Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Mein Körper verändert sich."

Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

10. 7. 2010 - 17:23

Mein Körper verändert sich.

LCD Soundsystem, DJ Shadow, die Antwoord, Placebo und Moderat am Tag 3 beim Exit Festival in Novi Sad

Das Exit Festival hat ein eigenes Foodland. Ich weiß nicht, seit wie vielen Tagen ich mich bereits von Tofuburgern mit Sojanaise ernähre. Mein Fotograph Lukas lächelt nur mehr in sich hinein bei meinem Gejammere und Herumrennen auf pflanzlicher Nahrungssuche und gibt Master -Yoda-artige Weisheiten von sich über diejenigen, die sich das Leben selbst schwer machen, wenn sie gerade nichts Besseres zu tun haben.

LCD Soundsystem live
Am Donnerstag, 15. Juli
im Spielzimmer in der Homebase:
LCD Soundsystem Konzert, aufgenommen auf dem Sonar 2010

Ich habe sehr wohl Besseres zu tun, als über appetitliches Essen auf Festivals nachzudenken. Drei Burggräben von Foodland entfernt ist die Mainstage und dort wird gleich ein Raumschiff mit 7-köpfiger Besatzung vom Disco-Eisplaneten landen: James Murphy und sein LCD Soundsystem. Eine der heißest verehrten und sehnsüchtig erwarteten Festivalbands dieses Sommers. Die Bühne ist schwarz bis auf eine riesige Discokugel. Die Musiker stehen in einer Linie am Bühnenrand und nutzen nicht einmal ein Viertel der riesigen Stage. Sehr demokratisch wirkt das souveräne Understatement des LCD Soundsystems.

James Murphy und das LCD Soundsystem

Lukas Hollenstein

LCD Soundsystem

Exit Festival 2010 auf fm4.ORF.at

  • Teil 1: In Novi Sad, wo das Exit Festival stattfindet, wohnen die nettesten Menschen der Welt.
  • Teil 2: Beim ersten Blick auf das Exit Line Up hat mich ein Name überzeugt, mein Köfferchen zu packen: Suicidal Tendencies.
  • Teil 3: LCD Soundsystem, DJ Shadow, die Antwoord, Placebo und Moderat
  • Teil 4: Von Mogelpackungen, Autopannen und gestohlenen Koffern. Die Opfer Missy Elliott, MS Dynamite und Röyksopp.

Nur weißes Licht zu melancholisch retrospektiven Jugendabgesängen.
Ja wie oft haben wir alle schon einen Narren aus uns gemacht, when we were drunk over and over again? Treibende Kühle auf der Bühne und auch das Publikum wippt mit Attitude. Bis auf eine Gruppe von Mädchen in Blumenkleidchen mit Schweinsmasken, denen die ganze Coolness vollkommen wurscht ist. Bei Drunk Girls grölen sie hemmungslos und wälzen sich auch kurzzeitig im Schlamm. Oh wie sehr möchte ich auch Teil einer Ferkelbewegung sein. Welch köstlich perverses Vergnügen, dies miterleben zu dürfen.

Nächster Programmpunkt: DJ Shadow wird zu uns sprechen. Pressekonferenzen sind auch immer recht vergnüglich, weil man miterleben darf, wie Musikerinnen mit unglaublichen Fragen gequält werden, die man als normaler Mensch, also nicht Schauspieler, Politiker oder Musiker, nie und nimmer beantworten könnte. DJ Shadow betritt die Szenerie, den edlen Leib gehüllt in ein Black Flag T-Shirt. Attitude Alarm Stufe drei. Meine Hoffungen an die Pressekonferenz erfüllen sich voll und ganz. Eine britische Dame mit unglaublicher Mini-Mouse-Stimme stellt die erste Frage: Wie fühlt es sich an, ein Genie zu sein? Um diese journalistische Meisterleistung zu artikulieren, braucht sie 90 Sekunden. Die Hälfte der Anwesenden grinst oder schaut betreten zu Boden. Der Spaßfreund, der neben mir steht und sich offenbar seiner Sache sehr sicher ist, beginnt sie nachzuäffen. Shadow schafft es tatsächlich, auf den Irrsinn etwas sinnvolles Druck- bzw. Sendefähiges zu antworten. Er spricht von den Ansprüchen, die er selbst an seine Arbeit stellt und wie er sich, sobald er Familienvater wurde, bewusst ein 9-to-5-Universum gebaut hat, um fokussiert arbeiten zu können. Als Mini Mouse zu einer weiteren Frage ansetzt, beginne ich zur Ablenkung mein Darth Vader T – Shirt mit dem des Nachäffers zu vergleichen. Meines ist das Modell I'm your Father, der Nachäffer trägt eine Version des Pink Floyd Plattencovers, bei dem das Licht durch den Helm von Lord Vader gebrochen wird und er ist Shadows Manager. Wir sprechen uns gegenseitigen Respekt für unseren Kleidungsgeschmack aus und dennoch traue ich mich nicht zu fragen, ob er sehr mitleidet bei Pressekonferenzen. Ich glaube schon, er fuchtelt nämlich hektisch herum, dass man der Alten das Mikro wegnehmen soll. DJ Shadow gibt noch ein paar smarte Bemerkungen zum Thema Internet von sich und bemerkt, dass man neues exklusives Material hören wird, und dann ist der Spuk auch schon wieder vorbei.

DJ Shadow

Lukas Hollenstein

Zwei Stunden später: DJ Shadows audivisuelles Set geht los.

Auf der Bühne ein sich drehendes weißes Planetenmodell, man könnte es der Einfachheit halber auch Kugel nennen, dahinter eine weiße Leinwand. Die erste Projektion auf das Teil, und ich weiß, aus welchem Fanmaterial Shadow, sein Manager und ich gegossen sind. Der Todesstern vor mit in ganzer martialischer Schönheit. Ich fand DJ Shadow immer schon am erhabensten, wenn er melancholisch wird. Im Lauf der Show mutiert die Kugelprojektion zu einer Art magischer Kristallkugel, die uns das auf die Leinwand dahinter projizierte Leben und Sterben on Planet Earth zeigt. Wie organische Gewächse in den Projektionen morphen Shadows Tracks auch während der Show ineinander. Etwas, das an "Midnight in a Perfect World" erinnert, wird von einem ernsten Monolog - Marke Gott oder ein Hollywoodsprecher mit sonorer Stimme redet zu uns - überlagert. Der Beat mutiert zu DnB, jemand, der Zack de la Rocha sein könnte, beginnt durch ein Megaphon zu schreien. Auf der Leinwand und der Kugel nicht mehr Genesis und wachsende Pflanzen, sondern Tod und Verderben, Marke abgeschlachtete Wale in einem Meer von Blut. An die genauen Bilder erinnert sich eure Berichterstatterin nicht mehr, weil Reizüberflutung und Inbesitznahme von Herz und Hirn durch Shadows multidimensionaler Roadshow funktioniert. Der Track mutiert zu 7 Days, die Kugel beginnt sich zu drehen und öffnet sich. Unheimliche Begegnung der dritten Art: Das Raumschiff mit dem Alien DJ Shadow ist gelandet.

"I feel very inspired", meint Kollege Johnny Bliss. Ich hab zur Abwechslung gar nichts zu sagen. Sprachlose Begeisterung. Ich muss erst einmal verdauen, nicht nur meine Sojaburger. Apropos, es ist drei Uhr - Zeit für einen kleinen Snack. Festivals können eine sehr vergnügliche, aber auch sehr anstrengende Sache sein. Jedem, der schon einmal eines erlebt hat, brauche ich das nicht zu erzählen.

Dass es mir unmöglich ist, mich um 3 Uhr in 5 Minuten zu betrinken, musste ich Plan B fassen, um die Antwoord in einem würdigen Aggregatszustand zu sehen. Vegane Burritos fressen und meinen Fotographen Lukas mit Fragen quälen, ob er Yo-Landi Vi$$er scharf findet - es wirkt: Ich bin bereit für die "Zef Side" und some "Next Level Shit".

Wir warten vor der Bühne. Nichts geschieht. Boyz Noise twittert, dass er in einem Auto mit die Antwoord sitzt und von den Securitys nicht aufs Festivalgelände gelassen wird. Vielleicht ist der Proloaufzug der Antwoord doch zu glaubwürdig.

Die Antwoord

Lukas Hollenstein

Die Antwoord

Die Antwoord besteht aus Ninja, Yolandi und DJ Hi Tek. Zef Ninja Rap Rave Crew nennen sie sich selbst. Zef bedeutet angeblich auf Afrikaans Prolo. Unerlässliches Vokabel zur WM Zeit. In Top Form waren unsere drei Helden in mit Kinderzeichnungen bemalten Ninja Jogging Anzügen. Gangster Rap Persiflage trifft auf Karate Kicks und Yo-Landis gekonntes Arsch in goldener Knackwursthose ins Publikum Halten. Ninja, der Frontman der Antwoord, mit dem, wie ich hoffe, aufgemalten riesigen $O$-Tattoo am Rücken, ist ein in Südafrika berühmter Artist, der gleich Ali G häufig seine Bühnencharaktere wechselt. Kurz: die Antwoord sind ein großer Spaß und haben die Besucherinnen der Fusion Stage beim Exit Festival ziemlich gut unterhalten.

Die Antwoord

Lukas Hollenstein

Die Antwoord

Lukas Hollenstein

Zurück zur Mainstage: Plastician ist gemeinsam mit MC Flowdan von der Roll Deep Crew am Werken. Flowdan ist ein großartiger MC, der oft Liveshows mit The Bug spielt. Wir sind im Reich des brachialen Bass angekommen. Was Plastician und Flowdan da machen, lässt mich um 5 Uhr früh glauben, man könne tatsächlich Risse im Raum-Zeit-Kontinuum erzeugen, wie im Vorspann zu Arte Tracks. Nach einem kleinen, sinnlos lustigen Scharmützel zwischen meinem Fotographen Lukas und mir, ob man das, was wir gerade hören, 8bar Bassline oder Dubstep nennen soll, rollen wir heimwärts.

10 Stunden später, mit frischgeputzen Zähnen, stehen wir an der gleichen Stelle und liefern uns ein weiteres amikales Scharmützel. Haben Plastician und Flowdan die Anlage in den Tod gespielt oder sind The Horror einfach nicht gut abgemischt. Und überhaupt: sollten jetzt nicht Atari Teenage Riot spielen? Sie haben mit The Horror Slot getauscht. Ich hätte zu gerne gewusst, was ATR im Hier und Jetzt bedeuten. Um nicht weitere Gemeinheiten über The Horror hier verbreiten zu müssen, ziehe ich mich in den Saloon zurück. Black Jack spielen ist eine würdige Beschäftigung, um die Wartezeit auf Placebo zu verkürzen.

Black Jack spielen ist scheiße. Ich habe alles verloren. Oh, höre ich Yogaklassenmusik von der Mainstage? Es ist das Intro von Placebo, das aus gelooptem Einatmen besteht. Warum müssen betrunkene Menschen immer Partyschlangen bilden, denke ich mir, als eine britische Schlumpf-Posse mich niedertrampelt. Ich kämpfe um meinen Platz in der siebenten Reihe am Rand. Endlich - eine Gitarre durchschneidet das Yogamusikgelulle. "Nancy Boy" ist der klug gewählte Opener. Plötzlich klingt die Anlage wieder kristallklar; man hört jeden Ton, jedes Instrument. Die Band steht in weißen Dandy-aus-Portofino-Anzügen auf der Bühne und Brian Molko klingt bei den Bühnenansagen wie ein Zirkusdirektor, der das Publikum in seine Freakshow locken will. Ich bin empört, weil mir zwei Typen, die gegen die Bühnenabsperrung pissen, auch quasi auf die Füße pissen. Noch empörter bin ich, als sie nach dem Urinieren ein Fläschen mit Desinfektionslotion zücken und sich trocken die Hände waschen. Placebo spielen "Every Me And Every You". Pärchen beginnen in der Ecke, wo die Typen gerade hingepisst haben, zu küssen. Ein anderes Mädchen setzt sich auch genau dort zum rituellen Traurig-Schauen auf den Boden. Ich kann mich nicht mehr auf die ambivalente massenkompatible Dandy-Inszenierung von Placebo konzentrieren.

Placebo

Lukas Hollenstein

In der Dance Arena ist die Welt wieder in Ordnung. Moderat spielen in gewohnt cineastischer Größe. Ich bin fasziniert. Ich habe Moderat schon oft gesehen. Es ist erstaunlich, wie sich die Musik je nach Aufführungsort anders entfaltet, verschiedenste Stimmungen und Gefühlsnuancen erzeugt. Rusty Nails war in Graz ein rührendes Liebesfest, Pärchen und Freunde lagen sich in den Armen. Hier wird geraved, die Augen in den Nachthimmel gerichtet.

Den Mädchen in Fransenstiefeln im VIP-Bereich, wo die Getränke löblicherweise mehr kosten als für den Plebs, ist das einerlei. Sie beweisen, dass man zu jeder Musik seinen Arsch anderen Menschen ins Gesicht schieben kann. Die begleitenden Cornettos grinsen glücklich. Ich frage mich, ob sie sich im Tag geirrt haben. Morgen spielt nämlich David Guetta auf dieser Bühne. Glücklich und persönlich befriedigt, dass Guetta auf der kleineren Dancestage spielt, während Basshooligans wie die South Rakkas Crew oder Plastician die Mainstage zerlegen, schließe ich meine Äuglein.