Erstellt am: 19. 8. 2010 - 17:52 Uhr
FM4 Frequency, Fuck The Pain Away, For Real
- Der FM4 Frequency Videoblog: Das Festival in bewegten Bildern
- Von Muse geküsst: Eine gewohnt opulente und doch ungewohnt zurückhaltende Headlinershow der Briten Muse als Krönung des ersten Tages.
- Fuck the Pain away, for real: Pulled Apart By Horses, The Cribs, Peaches, Shout out Louds, Skunk Anansie, NOFX
- Party bis zum Delay: Kommando Elefant, Get Well Soon, Mumford and Sons, Hot Chip, La Roux, Jan Delay
- Campwalk: Das FM4 Frequency Festival als Ausstellungsfläche verschiedener Kunst- und Lifestylerichtungen.
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Der Band Pulled Apart By Horses eilt die Legende voraus, dass bei ihren Konzerten im feurigen Gefecht schon auch mal der eine oder andere Zahn oder ein kleineres Fleischstückchen verloren gehen kann. Auf Publikums- wie auf Bandseite. What's in a name? Bekanntlich soll in den Namen einer Rockgruppe nicht allzu viel weltverändernde Philosophie hineininterpretiert werden, würde aber die Praxis von Pferden geviertelt zu werden auch noch ein bisschen Spaß mit sich bringen, ja, dann wäre das Quartett aus Leeds der passgenaue Soundtrack. Post-Hardcore in der klassischen Vierer-Besetzung, Schlagzeugkrieg und, dann trotzdem, die Liebe zur Melodie. All jenen, denen das von At The Drive-In ins Leben gerissene Loch nach wie vor halbwegs schmerzlich klafft, sei das dieses Jahr erschienene, sehr gute Debüt-Album von Pulled Apart By Horses ans Herz gelegt. Höfliche Agression, kanalisiert in richtig echtem Songwriting, mit Popgefühl und blutendem Herzen. Die Band selbst beschreibt ihren Style als "Back Door Scuzz Rage Pop", man muss das nicht komplett verstehen, den Teil mit "Rage" aber kann man kapieren. Da gibt's im Publikum auch um Viertel vor Zwei schon Mosh-Pit und die gute alte Jeans-Kutte mit Metallica-Aufnäher zu erleben. Kill 'Em All, zärtlich bitte.
Das interessanteste an der Band The Cribs ist, dass Johnny Marr die Gitarre bedient. Auch ein Mythos von der Art, einmal ein Smith gewesen zu sein, möchte nicht den ganzen Tag zuhause verbringen. Neben seiner Arbeit bei Modest Mouse hätte sich Marr aber auch eine wesentlich schlechtere Band als The Cribs aussuchen können. Das, jetzt, Quartett - Marr ist mittlerweile Vollmitglied und nicht bloß Frohnarbeiter - aus Wakefield hat nämlich auch gar nicht wenige ziemlich gute Songs. "Hey Scenesters" beispielsweise, oder "Cheat On Me". Auf komplette Catchiness angelegter jingley-jangley Gitarren-Pop der britischen Prägung, stark angefixt durch die spröde US-amerikanische Indie-Schule. Das reißt wirklich nirgends mehr Bäume aus (Kollegin Ondrusova ist da anderer Meinung), erfüllt aber die Mission, Rock'n'Roll zuvordererst als eine gute Zeit zu interpretieren, ziemlich brav und mit Elan. Beim Stück "Be Safe" erscheint Lee Ranaldo, Sonic-Youth-Gitarre und Allgemeingottheit, auf der Videoleinwand, voraufgezeichnet, um seinen Part beizusteuern. Sympathische Zwischendurchsagen der Band: "The last time we played in Austria was in 2005. That's a long time. That's, like, 5 years." und "We're The Cribs from England". Man kann es hören.
The Great Elektro'n'Roll-Swindle. Als wäre es nicht allein visuelle Sensation genug, Peaches ausnahmsweise einmal nicht in lackschwarzer Nacht im Swinger-Club auftreten zu sehen, sondern am helllichten Tage auf großer Festivalbühne, hat die kanadische Allroundanimateurin gleich für den Beginn ihrer Show - man muss die Lippen ganz langsam bewegen: SHOW - eine optische Täuschung im Programm. Man hätte es ahnen können: Im Vorfeld war von einer Fußverletzung von Peaches und dementsprechend einem Auftritt im Rollstuhl zu hören gewesen, auf der Bühne turnt eine Person im Ganzkörperteppich-Kostüm, Gesicht nicht erkennbar, und gibt die vollelektronische Peaches-Karaoke. Nach der zweiten Nummer wird Peaches herself auf die Bühne gerollt: "What Was That Fake Shit! I'm the Real Peaches! Guten Morgen, Ojsterreich!"
Peaches hat alles mitgebracht: Die Fetisch-Combo, die Metal-Klischees bemüht, goldene Synties, goldenes Cape, halbnackte TänzerInnen, Flying V, mit Fell behangenem Rollstuhl in Peaches-Pink. Peaches ist eine Macht. Dass die Richtung Fuck-You-Finger gebogenen Billigbeats mit kaum Abwechslung um die Ecke kommen, daran hat man sich mittlerweile gewöhnt, es ist egal, solange Peaches "Shake Your Dicks, Shake Your Tits!" sagt, um 15 Uhr 30 die erste Dose Bier aufmacht und das Publikum mit Munddusche verwöhnt. Gegen Ende wird Peaches böse, also noch böser, weil sie ihr Set kürzer gestalten muss, als ihr lieb ist: "You're making Peaches angry! I'm gonna waste time now!" "Fuck The Pain Away" ist eine im Peaches'schen Sinne würdevolle Abschiedsnummer. You don't wanna fuck with The Peaches. Das nächste Mal bitte wieder zu späterer Stunde plus S/M-Bestrafung und mit Dildo.
Die Shout Out Louds sind eine Band, der wohl kaum jemand ernsthaft böse sein kann. Was auch ein bisschen das Problem der Band ist, nicht selten lebt interessante Popmusik ja auch von unangenehmen Persönlichkeiten. Die schwedische The-Cure-Gedächtnis-Kapelle baut hyperperfekt geölte Pop-Songs, straight outta Pop-Musikhochschule. Im schwarz-weißen Yacht-Outfit spülen die Shout Out Louds makellose Hits im Sinne von Hits ins mittlerweile doch schon recht zahlreiche Publikum. "Fall Hard", "Impossible", "Please Please Please", da ist gut Schunkeln und Dreamy-in-die-Wolken-schauen. Die Band stellt Songs nach britischen Vorbildern zu fehlerfrei nach, das Wirre fällt weg, hier ist kein Scheitern, kein Versagen, hier ist total feine Oberfläche, die man sich sehr gerne anschauen mag. Dass "Walk Like An Egyptian" von den Bangles ins Set integriert wird, ist der einzige Ausbruch. Musik aus der Design-Manufaktur, die das höchste und einzige Ziel des Schönseins immer erreicht. Brüche gibt es nicht.
Fast könnte man meinen, die Band White Lies käme aus Schweden, wenn man sich anhört mit welch formtreuer Perfektion da der Nachlass von Joy Division verwaltet und in fein gedeichseltes Pop-Kunsthandwerk übersetzt wird. Die Band aus London baut an traurigen Synths, Peter-Hook-Bass und dunklem Leidens-Gesang Schmerzenssongs für die Todes-Disco. Post-Punk-Revival, Teil 327, auch auf Echo and the Bunnymen wird da eindeutig zurückgegriffen und das ganze sinistre Trübsal tanzbar aufpoliert und mit sich noch völlig sicher innerhalb der Grenzen des Sympathischen aufhaltendem Rock-Pathos überhöht. Sänger und Gitarrist Harry McVeigh trägt Ian-Curtis-Erinnerungs-Hemd und pocht sich mit der Faust auf die gepeinigte Brust. Die Band beginnt mit ihrem größten Hit, ihrem besten Song, dem programmatisch betitelten „Death“. White Lies gelingt es trotz all der freiwillig gewählten Formelhaftigkeit, dem selbst gesetzten engen ästhetischen Feld einige beinahe umwerfende Songs abzuringen und die altbekannten Muster fein ins Heute rüberzuretten. Hauptsächlich gibt es freilich Songs vom Debüt-Album „To Lose My Life...“ zu erleben, das mit enormem Publikums-Hallo begrüßte Titel-Stück beispielsweise, aber auch einiges an neuem Material, wie das sachte galoppierende „Is Love“. Das Feuer wird anderswo neu entdeckt, bei den White Lies brennt es nur ewig in unseren Seelen, gute Band, schöner Sterben.
Der von Bandseiten selbst so definierte Gypsy Punk von Gogol Bordello funktioniert auf dem Blatt Papier besser als in der tatsächlichen Umsetzung, so von der Idee her, die Zusammenführung von Folklore und Punk. Bandchef Eugene Hütz, der beste Schnurrbart im Rock, rührt in seinen notorischen DJ-Sets Klezmer, alten polnischen Jazz, Polka, Volksmusik, Punk und Spurenelemente von HipHop und Dancehall zu einem in alle Richtungen übersteuerten Party-Mix zusammen, sein, wie man so sagt, eklektischer Musik-Geschmack wird dann logischerweise auch in allen möglichen und unmöglichen Spielarten in den Sound von Gogol Bordello hineinverwurstet. Gogol Bordello ist - wie man so sagt - eine Festival-Band, in der neben traditionellem Rockinstrumentarium mit Akkordeon, Geige und Percussion-Alarm an der obersten Maxime von der höchsten Tanzbarkeit im Hochdruckkochtopf gefeilt, naja, gehämmert wird. Dabei fallen einige gute Songs ab, der Feierlaune ist die Musik von Gogol Bordello selbstredend mehr als nur in höchstem Maße zuträglich, auf ganzer Länge erschöpft sich das Konzept ein bisschen in der Zurschaustellung von „Skurrilität“ und erfreut sich zu sehr an den vielen, merkwürdigen Zutaten, die da in den Topf geschmissen werden. Eugene Hütz, The Entertainer, Gogol Bordello, als Tanzkapelle auf der nächsten Hochzeitsfeier vermutlich unschlagbar.
Während anderswo auf der Welt feine junge Bands wie Male Bonding aus London die Nirvana-Fahne hochhalten und auch „Postrock“ als Genre wieder voll okay geht, und so das längst fällige 90er-Revival endlich aus der Ecke kommt, haben auf die Band Skunk Anansie aus ebenjener Epoche, in der auf dem Musikfernsehsender MTV noch Shows wie Alternative Nation und 120 Minutes interessante Videos aus irgendeinem vage definierten „Underground“ in die Wahrnehmung gespielt haben, nicht unbedingt alle Menschen gewartet. Die englische Band rund um die – das muss und will man ihnen gerne lassen – charismatische Frontfrau Skin hat schon in ihrer durchaus erfolgreichen Hochzeit das Prinzip „Alternative“ als relativ simpel gestrickte Laut-Leise-Dynamik begriffen, mit höchstem Bombast und röhrenhaftem Sängerinnen-Gesang, den man heute allenfalls noch in Casting-Shows als künstlerisch wertvoll eingedoktert bekommt. Geändert hat sich nix: Großgefühlig angelegtes Hitfeuerwerk, „Selling Jesus“, „I Can Dream“, „Hedonism“, ein brandneuer, hier zum ersten Mal aufgeführter Song, vom demnächst erscheinenden Album. Skin trägt zu Beginn ein fast Björk-würdiges Outfit und widmet Peaches einen Song: „Because it’s about fucking.“ Immerhin, just because it makes you fee-ee-ee-l goo-oo-ood.
Es geht aber auch ganz anders: Die kalifornische Band NOFX forscht weiterhin unermüdlich an ihrem Lebensprojekt, die Idee vom Altern in Würde als intellektuellen Humbug zu entlarven. Wenn man ganz, ganz lange nachgrübelt, könnte man den Herren um Boss Fat Mike vielleicht zugute halten, dass sie schon früh bemerkt haben, dass man in all das ewiggleiche Akkordgeschrubbe Ska-Elemente und Trompetengebläse integrieren könnte, man könnte Nostalgie-Werte ins Rennen führen oder NOFX als Gateway Drug verstehen, die den Menschen die Tür öffnet hin zu spannenderer, das System so richtig fickender Musik - besser wird der Pippi-Kacka-Humor der Gruppe auch im fortgeschrittenen Alter nicht. We call it Skate-"Punk". "Thank You Australia!", ein Witz, der niemals alt wird.
Über Muse, den Headliner auf der Race Stage, weiß Kollege Andreas Gstettner wesentlich mehr, weshalb die relativ sehr gut gebuchte Weekender/Plingg-Stage besucht werden kann. Ein kleiner Höhepunkt waren vorher noch Marina and the Diamonds, wo Popmusik noch als große Geste, Cabaret-Musik und Kate-Bush-Heiligsprechung verstanden wird, danach darf die Hass-Band des Moments, The Drums, die sehr gut gefüllte kleine Halle mit betont stylish ins Schaufenster gestellter Stylishness blenden. Wo kommt denn all der Hass her? Ist es der Hype, die Hipness, das Gockelgetue, die absichtlich unbedarften Songs, die Hochwasserhosen? Die Drums bringen all die ganze Arroganz mit auf die Bühne, die man sich von ihnen erwarten will. Was auf den Platten des Quartetts aus New York eher als easy Sing-Along-Indie mit, ja, Surf-Einschlag daherkommt, deutet die Band live noch deutlich England-lastiger. Bei den Drums ist alles Pose. Da wird in der Geste, wieder einmal, Joy Division bemüht, da versucht sich der Sänger an der Grandezza von Morrissey, fallweise werden Gitarrenwände Richtung Shoegaze und Manchester Rave aufgemacht, ostentativ affiger Tanz mit dem Tambourin inklusive. Wenn Popper und Rocker Freunde werden. Ja, es soll hier geschrieben stehen: The Drums, eine Band als herrliches Bemühen artifiziell zu sein, ohne es selber zu wissen, von der Gewissheit beflügelt, aktuell gerade das heißest Ding zu sein. For Now. Bescheidenheit ist keine Tugend.
Das tatsächlich wunderbare Trio Au Revoir Simone aus Brooklyn, New York beschließt den Abend in der leider fast leeren Halle, naja, sind alle mit Muse und Delay beschäftigt. Drei Frauen an Synthies und süßlich polternder Drum-Machine, die auch bitteren Bedingungen große Momente abgewinnen können. Ein Festival-Gig wie eine Club-Show. Coverversionen sind bei Au Revoir Simone ein stetiger Quell der Freude, lange Zeit war "Young Turks" von Rod Stewart Fixpunkt, heute wird Don Henleys "Boys Of Summer" gegeben. Ein Klassiker der melancholischen Strand-Romantik, da kann nichts schief gehen. Das Beste, was man jetzt noch tun kann, ist tanzen. Oder beim Zählen der elektronischen Schafe in Watte eingepackt einschlafen, Au Revoir Simone im Unterbewusstsein, und schon heftig von Freitag träumen. Love Is a Murderer, Pow Pow.