Erstellt am: 11. 12. 2009 - 14:02 Uhr
Freier Handel gegen Klimawandel?
Die flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokols erlauben es Staaten und Firmen, die vorgeschriebenen Einsparungen an Treibhausgasen an Dritte auszulagern.
Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten: Entweder sie kaufen Verschmutzungsrechte zu, oder sie fördern den Klimaschutz in anderen Ländern, sei es durch die Entwicklung Treibhausgas einsparender Instrumente ("Clean Development Mechanism" oder "Joint Implementation") oder den Schutz von CO2-Senken, wie Wälder.
Es gab Zeiten, in denen sich die Prinzipien des freien Markts und des Umweltschutzes unversöhnlich gegenüber standen. Zeichneten sich doch Marktprinzipien unter anderem dadurch aus, dass ihnen ein fortwährender Wachstumszwang inhärent war, der gegenüber "externen Nebeneffekten" wie Umweltzerstörung blind war. Deshalb war die Ökologiebewegung bis in die 80er Jahre eine stark wachstums- und kapitalismuskritische.
Doch die alten Zeiten sind vorbei. Willkommen im 21. Jahrhundert, in dem die Financial Times bei den Europawahlen eine Wahlempfehlung für die deutschen Grünen abgibt, weil diese einen Green New Deal propagiert, Deutschland mithilfe der Entwicklung von Umwelttechnologien seine Position als Exportweltmeister halten will, und auch die Klimapolitik den Markt als geeignetes Instrument zur Eindämmung der Treibhausgasemissionen entdeckt hat. Die sogenannten"flexiblen Mechanismen" sollen ökonomische Effizienz und Umweltschutz miteinander versöhnen. Der Emissionshandel steht im Zentrum dieser Bemühungen.
Der Verschmutzungsmarkt
Der Klimagipfel in Kopenhagen auf FM4
- I: Prima Klima?
- II: Nur heiße Luft? Wissenschaft und Klimawandel
- III: Techno-Klima
- IV: Freier Handel gegen Klimawandel?
- V: Klimapolitik und globale Gerechtigkeit
und mehr zum Klimaschutz auf fm4.orf.at/klimaschutz
Die Idee klingt simpel: Bisher konnte jede und jeder so viel Schmutz in die Luft pumpen, wie er wollte. Um dies zu ändern, werden jährliche (sinkende) Obergrenzen für Treibhausgasemissionen festgelegt (sogenannte carbon caps). Auf Basis dieser Obergrenzen werden nun Emissionszertifikate an die einzelnen MarktteilnehmerInnen verteilt, die sie dazu berechtigen, eine genau festgelegte Anzahl von Treibhausgasen zu emittieren. Wer es schafft, den eigenen Treibausgasausstoß unter die ihm/ihr zustehende Menge zu drücken, kann den Rest der Zertifikate verkaufen.
Dies ist für all jene MarkteilnehmerInnen interessant, deren Emissionsrechte den eigenen Ausstoß von Treibhausgasen nicht decken und die daher Zertifikate zukaufen müssen. Alternativ können sie auch Verschmutzungsrechte erwerben, indem sie klimaschützende Maßnahmen in Drittländern finanzieren. Das Marktprinzip ist aus dem Blickwinkel vieler Ökonomen doppelt effizient: Es hält einerseits alle Marktteilnehmer zu einem sparsamen Umgang mit Treibhausgasen an und leitet andererseits Gelder in jene Bereiche um, in denen umweltfreundliche Technologien am billigsten und effektivsten einsetzbar sind.
Welcher Markt?
Eine sehr ausführliche und lesenswerte Analyse zum Thema Emissionshandel und flexibler Mechanismen liefert eine Spezialausgabe der Zeitschrift Development Dialogue. Eine weitere fundierte Kritik zu Carbon Trading findet sich hier.
Soweit die graue Theorie. Wer gehofft hat, dass daraus bald eine grüne, weil umweltfreundlichere Praxis resultiere, hat sich allerdings getäuscht: Die Welt ist 2009 so grau wie noch nie. Die Probleme der flexiblen Mechanismen sind schier endlos. Dessen war sich die Europäische Union auch voll bewusst, weshalb sie bis zu den Verhandlungen in Kyoto strikt dagegen eingetrat. Mit dem Ausstieg der USA aus dem Kyoto-Protokoll 2001 entwickelte sich die EU (und mit ihr viele Umwelt-NGOs wie Greenpeace) jedoch zur stärksten Befürworterin der marktbasierten Klimaschutzinstrumente. Zur Zeit wird ein Großteil des Handels innerhalb der EU selbst abgewickelt. Ob diese Wende wirkliche eine so gute Idee war? Zwei MitarbeiterInnen der US-amerikanischen Umweltbehörde sind nicht dieser Meinung. Vor kurzem wandten sie sich mit der Videobotschaft The Huge Mistake an die Öffentlichkeit, um vor den negativen ökologischen und ökonomischen Folgen des Emissionshandels zu warnen. Hier einige der wichtigsten Argumente:
Annie Leonard
Wer lieber Dokus schaut als liest, kann sich hier einen kurzen Film zum Thema Carbon Trading anschauen. Von und mit Annie Leonard, der Macherin von "The story of stuff".
- Der Emissionshandel beschränkt sich bisher auf die 37 als Annex B-Staaten bezeichneten führenden Industrieländer, sowie auf einen Bruchteil von Wirtschaftssektoren und Unternehmen innerhalb derselben. Die Landwirtschaft, die weltweit für 30 bis 50 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, bleibt völlig ausgeklammert, ebenso der gesamte Flugverkehr.
- Der Markt für Emissionsrechte ist nicht natürlich vorhanden, sondern muss politisch hergestellt werden. Dabei ergeben sich mehrere Probleme. Zum einen: Wer bekommt wie viele Emissionsrechte zugesprochen? In der Praxis hat sich das System bisher als völlig ineffektiv herausgestellt. Die EU-Staaten verteilen ihre Zertifikate gratis und viel zu großzügig unter den Großunternehmen. Das hat zum einen die Folge, dass die Preise für die Zertifikate im Keller liegen. Zum anderen werden Unternehmen wenig bis gar nicht zu einer Energiewende gezwungen. Im Gegenteil: Viele streiften in den letzten Jahren sogenannte "winfall profits" ein. So schlugen deutsche Energieunternehmen die (fiktiven) Preise ihrer Gratiszertifikate auf den Strompreis auf. Begründungen: Man hätte die Zertifikate ja auch verkaufen können. Das Halten der Gratiszertifikate entspricht nach dieser Logik einem Verdienstentgang. Auch wenn in Zukunft Zertifikate nicht mehr gratis verteilt werden, bleibt die Frage, ob sich Staaten und Großunternehmen Marktbedingungen vorschreiben lassen, die ihnen gegen den Strich gehen.
- Ein weiteres Problem betrifft die Frage der Überwachung, insbesondere bei der Förderung von klimaschützenden Projekten: Vertraglich ist festgelegt, dass im Rahmen des Clean Development Mechanism (CDM) nur zusätzliche klimaschützende Maßnahmen gefördert werden dürfen, die die jeweiligen Staaten nicht ohnehin schon durchführen wollten. Dieses Kriterium ist kaum zu überprüfen. Eine weitere Unbekannte betrifft die Höhe der tatsächlichen Effekts: Wer setzt fest, wie viel CO2 bei der Förderung eines Staudammprojekts eingespart wird, bei der Förderung der Agrotreibstoffproduktion oder beim Schutz eines Regenwaldes? Mehrere Studien kommen zu dem Schluss, dass ca. die Hälfte der Projekte im Rahmen des CDM keinerlei zusätzliche klimaschützende Wirkung entfalten.
- Prinzipiell stellt sich die Frage, wie sehr dem Markt als Klima- und Umweltschützer zu trauen ist. Denn während die BefürworterInnen gerne auf das erste Credo des Wirtschaftsliberalismus verweisen ("Der Markt regelt sich von allein und findet die effizienteste Lösung"), vergessen sie, auch das zweite Credo zu zitieren, auf das man sonst immer verweist: "Der Markt ist äußerst erfindungsreich und innovativ." Da am Markt der Profit den Ton an gibt (und nicht die Wirksamkeit von Klimaschutzmaßnahmen), stehen sich Erfindungsreichtum und Umweltschutz oft dimetral gegenüber. KritikerInnen warnen etwa, dass sich die Zertifikate zu neuen Spekulationsobjekten an den internationalen Börsen entwickeln könnten.
Effizienter Markt - effektiver Schutz?
Die Plattform Carbon Trade Watch bietet eine umfangreiche und ständig aktualisierte Sammlung von Analysen und Berichten zum Thema Emissionshandel.
Zwei Beispiele aus der Gegenwart sollen die oft fragwürdigen Auswirkungen der flexiblen Mechanismen nochmals unterstreichen: Eine äußerst beliebte Methode von Unternehmen, Verschmutzungszertifikate zu erwerben, ist es, die Entsorgung von teilhalogenierten Kohlenwasserstoffen und Lachgas in Ländern wie Brasilien, Indien oder China zu finanzieren. Beide enstehen bei der Produktion von Kühlmitteln. Die Entsorgung dieser Treibhausgase ist im Vergleich zum Einsparungseffekt relativ billig. Der Run auf diese Art des Zertifikatserwerbs hat nun zu der paradoxen Situation geführt, dass dadurch ökonomische Anreize zur vermehrten Produktion eben dieser Treibhausgase in Ländern des Südens entstanden ist: Viele Unternehmen verdienen mit dem CDM mittlerweile mehr Geld als mit der Produktion der Kühlmittel.
Indigenous Environmental Network
Insbesondere indigene Organisationen machen gegen REDD mobil
Unter die flexiblen Mechanismen fällt auch der Schutz von CO2-Senken, die CO2 am Land (oder im Wasser) binden. Staaten und Unternehmen können sich daher zum Beispiel am Schutz von Regenwäldern finanziell beteiligen und damit ihren eigenen CO2-Verbrauch steigern. Dieses Vorgehen, genannt Reduced Emissions from Deforestation and Degradation (REDD) ist jedoch starker Kritik ausgesetzt. Zum Einen ist mit dem Schutz eines bestehenden Waldes noch nichts gewonnen. Er bestand ja schon vor der Einführung der flexiblen Mechanismen, trägt also nichts zusätzlich zum Klimaschutz bei. Zum Zweiten hat REDD in der Praxis zu Vertreibungen von Bewohnern/innen der unter Schutz gestellten Gebiete geführt. Zum Dritten bleiben die Begehrlichkeiten nach Tropenholz ja bestehen. Der Schutz eines Regenwaldes führt deshalb nicht zu einem Ende der Abholzung, sondern lediglich zu einer Umlagerung in eine andere Region.
Während der Handel mit dem Klima für viele Parteien also neue Geschäftsfelder eröffnet, ist die Sinnhaftigkeit des Handels aus einer ökologischen Perspektive zu hinterfragen. Gleichzeitig führt er zu neuen Beziehungen zwischen nördlichen und südlichen Staaten.
Die Rolle der Klimapolitik in den Nord-Süd-Beziehungen werde ich im nächsten Beitrag beleuchten.