Erstellt am: 20. 4. 2010 - 12:05 Uhr
LCD Soundsystem - Videopremiere "Drunk Girls"
Album über Bord!
Schwubs, da war auch jenes futsch. Vergangene Woche ist das neue LCD Soundsystem Album „This Is Happening“ (regulärer Erscheinungstermin: 14. Mai, EMI) in die unendlichen Weiten der Datenleitungen geleakt und man fragt sich wieder einmal: Unfall, Absicht, grüne Tomaten?
DFA
Als gängige Methode der "Schadensbegrenzung" hat sich mittlerweile der Album-Stream als Erstversorgung des Lecks etabliert, Motto: Eindämmung durch Flutung! Und da sprudelt es zurzeit gewaltig: MGMT, Broken Social Scene, Hold Steady, sogar der Postpunk Grantler Mark E. Smith und seine aktuelle The Fall Mannschaft sind mit an Bord (die letzten drei über NPR, dem freien US-Radio Netzwerk). Sie alle öffnen die Schleusen schon Wochen vor dem offiziellen Verkaufstermin. Die Kanäle werden zum Wohle der Pre-Release-Propaganda geflutet. Wer hier nicht mitmacht, so die Haltung der Stunde, den verschluckt das Datenmeer.
This Is Happening
Jetzt also auch Captain Murphy und seine LCD-Freibeuter. Die letzten Monate war der polternde DFA-Labelbetreiber immer seltener in den Hipster-Hafenkneipen am East River antzutreffen. Dort kann Murphy anscheinend keinen Jameson mehr ordern, ohne große Fantrauben an der Bartheke zu versammeln. Das neue Album wurde dann auch großteils an einem Pool in LA aufgenommen, wie man in diesen netten Video-Snipplets sehen kann. "New York I love, but you bringing me down", hat Murphy schon sinngemäß auf dem Vorgänger Sound Of Silver geklagt.
Das Resultat ist This Is Happening, das dritte Studioalbum jener Formation aus Brooklyn, die die engen Modebegriffe Punkfunk oder Dancepunk Mitte der letzten Dekade gesprengt und über klassisches Songwriting samt Acts wie The Rapture, !!! oder Radio4 in den Orbit der Pop-History geschossen hat.
DFA
Und auch beim dritten und möglicherweise letzten LCD-Ding rieselt der Kalk wieder von der Decke des Rock Clubs hinunter auf den Dancefloor und hinein in die Gefühlsregionen.
Meine Ohren mussten sich zwar zunächst von der Enttäuschung über das etwas blutleere Suicide Cover „Bye Bye Bayou“, einem Single Track Release, erholen, dann an den scharfen Gitarrensound der ersten Albumauskopplung „Drunk Girls“ gewöhnen, später gnädig den allzu offensichtlichen Flirt von „All I Want“ mit der Jahrzehntenummer „Someone Great“ vom letzten Album überhören, um schlussendlich überglücklich in die Arme des nächsten Epochenstücks „I Can Change“ zu sinken, mit dem Murphy dem Altmeister des New Yorker Spätsiebizger-Trockennebels, Gary Numan, eine Synthi-Kathedrale errichtet hat. Generell klingt "This Is Happening" etwas roher und räudiger als der Vorgänger, will heißen eher nach Downtown 79 als Brooklyn 07.
Christian Lehner
„Pow Pow“ hingegen ist der vielleicht beste Rip-Off, den eine Band jemals an sich selbst begangen hat. Außerdem enthält es mit der Textzeile „I have been filmed beeing ridiculous, or eating Michael Musto“ einen der genialsten NYC Insight Jokes aller Zeiten (Musto ist ein gewitzter und sehr populärer Kolumnist der Village Voice) und beweist einmal mehr das Gespür des Althipsters für unpeinliche Selbstgeißelung.
Murphy ist überhaupt einer der wenigen Auskenner (vor und hinter dem Mikro), der sein Wissen nicht ökonomisch als Besserwissen verwaltet wie zum Beispiel diese Schlaumaier hier. Zynismus, spöttische Beobachtungen und Skepsis treffen auf einen herben Charme, der all die Fragezeichen mit dem großen JA auszusöhnen vermag. Die forschen Selbstbespiegelungsattacken über die Absurditäten des „gemeinen Lebens in der Popkultur“ kommen mit dieser Dringlichkeit auch bestens bei Murphys deutlich jüngerem Publikum an. Die kurzfristig anberaumten New York Gigs der letzten zwei Wochen (noch so ein neuartiges Promotion-Tool) waren innerhalb weniger Minuten, auch sehr zum Leidwesen des Austors, ausverkauft. Die Reaktionen auf die Gigs sind für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich euphorisch ausgefallen. Herr Murphy demonstriert, wie man jenseits der 40 in Würde flotte Sneakers tragen kann und eine gute Figur macht, auch wenn man nicht mehr unbedingt eine gute Figur macht.
Videopremiere - "Drunk Girls"
Murphy und LCD at its best auch im neuen Video „Drunk Girls“ von Spike Jonze. Der Kunst-Clip mit Pfiff und Farbe feiert(e) gestern in den USA und heute in Europa Premiere. In Tierkostüme gewandete Statisten sabotieren das Wohlbefinden der Band, die das als Fratboy Klassiker getarnte „Drunk Girls“ vorträgt - oder sich zumindest daran versucht.
Bevor die Metaebene allzu wild zu tanzen beginnt (ist das etwa ein Seitenhieb auf die seit Jahren grassierende Fixierung aufs Tierische innerhalb der US-Indie Szene?) mündet das Inferno in eine Schampus Party mit Anarcho Charakter. Dann gegen Ende die Sünde, der übelste Fratboy Fun aller Zeiten: der bartstoppelige Rauschbube im Damenkostüm. Murphy! Was sonst aber üblicherweise in die Kicher-Hose geht, sieht beim LCD-Captain so richtig gut aus, ohne im Entfernstesten gut auszusehen.
Indeed, someone great.