Synthie-Basslinien treffen. Wenn dann bei "Heartbeat" eine muntere Pianomelodie durch das Klangspektrum von Deckchair Orange hüpft, verstärkt sich wohl endgültig der erste Eindruck, dass die staubigen Cowboystiefel des 70ies Rock'n'Roll in die Ecke gestellt und die weißen Sneakers aus dem Schrank geholt wurden, um unter der großen Discokugel zu tanzen und in den Chor einzufallen: This night is upbeat this night my heart beats.

Bandfoto Deckchair Orange

Deckchair Orange

Vom Quartett zum Quintett: Alexander Wieser, Klaus Molterer, ChristophWieser, Wolfgang Bruckner und Joachim Hackl.

Dass es so weit kommen konnte, verdankt die Wiener Truppe einigen Veräderungen und sicher auch der einen oder anderen mutigen Entscheidung. Schließlich ist die Platte in nur sechs Monaten im Studio entstanden, was durchaus auch ein recht riskanter Prozess sein kann. Denn an der Herausforderung, für das berüchtigte "verflixte zweite Album" die musikalische Marschrichtung zu finden, sind nicht selten Bands zerbrochen. Ich könnte mir vorstellen, dass die konzentrierte Arbeit mit Produzent Ron Flieger und die rauschhafte Inspirationsphase dazu beigetragen haben, dass mit "The Age Of The Peacock" ein sehr stimmiges, rundes und geglücktes Ergebnis vorliegt.

DECKCHAIR ORANGE - Stay from Deckchair Orange on Vimeo

It's like a secret I won't tell, don't want to share with everyone, singt Alexander Wieser in "No Regrets". Deckchair Orange liebe es, sich kryptisch und geheimnisvoll zu geben. Welche Dekade genau mit dem Albumtitel gemeint ist oder was sich wirklich hinter dem grellen, hellen Licht beim großartigen Finale des Videos zu "Stay" verbirgt, darüber wird geschwiegen. Und das ist gut so. Ein bisschen Mystik darf auch in Web 2.0 Zeiten schon noch sein.

Zu den Wurzeln der Popmusik

Mit dem Glauben ist es so eine Sache. Ist er einem abhanden gekommen, kann das ganz schön aufs Gemüt, sprich die Motivation und Inspiration drücken. Hat man ihn jedoch wiedergewonnen, geht man vielleicht sogar gestärkt daraus hervor. Selbst wenn Bo Candy & His Broken Hearts in ihrem Protestsong "I Lost My Faith In You" ihren Zweifel zum Ausdruck bringen, weiß Mastermind Thomas "Kantine" Pronai ganz genau, was er tut.

Im Proberaum mit Bo Candy & His Broken Hearts

Bo Candy & His Broken Hearts

Schon mit seiner Beautiful Kantine Band ist der Produzent, Tontechniker, Musiker und musikalische Tausendsassa seiner Obsession für Live-Sound nachgegangen. War damals die Liebe zur 1960er Jahre Beat- und Tanzmusik im Vordergrund, so geht die Reise bei Bo Candy & His Broken Hearts in der Geschichte der Popmusik noch weiter zurück, nämlich zu einem seiner Ursprünge. Dem Blues. Dass Thomas gerade diesem Genre verfallen ist, hat mit Jon Spencer zu tun, den er vor fünfzehn Jahren für sich entdeckt hat. Aber auch mit seinem Faible für unverfälschte, unmittelbare Aufnahmetechnik (die er erst wieder bei dem letzten Garish Album eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat) und dem (burgen)ländlichen Flair, der Weite und der Ruhe seiner unmittelbaren Umgebung. Denn Bo Candys Musik braucht dieses Ambiente, diesen uneingeschränkten Horizont, der sich bei den ersten Klängen sofort mit stereotypen Amerikabildern einsamer Motels und Raststationen an staubigen Highways vermischt.

Albumcover Bo Candy & His Broken Hearts, eine Krone, die in der Kanalisation liegt.

Bo Candy & His Broken Hearts

Die neueste EP "Stole My Crown", der Vorbote zum Album, das noch dieses Jahr durch eine zweite EP komplettiert werden und mit einem wunderschönen Doppel-Vinylcover auf den Markt kommen soll, besticht vor allem durch ihre Natürlichkeit, den Mut zu "Fehlern" und dem spürbaren Live-Feeling. Noch faszinierender werden diese Aufnahmen wenn man weiß, dass alle Nummern mit einer unausgesprochenen Selbstverständlichkeit entstehen, die sich viele Bands wünschen würden. Thomas schreibt alle Songs praktisch im Alleingang und gesellen sich Patrick Stürböth, Ivo Thomann, Judith Filimónova und Julian Schneeberger dazu, braucht es keine Worte oder Erklärungen. Die Instrumente werden in die Hand genommen und wie durch einen Zauber scheinen alle genau jenen Sound zu kreieren, den Thomas bei langen Spaziergängen oder ausgiebigen Joggingrunden im Kopf hatte. Das Wort "stimmig" dürfte es wohl am Besten treffen, wenn man sich Bo Candy & His Broken Hertas anhört. Stimmig auf vielen Ebenen: der musikalischen, klangästhetischen, songschreiberischen und zwischenmenschlichen.

Im Proberaum mit Bo Candy & His Broken Hearts

Bo Candy & His Broken Hearts

Auch wenn Herr Kantine zwischenzeitig seinen Glauben fast verloren hatte und es sich so anfühlte, als habe das oft harte Musikbusinessumfeld ihm seine Krone geklaut, so glänzt sie jetzt noch heller auf dem Kopf des Masterminds von Bo Candy & His Broken Hearts. Und das ist gut so. Ein bisschen Glaube an die eigenen Fähigkeiten darf auch in Web 2.0 Zeiten schon noch sein.

Wer nicht unter Schlaflosigkeit leidet oder gerne in der Nacht arbeitet, kann hier die Sendung online hören , ab Montag Mittag eine Woche lang!

Das alles und noch viel mehr in der FM4 Soundparknacht: