Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Eine Krise ist nicht genug"

Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

16. 10. 2009 - 11:59

Eine Krise ist nicht genug

Das Diskurs- und Musik-Festival Elevate kratzt vier Tage und fünf Abende lang an den großen Wunden unserer Gesellschaft. Und das tut gut.

Elevate the Crises!

Logo des Elevate Festivals: Der Grazer Uhrturm

Elevate Festival

Festival für zeitgenössische Musik, Kunst und politischen Diskurs, 21.10. bis 26.10., Graz.

Die Blaupause für die Kombination inhaltlicher Diskussion und Musikveranstaltung war das "Exit Space" 2003 in der Grazer Postgarage. 2005 fand das erste Elevate Festival statt.

Die Einzahl reicht längst nicht mehr, die Krisen stehen 2009 im Zentrum des Elevate Festivals. Darauf kann man tanzen, dazu soll man sich unterhalten. Mit Vorträgen, Filmen, Workshops und Podiumsdiskussionen will das Elevate die verschärften globalen Krisen integrativ analysieren und klar machen, wo die eigentlichen Problemstellungen liegen.

Nein, das Team des Elevate macht es sich nicht leicht. Dafür seinen BesucherInnen. Von der Flüchtlingsdramatik in Europas Süden zu akustischer Kriegsführung liefert das Festival Unterfutter zu komplexen Zuständen und ermöglicht Diskussionen. Das Organisationstrio Daniel Erlacher, Roland Oreski und Bernhard Steirer hält dafür an ihrem Kuratorenprinzip fest und den Konferenzcharakter offen für alle.

Für die fünfte Ausgabe des Elevate konzentriert man sich auf drei große Krisenkomplexe: Medien, die Klimakrise und die Ernährungskrise, sowie die Krise der Wirtschaft, der Demokratie und des Sozialen stehen auf dem Programm.

Eröffnet wird das Diskurs- und Musik-Festival mit einer Galashow, gestaltet von der Künstlergruppe monochrom. Motto: Repariert, was euch kaputt macht!

Innovation ist wenn man’s trotzdem macht,

halten monochrom vorab fest. Damit BesucherInnen am 21.Oktober nicht erst zwei Minuten vor Erscheinen von Micachu & The Shapes den Dom im Berg betreten, ist eine bunte Show zum Thema "mehrfache Krisensituation" in Arbeit. Zu Wort kommen dabei die Ökonomin und Politologin Gabriele Michalitsch, der Alternative Nobelpreis-Träger Pat Mooney und die Journalistin Amy Goodman. Die drei EröffnungsrednerInnen werden sich jenen Fragen stellen, die in den kommenden vier Tagen beleuchtet werden wollen.

Das gesamte Diskursprogramm des Festivals, inklusive Workshops und Filmvorführungen, ist bei freiem Eintritt zu besuchen.

Das Elevate Lab verrät Musikschaffenden Tipps zum ökonomischen Überleben in der Musikwelt und zeigt Interessierten, wie sie Tracks selber produzieren und Visuals gestalten können. Dafür ist eine Anmeldung erforderlich, der Besuch des Lab ist kostenlos.

Ein Mann in Ganzkörper-Schutzanzug steht hinter Plastikplane

Johannes Grenzfurthner

Medien? Krise!

Mit einer Podiumsdiskussion zur Primetime reicht Erlacher das Mikro am Donnerstagabend an die geladene JournalistInnen-Runde. Wie differenziert David Barstow, Journalist der New York Times, die Okto.tv-Programmintendantin Barbara Eppensteiner, Anneliese Rohrer, Raimund Löw und Alexandra Bader vom Netzmagazin ceiberweiber drastische Sparmaßnahmen großer Verlagshäuser und Medienkonzerne sehen und die Konsequenzen bewerten?

Bass Wars: Natalie Brunner über Steve Goodman aka Kode9, der ebenfalls Gast am Elevate ist

Neuen Wegen und Medien können sich Interessierte bereits am Nachmittag in zwei Workshops zuwenden: Zu "Community Funded Journalism" wird David Röthler bereits bestehende Plattformen vorstellen.
Qualitätsjournalismus wird sich nur mit einem neuen Finanzierungsmix sicherstellen lassen, denken die Elevate-Köpfe. Du als RadiohörerIn, als LeserIn von Zeitungen und Magazinen könntest also zukünftig für jene Geschichten zahlen, die dich interessieren. Eine gute Idee?

Die Militarisierung des Cyberspace will Erich Moechel, Futurezone-Redakteur, mit seinem Workshop aufzeigen. Moechel ist Mitbegründer von Quintessenz, einem Verein „zur Wiederherstellung aller Bürgerrechte, die mit technischen Mitteln inzwischen aufgehoben wurden“.

Elevate auf FM4

23. Oktober 2009: La Boum de Luxe (21.30-6) live aus Graz vom Elevate

Klima, Energie, Ernährung - Krisen!

Das nächste Katastrophengebiet folgt am Freitag, subsummiert unter ökologische Krise wird das Vorjahresthema Gemeingüter weiter beackert. Schließlich hat es bereits Nachfolge-Konferenzen von Leuten gegeben, die sich am Elevate kennenlernten. Der Ökologe Andreas Exner war bei einem dieser Treffen, beim diesjährigen Elevate wird sich der Kapitalismus-Kritiker mit der Bio-Bäuerin und Landschaftsplanerin Irmi Salzer, der Soziologin Christa Wichterich, Pat Mooney und dem britischen Campaigner Geoff Tansey über Wege aus den sozial-ökologischen Krisenzuständen austauschen.

Das Elevate bemüht sich reichlich, harte Fakten so aufzubereiten, dass man als Besucher nicht die Vogel-Strauß-Position einnimmt und sich dezent, doch schnell aus den Diskursveranstaltungen zurückzieht. Man darf auch einfach still den geladenen ExpertInnen zuhören, ohne sich darüber hinaus selber einzubringen. Auf Namensschilder, wie sie bei manchen Sozialforen beim Eingang gereicht werden, wird verzichtet.

Zu thematisch schwerer Kost gibt es Lösungen im Kleinen:
Eine bessere Welt ist pflanzbar. Eine Anleitung down to earth gibt es dazu von Irmi Salzer und Grazer Gemeinschaftsgärtnern (23. Oktober, 9 Uhr). Von den Klima-Aktivistinnen aus Berlin und Engagierten des Klimabündnis Österreich hätte ich gerne Anweisungen, wie sich ein österreichischer Haushalt an das Klimaprotokoll halten kann.
Fragen kann man so etwas am Besten im Open Space im Forum Stadtpark, wo sich Vortragende und BesucherInnen persönlich weiter unterhalten können (freitags und samstags, ab 20 Uhr).

Drei Männer in Schutzoveralls hinter Plastikplanen

Johannes Grenzfurthner

Nächste Haltestelle: Kopenhagen

Das Elevate will die Kräfte bündeln. Auch wenn beispielsweise die Attac-Gruppe in Graz überschaubar ist, tut sich viel in der Stadt und im Land. „Konkret wollen wir politisch motivieren und ein Mobilisierungstreffen für den Klima-Gipfel in Kopenhagen initiieren“, sagt Daniel Erlacher.

In der dänischen Hauptstadt werden sich Anfang Dezember Staats- und Regierungschefs zum Klimagipfel der Vereinten Nationen einfinden. Mit dem Ziel, sich über ein Nachfolgeabkommen für den Vertrag von Kyoto zu einigen. Oder auch nicht. Denn europäische Staaten fordern klare Vorgaben für den Abbau der Treibhausgase, die Wirtschaftsriesen USA und China zeigten bislang allerdings wenig Interesse, sich mit konkreten Vorgaben zur CO2-Minderung in die Pflicht nehmen zu lassen.

Das Kultur-Kompetenz-Zentrum in der Grazer Niesenbergergasse soll eine Institution werden und eine kontinuierliche kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen auch unter dem Jahr möglich machen.

„Wir alle müssen uns ändern, aber das kann nicht immer die Ausrede sein. Der Druck auf die Entscheidungsträger, nach oben und auf die Industrie, ist mindestens gleich wichtig“, ist Erlacher überzeugt. „Auch wenn viele über die Wirtschaftskrise reden, die Klimakrise ist das wesentlich schlimmere Problem." Leichte Erstauswirkungen hat das Elevate-Team erlebt, die Unwetter im August fluteten das Elevate Büro im Kultur-Kompetenz-Zentrum Annenstraße, in dem die Organisatoren seit dem Frühsommer eingemietet sind.

Nach Kopenhagen wird Daniel Erlacher es nicht schaffen. „Ich sehe meinen Part darin, mich hier zu engagieren.“ Das Festival-Team muss sich permanent selbst auf die Finger schauen. „Wir haben in den Vorjahren ständig über all diese Themen geredet und im Endeffekt eine Hochglanz-Brochüre produziert.“ Hinter den Kulissen will sich das Festival weiter verändern. Ob Gäste mit dem Dampfer anreisen, statt sich einfliegen zu lassen? Einige Referenten nehmen von sich aus mehrstündige Bahnfahrten auf sich, um ihren ökologischen Fußabdruck nicht zu verbreitern. Etliche Bands sind mit eigenem Green Rider unterwegs.

Ein Experte für Klimawandel muss zur Podiumsdiskussion Towards Copenhagen (Untertitel: Welche Klimapolitik kann die menschliche Zivilisation noch retten?) am 23. Oktober nicht weit anreisen: Gottfried Kirchengast leitet das von ihm initiierte Wegener Zentrum für Klima und Globalen Wandel in Graz.

Sand in den Augen

Menschengruppe in Ganzkörper-Schutzanzugen und Mundschutz

Johannes Grenzfurthner

monochrom raten: Gear up for the future! In DIY climate booths.

Am 25. Oktober gibt es ein Open Space Extended im Forum Stadtpark: eine Messe der Alternativen versammelt Initiativen, bei denen man sich weiterführend informieren und engagieren kann. Für Denkpausen werden Shiatsu Massagen und Essen angeboten. Korrektes Essen, versteht sich.

Wer sich also zum Beispiel denkt, solidarische Ökonomie, hallo, schreibt vorab eine Notiz für das schwarze Brett im Festivalcenter im Stadtmuseum und trifft im Idealfall am Sonntag ähnlich Gesinnte.

Zum Abschluss lassen die Frauen und Männer von monochrom die BesucherInnen erfahren, wie sich Klimawandel hautnah anfühlt. Im Trainingslager mit Schneesturm-Zelt und Sandsturm-Zelt kann man Platz nehmen. Schutzanzüge liegen bereit.