Erstellt am: 23. 10. 2009 - 14:15 Uhr
Vlog #1: Aufzeichnungen aus dem Dazwischenland
All jene, die mit der Viennale, wie sie ist, zufrieden sind, haben Grund zur Freude: eine der Ankündigungen des gestrigen Eröffnungsabends betraf die Direktion von Hans Hurch, die noch einmal um vier Jahre verlängert worden ist. Der Saal klatscht: 2013 findet also jedenfalls aus unserer jetzigen Perspektive aus die letzte Hurch-Viennale statt. Ich frage mich zwischenzeitlich, was man verbrechen müsste, damit einen das Konsortium nicht wieder bestätigt, sondern absetzt: vermutlich ein wirtschaftlicher Misserfolg. Leere Kinos bedeuten leere Taschen.
Der ökonomische Erfolg sanktioniert alle und alles: da freut sich der Herr Mailath-Pokorny, der bei seiner Rede ins Publikum fragt "Wie halten Sie dieses Kino aus?" Ich fühle mich ertappt, da ich schon seit Minuten meine rechte Schulter kreisen lasse, um eine durch die tödliche Sitzhaltung meines Körpers ausgelöste Verspannung im letzten Moment zu verhindern. Last Minute Body-Training, sozusagen. Und dann erzählt der Herr Kulturstadtrat von der Notwendigkeit des Gartenbaukinos, dass – Achtung: Wortschmäh – wir alle, also alle Steuerzahler Österreichs das Kino "aushalten" würden, dass Schwarz/Blau/Grün nicht dafür gewesen seien, die SPÖ aber schon, diese Perle am Stubenring weiter zu subventionieren. Deshalb müssten wir alle zahlreich kommen, nicht nur zur Viennale, sondern auch zur Nicht-Viennale.
Alexander Tuma
Förderungswürdig
Die Viennale auf FM4
- Tauschrausch Unsere hauseigene Viennale-Tickettauschbörse
- 15 Viennale Momente Ans Herz gelegt von Christian Fuchs
- Blutsfreundschaft Die Werbekampagne für einen Kinofilm erhitzt Gemüter
- Vlog #0 Markus Keuschnigg empfiehlt zehn Weltverbesserungsfilme
- Vlog #1 Hans Hurch reimt sich die Viennale-Eröffnung herbei und zeigt "La Pivellina"
- FM4 Soul Powered Die Party zur Viennale
- Alle Stories zum Thema
Hans Hurch verteilt bei seiner Ansprache routinemäßig politische Watschen, verpackt diese heuer aber in Reime. Eines der Hurch'schen Haikus, das vielleicht bald auf einem Viennale-Schnalzband (Oh, Memory Lane!) steht, habe ich mir notiert:
Im Parteihaus saßen
Stehend Leute
Lesen morgen Krone
Gestern Heute
Verstanden? Ich im ersten Moment nicht. Als ich lache, ist es schon zu spät. Das rothaarige Moderationstalent Gabriele Flossmann bittet noch die Regisseure des österreichisch-italienischen Eröffnungsfilms La Pivellina auf die Bühne. Tizza Covi und Rainer Frimmel sehen sympathisch aus: eine Zeitlang frage ich mich, wer die kleine Frau mit neonroten Haaren ist. Dann komm ich drauf, dass sie im Film mitspielen wird. Die Regisseure meinen, sie hätte sie an Anna Magnani erinnert. Irgendwie vielleicht. Ein paar Minuten lang bin ich überzeugt, dass Roman Polanski neben mir sitzt.
La Pivellina
Stadtkino Wien
Ja, "La Pivellina" ist ein angenehmer, interessanter, gut gemachter, wohlmeinender Film. Aber nur gewisse Portionen davon haben auch mein Herz gewonnen. Der Reihe nach: eine Wanderzirkusfamilie nimmt ein zweijähriges Mädchen bei sich auf, das offensichtlich von seiner überforderten Mutter ausgesetzt worden ist. "La Pivellina" (übersetzt: "die Kleine") ringt der geerdeten Patti Muttergefühle ab: sie selbst lebt mit dem gebürtigen Deutschen Walter und dessen 14-jährigem Sohn Tairo in einigen Wohnwägen am Rand von Rom. Das könnte eine jener Gegenden sein, an denen die italienischen Neorealisten von Rossellini bis Pasolini ihre harten, lyrischen Filme gedreht haben: am meisten begeistert mich die Umgebung, dass da kaum etwas moduliert wurde. Es ist Winter und Italien sieht aus, als läge es in Osteuropa. "La Pivellina" lebt von seiner Authentizität, von der Angreifbarkeit der Figuren, die weder sie selbst sind noch spielen, sondern irgendwo im Dazwischenland leben. Ich begleite sie gern bei Ausflügen und gemeinsamen Essen und Diskussionen.
Stadtkino Wien
Stadtkino Wien
Kleine Größe
"La Pivellina" ist ein kleiner Film, und damit meine ich nicht nur das relativ kleine Budget, mit dem Frimmel und Covi gearbeitet haben, sondern auch, dass ihm Momente fehlen. Momente, die einem hängen bleiben, die einen raus reißen aus dem gemütlichen Sitzen zwischen den Bildern. Momente, wie der, als Patti mit dem 14-jährigen Burschen durch ein Römer Wachsfigurenkabinett spaziert oder der, wenn Patti aufgrund mangelnder Fahrpraxis mit ihrem Anweisungen brüllenden Freund auf dem Beifahrersitz durch die Gegend fährt. Da fährt mir dieser Film direkt ins Herz: nur leider passiert das trotz der großartigen Figuren und guten Regie zu selten. "La Pivellina" ist eine Art Fortsetzung zu Covi/Frimmels Dokumentation "Babooska", in der sie einen italienischen Wanderzirkus begleitet haben. Semi-dokumentarisch nennen sie ihre neue Arbeit: in dem Sinn, dass die Figuren alle "echt" sind, nur die Geschichte eben, die ist erfunden. Das Ergebnis wirkt allerdings, als wäre es irgendwo auf halber Strecke hängen geblieben. Für einen fiktiven Film ist die Narration nicht schlüssig genug, oft verrennt sich die Dramaturgie : so als hätten Covi und Frimmel eine bestehende Dokumentation leicht fiktionalisiert.
Brause, bitte!
Insgesamt bin ich aber der Meinung, "La Pivellina" war der beste Viennale-Eröffnungsfilm seit Jahren. Also spaziere ich zufrieden ins Rathaus, wo ich versuche, einen Blick auf Tilda Swintons Schuhe zu werfen (zu spät!), wo ich mich dermaßen vergreife und überhebe, dass ich heute nur mehr ein Schatten meiner selbst bin. Ich gelobe: morgen wird alles besser. Wo sind meine Kopfschmerztabletten?