Erstellt am: 24. 2. 2010 - 17:28 Uhr
Eine Platte im Affekt
Julia Grandegger
Nichts ist mehr, wie es war und schon gar nicht, wie es scheint. Das fünfte Garish-Album mag nur auf den ersten Blick das Werk verklärter Romantiker sein, denn diesmal hatte das Quintett nur ein Ziel: Sich so weit wie möglich aus dem Fenster zu lehnen.
Auf "Wenn dir das meine Liebe Nicht beweist" stolpern wir über viele doppelte Böden. Es wird die feine Klinge der Mehrdeutigkeit geschliffen, eine Drohung und Forderung mit swingendem Pfeifen unterlegt und mit fünf Zungen wie aus einem Mund gesprochen, um das Spiel mit der Objektivität bis an die Grenze zu treiben. Garish beziehen Stellung und hüllen sich zugleich in den mystischen Nebel, der aus ihren verstaubten Verstärker aufsteigt, die endlich wieder laut aufgedreht werden durften. Dass man sich für so ein Wagnis auch ein Herz fassen muss, versteht sich ebenso von selbst, wie, dass man dafür die Perspektive ändern muss, den Mund nicht voll kriegen kann oder sich manchmal vielleicht auch wie ein Zampano aufführen muss, um nicht aus Angst vor dem Spuk alter Geister ein eisernes Herz zu bekommen. Aber vielleicht sollte all das besser Sänger Thomas Jarmer erklären.
Wie man seine Liebe beweist
Julia Grandegger
Thomas: "Seine Liebe kann man am besten dadurch beweisen, dass man nicht aufhört und nicht müde wird, seinen offensichtlich utopischen Forderungen nachzukommen. Und Sinn darin zu sehen, dieses offensichtlich Utopische auch einzufordern, weil es dann oft keinen Unterschied macht, ob es wirklich eintritt oder ob man nur die Richtung beibehalten will."
Sänger und Songschreiber Thomas Jarmer ist bekannt dafür, seine scharfen Gedanken und Analysen wie ein Orakel zu formulieren. Doch diesmal geht es dem sympathischen "Frontmann" der Band darum, verstanden zu werden. Was hier in seiner ersten Antwort durchschimmert, wird erst dann deutlich, wenn man weiß, dass diesmal jeder der fünf Musiker von seiner alten, angestammten Rolle etwas zurückgetreten ist. So hat der Titel "Wenn dir das meine Liebe nicht beweist" schon bei den Aufnahmen zum Album für Thomas eine tiefere Bedeutung.
Thomas: "Der Titel war für mich etwas, was man jeden Tag in der Früh im Studio sich auf's Leiberl hätte schreiben können, um beim Arbeiten sich gegenseitig und sich selbst bei der Sache zu behalten. So eine Art gutgemeinter, fordernder Gruppenzwang. Mit einem Augenzwinkern natürlich. Es könnte auch die Antwort auf die üblichen Diskussionen sein, die im Studio immer wieder auftauchen. "
Diesmal haben sich viele Dinge bei Garish erst im Nachhinein zu einem großen, stimmigen und wunderschönen Bild zusammengefügt. Denn dieser fordernde oder fast schon drohende Titel, der auffordert darauf zu vertrauen, dass man sowieso auf der gleichen Seite steht, trifft auch auf die neue Arbeitsweise im Studio zu.
Vom Blindenhund geführt
Thomas: "Wir haben in sehr unterschiedlichen Räumlichkeiten geprobt. Manche Songs haben gut funktioniert, weil wir sie zum Beispiel in einer Altbauwohnung in Wien gemacht haben, die dann allerdings in unserem Proberaum komplett eingegangen sind. Und das war der Zeitpunkt, wo wir nicht mehr weiter gewusst haben und uns Hilfe holen mussten."
Julia Grandegger
Und so kam der alte Freund, Tontechniker und Musiker Thomas Pronai alias "Kantine" in Spiel. Schließlich braucht es viel Vertrauen, die heiligen Songs aus der Hand zu geben.
Thomas: "Ja, es brauchte Vertrauen in denjenigen, der das ganze Unternehmen quasi als Blindenhund angeführt hat. Der Dinge eingefordert hat und Fürsprecher für Experimente war, die man selber wahrscheinlich nie gemacht hätte. Kantine war also unser Blindenhund. (lacht)"
Thomas Pronai nahm die Band mit in die heimatliche Cselley Mühle, arbeitete zuerst an den Nummern im kleinen Kellertheater, bis er die Band mit all ihrem Material in einen großen, hohen, L-förmigen Raum mit hölzernem Gebälk brachte, in dem die Lieder zu neuem Leben erwacht sind. Das beste Beispiel dafür ist einer der Höhepunkte des Albums, "Die Perspektive", ein kantiges Groove-Monster, bei dem das Ride-Becken einen um die Ohren zischt, dass es eine Freude ist.
Thomas: "Diese Nummer war das größte Experiment und hat daher auch viele Entwicklungsstadien durchgemacht, was sehr viel Geduld forderte. Als wir den Song gespielt haben, hat der ganze Raum so richtig gebebt. Der Chor, der am Anfang zu hören ist, mit dem Klatschen und dieser durchgehende, starke Rhythmus, das sind Dinge, die über den üblichen Garish-Kosmos weit hinausgegangen sind."
So wurde mit zwei Schlagzeugen eingespielt und jeder durfte seine Idee präsentieren, egal auf welchem Instrument. Schließlich wurden die Songs live eingespielt, wobei es nicht darauf ankam, alles punkt- und tongenau aufs Band zu bringen, sondern vielmehr darum, Energie und Bauchgefühl zu transportieren. Etwas, was zwischen den Musikern vor vier Jahren noch nicht möglich gewesen wäre.
Die fünfköpfige Hydra des österreichischen Indiepops
Die Entwicklung innerhalb der Band spiegelt sich auch in den Texten wieder, wobei hier das polternde, scheppernde und launige "Spuk" wohl als Paradebeispiel zu nennen ist.
Julia Grandegger
Thomas: "Die Chemie zwischen uns und die Historie der Combo ist mehr in die Texte eingeflossen, als bisher. In diesem speziellen Fall geht es um die alten Geister, die man immer wieder heraufbeschwören kann, wenn man die Zauberformel dazu weiß. Sprich, die Knöpfe zu drücken, wenn man andere beeinflussen oder manipulieren will. Auch wenn man weiß, dass es besser ist, darauf zu verzichten, macht man es trotzdem manchmal. Und das schöne dabei ist zu wissen, dass selbst wenn man diesen Fehler macht, nicht die Welt oder die Freundschaft oder die Band untergeht."
Garish ist jedoch nicht ein Schlachtfeld, auf dem man vielleicht nach mehr als einer Dekade mit klaffenden Wunden in der feuchten Erde verblutend zurückgelassen wird. Oft kann dieses Fünfergespann auch dazu verwendet werden, um mit der gemeinsamen Stärke zu spielen, wie es Garish bei "Eisenherz" machen.
Thomas: "Diese Nummer ist aus einer sehr manierlichen und braven Form gewachsen. Sie ist miteinander im Fünfer zuerst implodiert und im schlussendlich im Studio dann explodiert. Es geht - wie man auch durch den mehrstimmigen Gesang hören kann - darum, sich als fünfköpfigem Dache aufzuspielen, um sich das Privileg der Objektivität herauszunehmen. Ein bisschen den Zampano heraushängen zu lassen, weil's gut tut. "
Schnapsideen und Kinderfasching
- FM4 Album der Woche: Alle Artikel auf einen Blick
Ecken und Kanten also auch auf textlicher Ebene. Wobei Thomas Jarmer durch dem musikalischen Nährboden diesmal viel freier und vielleicht auch eine Spur persönlicher an das Schreiben herangehen konnte. So reflektiert "Die Wahrheit Ist Davon Krieg Ich Den Mund Nicht Voll" nicht etwa die Band- oder eine Liebesbeziehung, sondern in dem leisesten und berührensten Stück der Platte richtet sich Thomas gegen den Zwang, alles vermarkten, immer unter effektiven und ökonimischen Gesichtspunkten agieren zu müssen. Und sich davon das Leben bestimmen zu lassen.
Julia Grandegger
Thomas: "Die erste Zeile, die in diesem Text vorkommt meint, dass auch Schnapsideen ihre Berechtigung haben sollen. Es stellt sich gegen das Rationelle und gegen das Rechnen. Gegen die Gewohnheit, aus allem eine Essenz und damit auch Nutzen ziehen zu wollen. Für mich ist in den letzten Jahren der verschwenderische Geist immer wichtiger geworden, der dich beim Arbeiten sehr frei und versöhnlich werden lässt. Wenn du nicht ständig das Gefühl bekommst, etwas zu verlieren und, dass man sich diese Gelassenheit leisten kann, ein Risiko einzugehen, ohne dass man etwas damit verspielt."
Die Risikobereitschaft zieht sich - im Nachhinein betrachtet - durch das ganze Album. Sei es, was die Texte anbelangt, den Sound oder das Sprengen eingefahrener Muster und Arbeitsweisen.
Thomas: "Wir verfallen im Studio oft in das Wiedergeben und Wiederholen von Songs. Diesmal haben wir mehr im Affekt im Studio gearbeitet. Bei all der Frische und Experimentierfreude war der Moment nie da, etwas, was man im Kopf oder Ohr hat, wiedergeben zu wollen. Das war großartig, einfach darauf los zu arbeiten und daneben stehen Mikrofone, die aufnehmen."
Das soll aber nicht heißen, dass "Wenn dir das meine Liebe nicht beweist" ein einfaches Album war.
Garish
Thomas: "Es war sehr fordernd, durchaus. Es war alles andere als ein Kinderfasching. Aber wir haben uns im Vorhinein einfach klar gemacht, dass wir viel schonungsloser mit allem umgehen wollen. Also auch mit der eigenen Eitelkeit untereinander, mit dem Platz, den man selber für sich hat und den man für andere hergibt. Dass heißt auch, dass man großzügiger arbeitet und dass man bei all der lockeren Atmosphäre an die Platte heranzugehen es eine Frage der Disziplin ist, diesen Weg beizubehalten."
Wenn Naked Lunchs "Songs For The Exhausted" von Kritikern als das "White Album des Indiepop" bezeichnet wurde, so müsste man "Wenn dir das meine Liebe nicht beweist" von Garish mit dem Prädikat "das österreichische Neon Golden" ausstatten. Oder einfach FM4 Album der Woche.