Erstellt am: 3. 3. 2017 - 11:04 Uhr
Schmerzensmänner on the road
Der Exzess, die Entäußerung und das reumütige Beichten gehören in der Kunst manchmal zwingend zusammen. Nick Cave berichtet, dass er seine extremste religiöse Phase passenderweise als Junkie hatte. Auch Filmemacher wie Abel Ferrara, Paul Schrader und, ja genau, Mel Gibson bewegen sich auf dem schmalen Grad von Rausch, Wahnwitz und christlicher Läuterung.
Dass der mittlerweile 74-jährige Martin Scorsese nicht nur auf blutige Mafiafilme und entfesseltes Rock’n’Roll-Kino steht, sondern auch erklärter Katholik ist, wissen eingefleischte Fans schon lange. In etlichen Schlüsselwerken des Meisterregisseurs mit heftiger Drogen-Vergangenheit geht es um Männer und ihre Probleme mit ihrem Körper, mit ihrer barbarischen Natur, mit Frauen sowieso. Die Autorin Camille Paglia meinte dazu sinngemäß, der Katholizismus habe sich entwickelt, um maskuline Gewalt und Sexualität in den Griff zu bekommen.
Im Vergleich zu großartigen Scorsese-Klassikern wie "Who's That Knocking On My Door" oder "Mean Streets" gibt es in seinem neuen Epos aber keine fesselnden Widersprüche, keinen Kampf zwischen dem Heiligen und der Sünde, der Unschuld und dem orgiastischen Ausklinken. Direkt nach dem irrlichternden Pop-Inferno "The Wolf Of Wall Street" hat Martin Scorsese mit "Silence" einen Film wie für ein theologisches Seminar gemacht.
Paramount
Junge Stars, alte Vorbilder
Wir tauchen ein ins 17. Jahrhundert: Während in Europa die katholische Inquisition tausende Unschuldige ermordet, brennen in Japan verfolgte Christen auf Holzkreuzen. Nachdem ein berühmter Missionar im Land der aufgehenden Sonne verschwunden ist, machen sich zwei junge Jesuiten-Priester auf die Suche. Es wird eine Reise ins Herz der Finsternis, inklusive blutiger Gewalt, Glaubenskämpfen und endlosen Gebeten.
Auch wenn Andrew Garfield und Adam Driver die Hauptrollen spielen, zwei junge Stars, die man aus Marvel- und Star-Wars-Filmen kennt, ignoriert "Silence" aktuelle Sehgewohnheiten. In fast drei Stunden Laufzeit versucht der Regisseur an alte Cineastengötter wie Carl Theodor Dreyer, Robert Bresson oder Akira Kurosawa anzuschließen. Aber der Versuch, ganz große Kunst zu erschaffen, funktioniert nicht, trotz elegisch-hypnotischer Bilder.
"Silence", das muss man sich auch als Riesenfan des fantastischen Marty eingestehen, versinkt stellenweise einfach in Langeweile und berührt genau in zentralen Momenten nicht tief genug. Andrew Garfield, der nach "Hacksaw Ridge" schon wieder einen christlichen Fanatiker spielt, nervt ein wenig mit seinem erleuchteten Florian-Silbereisen-Blick. Die japanischen Schauspieler müssen dafür stereotype Bösewichte verkörpern. Vor allem aber wirkt dieser aus der Zeit geworfene Film aber wie direkt vom Vatikan gesponsert.
Paramount
Grimmiger Abschiedsgesang
Eine unbedingte Empfehlung meinerseits gibt es dagegen für ein anderes überlanges Epos, das auch jetzt bei uns anläuft und in dem sich ebenfalls Schmerzensmänner auf einen Höllentrip begeben. Dabei durfte man bei "Logan" im Vorfeld durchaus skeptisch sein. Belanglos und viel zu zahm waren die bisherigen Solofilme, in denen Wolverine seine Krallen ausgefahren hat. Nach dem gewaltigen Erfolg von "Deadpool" als brutalem "X-Men"-Spinoff-Streifen für Erwachsene, erhielten Hauptdarsteller Hugh Jackman und Regisseur James Mangold aber grünes Licht für ihre Vision, einen grimmigen Abschiedsgesang der beliebtesten Mutantenfigur zu inszenieren.
Die Trailer erwiesen sich in dieser Hinsicht durchaus vielversprechend, trotzdem habe ich mir, ehrlich gesagt, nicht mehr als gutes Handwerk mit pathetischen Verzierungen erwartet. Im Kinosessel wird dann aber bald klar: "Logan" ist etwas ganz Besonderes. Das Wolverine-Roadmovie ignoriert die schematischen Vorgaben, nach denen Marvel-Blockbuster längst am Fließband gedreht werden, tanzt in jeder Hinsicht aus der Reihe.
Keine blöden Massenaufmärsche von Superhelden. Keine endlos faden CGI-Schlachten. Keine blöde Ironie, aber auch keine aufgesetzte Darkness, die nur erstarrte Pose ist. Stattdessen versteckt sich hinter dieser außergewöhnlichen Comicverfilmung eine Meditation über die Vergänglichkeit - und über Kinder, die sich über die Verbitterung der Alten hinwegsetzen.
Centfox
Trip durch ein verfallenes Amerika
Am Anfang steht dabei in gewisser Weise das Ende. In einer nahen dystopischen Zukunft sind Mutanten beinahe ausgestorben und unser vollends pessimistisch gewordener Titel-Antiheld arbeitet als Taxifahrer, um seine Miete bezahlen zu können. Seine übermenschlichen Fähigkeiten scheinen zu verkümmern, der Alterungsprozess ist unübersehbar. Erst als sich Logan um ein mysteriöses Mädchen namens Laura kümmern muss, erwacht er aus seinem inneren Dämmerzustand. Denn das Kind hat Kräfte und Krallen, die an Wolverine himself erinnern.
Verfolgt von einer regierungsnahen Corporation mit dunklen Absichten rasen Logan und Laura durch ein verfallenes, verarmtes Amerika, ebenfalls auf dem Rücksitz dämmert ein totkranker, teilweise dementer Professor X vor sich hin. Hugh Jackman und vor allem Patrick Stewart spielen um ihr Leben, die erst 11-jährige Dafne Keen agiert ebenfalls umwerfend.
Regisseur James Mangold ist ein kleines Meisterwerk gelungen, ein Film, der sich manchmal verdammt viel Zeit nimmt, aber dabei eben keine Fadesse verbreitet, sondern das Tempo und die Dramaturgie der Actionklassiker der 80er aufgreift.
Centfox
Wenn es aber kracht, dann heftig und schmerzhaft und kompromisslos. Dazwischen flackert Sentimentalität wie in alten B-Western auf und auch ein politischer Subtext: Schließlich wird ein Latinogirl von weißen Söldner-Soldaten gejagt, direkt an der mexikanischen Grenze. "Logan" pendelt zwischen Härte und Wehmut, begeistert mit atemberaubenden Sequenzen, erweist sich als die unerwartete Marvelantwort auf den Comickinomeilenstein "The Dark Knight".