Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Party mit Minimalismus, Diverses"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

22. 10. 2009 - 17:58

Party mit Minimalismus, Diverses

Der Mittwoch beim Elevate in Graz: Ritornell feat. Mimu, weltbewegend Micachu and the Shapes, Olaf Bender, Microthol.

Elevate auf FM4

23. Oktober 2009: La Boum de Luxe (21.30-6) live aus Graz vom Elevate

Das Elevate, die gute alte Integrationsmaschine: Am Eröffnungsabend des Festivals "für zeitgenössische Musik, Kunst und politischen Diskurs", wie es sich selbst heißt, haben die Macher ein hinsichtlich der Unterschiedlichkeit der Acts recht gewagtes Programm in den Dom im Berg hineingebucht, hier kann sich wieder einmal alles mit allem versöhnen, ohne gleich gleich zu werden. Ein blinkender Obstsalat, das Publikum geht gerne mit. Bei freiem Eintritt.

Allzu viel los ist zwar gegen halb elf Uhr noch nicht, obwohl Ritornell gleich beginnen sollen, aber der DJ, der den Mittwoch Abend eröffnet, Herr Dual, bringt den Raum schon ganz gut ins Wanken. Besonders großartig dabei, aber eigentlich auch nur ganz nebenbei: Dual legt das wunderbare Stück "Hyph Mngo" des jungen englischen Produzenten Joy Orbison (Künstlername of the year) auf den Plattenteller, einen der besten Dancetracks of the year. Ein perfekt orchestriertes Stück Dubstep mit Schräglage Richtung House und sauber in den Mix geschnittenen Vocal-Fetzen. Bei dieser so schnell nicht wiederkehrenden Gelegenheit sei hiermit das Stück "Hyph Mngo" allen Menschen mit Herz an ebenjenes gelegt - aber wirklich nur so nebenbei.

elevate

plh

Kurz vor Ritornell

Bei der Gruppe (dem Projekt?) Ritornell ist, so scheint's, alles in einem ständigen Fließen begriffen. Im März diesen Jahres haben Richard Eigner und Roman Gerold ihr Debütalbum "Golden Solitude" beim feinen Kölner Label Karaoke Kalk veröffentlicht, dem Heimathafen für melancholisch quietschende Elektronik, unangestrengte "Jazziness" und trüben Minimalismus-Pop, das Zuhause von Menschen wie Wechsel Garland, März oder Pascal Schäfer. "Golden Solitude" ist eine Platte wie ein Flattern und ein Gleiten, reduziert greinende Bläser, ein mattes Rascheln, ein Rauschen im Unterholz, eine gerade mal noch so eben das Leben meisternde Großtat.

Sei dabei!
Für Spätentschlossene gibt's an dieser Stelle zwei Festivalpässe zu gewinnen. Schreib uns deinen vollständigen Namen und die Antwort auf folgende Frage bis morgen, 16 Uhr an game.fm4@orf.at:
Zu welchem Anlass hat der Grazer Uhrturm vor einigen Jahren einen Schatten verpasst bekommen?

Live haben Eigner und Gerold Ritornell mitunter mit Gerhard Daurer zum Trio aufgestockt auf die Bühne gebracht, beim Elevate darf wieder eine Umgestaltung im System Ritornell erlebt werden: Ritornell sind heute Richard Eigner und die Sängerin Mimu. Oder heißt das "Ritornell feat. Mimu"? Eigner, eigentlich ausgefuchster Schlagzeugbearbeiter und Alleskönner (dass er auf Patrick Wolfs "The Magic Position", auch wenn's nach Eigenauskunft nicht gar so glamourös war, die Drums eingespielt hat, muss trotzdem immer wieder erwähnt werden) sitzt hinter seinem Powerbook und kitzelt wohliges Zischen und Fauchen aus den Gerätschaften. Ambientschwaden und Blasen schlagende Soundwände. Mimu singt und flüstert und nuschelt und haucht Leben in unsere kalten Körper. Auch in dieser Inkarnation ist Ritornell eine relativ fantastische Angelegeheit, selbst, wenn man die sicherlich sehr guten Texte von Mimu gerne besser gehört, verstanden, begriffen und kapiert hätte: Damals, als wir noch Kinder waren, und all die englischen Lieder noch gar nicht verstanden haben und vor Freude trotzdem in Fantasiesprachen nachgesungen haben - das war schön!

Ritornell

plh

Ritornell feat. Mimu
Mimu

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Mimu
Richard Eigner

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Richard Eigner/Ritornell

Dass hier an dieser Stelle eine gewisse Vorliebe für die am besten runtergerockte Band der Saison, Micachu and the Shapes, herrscht, ist anderswo schon erwähnt worden. Das dieses Jahr erschienene Debütalbum der Band, "Jewellery", das von Maestro Matthew Herbert produziert worden ist, ist ein baufälliger Quell ewiger Erbauung. Das Trio um Frontfrau Mica Levi, bastelt (im Wortsinne) da an präparierten Kindergitarren, mitunter selbstgebauten Gerätschaften, minimalistischer Elektronik und großem Holterdiepolter am Schlagwerk einen geil abgewrackten Lo-Fi-Pop zusammen, der über weite Strecken schon noch irgendwie so vage im Konzept "Indierock" mit Gitarre fußt, aber immer überdeutlich die Liebe der Musikerinnen zu HipHop, Grime, Garage und sonstigen derben Beat-Musiken mitklingen lässt.

Live ist das alles nicht weniger als weltbilderschütternd gut. Auf Platte lässt die Band die Arrangements bewusst karg und nach allen Seiten offen, bei Live-Darbietungen die Sounds einer Platte Eins zu Eins wiederzugeben, halten Micachu and the Shapes für langweilig. Lieber wird hier die Idee des Live-Remixes gepflegt, neue Versionen, in anderen Lichtern erstrahlende Früchte des Wahnsinns. Mica Levi an Gesang, Gitarren und Effektgeräten ist eine überaus charmante Gastgeberin, Drummer Mark Pell rumpelt sich krakenarmig durch wild wucherndes Geklöppel, Raisa Khan bedient Elektronik, kitzelt die Kuhglocken und bestraft leere Weinflaschen.

Micachu and the Shapes

plh

Micachu and the Shapes
Micachu and the Shapes

plh

Die Band spielt einige neue Stücke, wobei Mica Levi meint: "Well, they're probably ALL new to you.", insgesamt ist das Set etwas tanzbarer angelegt als auf Platte. Und so stolpern Micachu and the Shapes geschmeidig durch Hits und Hits, auch wenn man davor noch nie davon gehört haben sollte, von "Curly Teeth" über "Vulture" und "Lips", der unfassbaren Nummer, die in weniger als eineinhalb Minuten so ziemlich alles sagt, was man hören muss, bis hin zu "Golden Phone", dem hitmäßigsten Stück der Band. Was im Publikum auch mit ausgiebigem Tanzen belohnt wird. Micachu and the Shapes erschaffen mit ihrer Musik, ihren eigenhändig bemalt und zusammengeschneiderten T-Shirts und sich selbst eine vollkommen federleichte Quirkiness, der jegliches affige Bestreben, betont "schräg" sein zu wollen, fremd ist. Micachu and the Shapes machen gute Musik mit limitiertem Gerät, Musik, die beim ersten Hören wie der ärgste Krach klingen mag, beim vierten Mal wie tausendundeine Serenade der altehrwürdigen Kirche DIY. Bauen Falltüren in die Tracks, haben die Melodien und die Beats, und dann - zack! - wenn man's grade nicht geahnt hat, ist das Stück auch schon wieder vorbei. "Danke schön! Auf Wiedersehen!" sagt Mica Levi nach "Golden Phone". Wir auch.

Raisa Khan/Micachu and the Shapes

plh

Raisa Khan, Micachu and the Shapes
Micachu and the Shapes

plh

Danach ist wieder ärgster Stimmungswandel angesagt, Olaf Bender, Mitbetreiber des sehr guten, akademisch streng minimalistischen Labels Raster-Noton, ist mit seiner Alias Byetone angereist und bläst zunächst reduziertes, REDUZIERTES Raunen aus dem Rechner in den Dom, aber dann, wer hätte es geahnt, werden wir langsam von Beats umspült, stark Dub-lastig. Bender baut ein richtig tanzbares Set in den Raum, dark, deep und dope. Das supere Wiener Duo Microthol ziegt dann noch, wie man mit den richtigen Beats the old school way den Tanzboden zerlegt, danach ist gute Nacht. Techno und dicker Dub, leises Lauschen und Tanzen, Indiegeschrubbe, Beats aus der Garage und Ambient, heilige Allianz des Irrsinns. Es spukt in den Köpfen der Programmgestalter.

olaf bender

plh

Olaf Bender/Byetone
microthol

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Microthol