Erstellt am: 8. 7. 2010 - 17:52 Uhr
Way outta context
Der Flughafen von Zagreb liegt außerhalb der Stadt. Ein Terminal, keine Shops und ganz und gar nicht gewappnet für die Invasion der Easy Jet Raver, die gerade über ihn hereinbricht.
Ich bin die einzige unter den orientierungslos zwischen Bussen Hin- und Hertaumelnden, die nicht englisch spricht. Gerade komplimentiert der Busfahrer zwei neonbebrillte Ladies wieder aus seinem Fahrzeug. Er ist sich sicher, dass sein Bus nach Banja Luka fährt und nicht zum Exit Festival nach Novi Sad. Alles nicht so leicht. Es gibt nicht nur einen Exit Bus und der, den ich gebucht habe, hat mehr Passagiere als Sitzplätze.
Natalie Brunner/Radio FM4
Zwei Kopfwehtabletten später, auf der Autobahn in Richtung serbische Grenze, ist meine Stimmung wieder top. Der Busfahrer will den Passagieren Gutes tun und spielt für die Kurzweil auf der sechsstündigen Busfahrt einen Fidget House Mix. Die Passagiere, zum Großteil sind sie so wie ich gegen fünf Uhr früh aufgestanden, schlafen mit aufgesetzten Sonnenbrillen und Kopfhörern. Ich belausche die Gespräche meiner nicht schlafenden Mitreisenden. Allesamt Festivalprofis. Nach dem fachmännischen Schlagabtausch über das Flying Lotus Set bei der Sonar in Barcelona verabreden sie sich nächstes Wochenende beim Melt. Ich mag meinen Sitznachbarn. Er ist aus LA und kann es gar nicht erwarten "to see Missy way outta context".
Natalie Brunner/Radio FM4
- www.exitfest.org: Mit LCD Soundsystem, The Horrors, Klaxons, Gonjasufi uvm!
Way outta context fühle ich mich auch Stunden später, als der Bus in Novi Sad am Exit Campingplatz eintrifft. Nach sieben Stunden Busfahrt inklusive Stau und genauen serbischen Zöllnern falle ich mit pochendem Kopfweh aus dem Bus. Der Versuch, die Vermieterin meines Appartements zu erreichen, scheitert. Das Netz, in das sich mein Unsmart Phone eingelogged hat, spielt mir nur serbische Hörspiele vor. Verzweifelt taumle ich ins nächste 5-Sternhotel, erkundige mich nach den Zimmerpreisen und überlege, ob ich das der Buchhaltung unterjubeln kann. Der nette Herr an der Rezeption erkundigt sich nach meinem Befinden; ich erkläre ihm die Misere, er ruft für mich die Dame vom Appartement an und führt mich quasi an der Hand bis vor die Tür. Ein leiser Verdacht beschleicht mich, dass in Novi Sad die nettesten Menschen der Welt wohnen.
Vor der Tür steht die Dame vom Appartement und Lukas, der die Photos machen wird. Eine halbe Stunde kämpft sie mit unserem Nachbarn gegen W-Lan Passwörter, bis ich endlich verbunden bin. Der Verdacht, dass extrem reizende Menschen diese Stadt bevölkern, erhärtet sich. Letzter Programmpunkt: Ein Besuch in der Nachtapotheke. Die lächelnde Dame hinter dem Tresen knöpft mir umgerechnet 42 Cent für das Paracetamol-Produkt meines Vertrauens ab. Als sie mein ungläubiges Gesicht sieht, fragt sie, ob ich die Rechnung als Souvenir will. Mit großem Zorn gegen Pharmakonzerne schlafe ich ein.
Die nettesten Menschen der Welt
Exit Festival 2010 auf fm4.ORF.at
- Teil 1: In Novi Sad, wo das Exit Festival stattfindet, wohnen die nettesten Menschen der Welt.
- Teil 2: Beim ersten Blick auf das Exit Line Up hat mich ein Name überzeugt, mein Köfferchen zu packen: Suicidal Tendencies.
- Teil 3: LCD Soundsystem, DJ Shadow, die Antwoord, Placebo und Moderat
- Teil 4: Von Mogelpackungen, Autopannen und gestohlenen Koffern. Die Opfer Missy Elliott, MS Dynamite und Röyksopp.
Beim Aufwachen stelle ich fest, ich bin wie immer beim Kofferpacken gescheitert. Hunderttausend Kabel, aber keine würdige Gaderobe, um den Bad Brains, Suicidal Tendencies, Gonjasufi und der Antwoord gegenüberzutreten. Als sich Lukas weigert, mir seinen Gürtel, Socken, Pullover und Zahnbürste zu überlassen, gehe ich auf Einkaufsmission. Elf Uhr: erste Horden von Menschen, erstaunlicherweise zwischen 25 und 30, ausgerüstet mit Flachmann, kommen mir entgegen. Ein Grüppchen von englischen Herren - auch so Ende 20 - bewirft sich mit Kieselsteinchen. Im Kiosk kaufe ich mir einen Kaffee und "Pepa the Pig"-Aufkleber. Als ich nach Sojamilch frage, läuft die Kioskbetreuerin in den Supermarkt, um welche zu holen. Der einzige andere Kunde, eine Herr um die 40, unterhält mich und fragt, wieso ich keine Spongebob-Kleber kaufe, der ist doch international bekannter? Mir zu hysterisch, antworte ich. "Well, he leads a hectic life", erwidert mein Gegenüber. Oh, wie habe ich diese Stadt und ihre Bewohnerinnen schon ins Herz geschlossen.
Eine Stadt im Exit
Natalie Brunner/Radio FM4
Fünfzigtausend Besucherinnen werden erwartet. Keine Hausecke, kein Müllkübel, auf dem nicht "Suche Karte" oder "Vermiete Zimmer"-Zettel hängen. Die Donau, die durch die Stadtmitte fließt, lässt die Szenerie vertraut erscheinen. Vertraut aus einem Historienfilm: Wien im 18. Jahrhundert; auch die Szenerie am transdanubischen Ufer, wo das Exit Festival stattfindet. Ich bin begeistert von den Bauten und Durchgängen. So könnte das Wien ausgesehen haben, in dem meine legendäre Urgroßtante Augusta Grünwald abgeraved hat. In einer Mischung aus Vorfreude und Strebertum sind wir die ersten, die unsere Pässe abholen. Lukas bemerkt, dass bereits jetzt der festivaltypische Tigerkäfiggeruch sich breit macht. Am Gelände wird mein Strebertum mit einem Privatkonzert der LCD Soundsystems aka Soundcheck belohnt. We are ready to go.
Morgen geht es weiter mit Geschichten vom Exit Festival.
Natalie Brunner/Radio FM4