Erstellt am: 26. 1. 2017 - 11:20 Uhr
Braveheart ohne Lethal Weapon
What the heck have I just seen formt sich meme-gleich ein Gedankenhaufen, nachdem ich sprach-, fassungs- und atemlos die Szene gesehen habe, von der man sprechen wird, wenn man über "Hacksaw Ridge" spricht. Mel Gibson inszeniert hier eine Schlacht vor Okinawa im Zweiten Weltkrieg, wie vor ihm noch keiner eine inszeniert hat.
Es ist einer dieser seltenen Momente, in denen man sich, von sich selbst überrascht und leicht irritiert, dabei ertappt, etwas gut zu finden und es einem aber lieber wäre, wenn einem das jetzt grad nicht gefallen würde. Aber beginnen wir am Anfang, wobei, dann stecken wir auch gleich wieder inmitten dieser verheerenden Begegnung zwischen amerikanischen und japanischen Soldaten. "Hacksaw Ridge" serviert einem gleich in der Eingangssequenz seine beiden Hauptthemen auf einem Silbertablett: Gewalt und Glaube.
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Während Soldaten fallen und die Munition durch die Luft pfeift und sich durch Körper bohrt, Flammenwerfer auf Menschen gerichtet werden und Gibson ein Leinwandgemälde aus Ruß, Blut und Dreck malt, ertönt aus dem Off ein Bibelzitat, das genaugenommen den Film auch gleich zusammenfasst: "The Lord gives strength to the weary and increases the power of the weak."
"Hacksaw Ridge - Die Entscheidung" wurde in sechs Kategorien für den Oscar nominiert
Gesprochen wird dieses Zitat von Andrew Garfield. Die Stimme des britischen Schauspielers ist höher als sonst und eingefärbt in einen Südstaaten-Akzent, der bald Forrest Gump Assoziationen auslösen wird. Vielleicht noch nicht beim Bibelzitat, aber spätestens, wenn Garfield als Desmond Doss, naiv und einnehmend zugleich, die Krankenschwester um ein Rendezvous bittet.
Sie hat ihm Blut abgenommen und das Herz im übetragenen Sinne gleich noch dazu. Die wahre Geschichte des Desmond Doss gliedert Mel Gibson in "Hacksaw Ridge" in zwei Teile. Desmond wächst mit seinem Bruder als Sohn eines Mannes auf, den der Erste Weltkrieg zerbrochen hat. Hugo Weaving spielt einen desillusionierten Trinker mit Gewaltausbrüchen, der nur eines will: Seine Söhne nicht im Krieg verlieren. Da tropft dann schon mal bedeutungsschwer Blut auf einen Grabstein, weil sich Doss Senior an einer Scherbe schneidet, während er seine im Krieg gefallenen Freunde am Friedhof besucht.
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Als Desmond als Kind seinen Bruder mit einem Ziegel schwer am Kopf verletzt, starrt er danach lange auf ein Bild mit den 10 Geboten, das im Hausgang hängt und bei "Du sollst nicht töten" bleibt der Kinderblick hängen. Einen Gürtel, wie ihn sein Vater verwendet, um seine Söhne zu schlagen, verwendet Desmond später, um einem Mann, der sich schwer verletzt hat, das Bein abzubinden.
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Daran glaubt er auch noch, als er sich freiwillig für den Kriegseinsatz meldet - er will als Sanitäter "seinem Land dienen", doch als Siebenter-Tags-Adventist wird er keine Waffe in die Hand nehmen. Der zweite Teil des Films widmet sich seiner Grundausbildung und dem, seine Bemühungen, seine Überzeugung durchzusetzen. Ein Soldat - oder auch Sanitäter - der nicht zur Waffe greift, das ergibt in den Augen des Militärs keinen Sinn. Doch Desmond setzt sich durch, nimmt Schikanen, Schläge und das Dauergebrüll von Vince Vaughn als Sergeant mit dieser geduldigen Gelassenheit hin, die diese glaubensgestärkten Figuren immer mit sich bringen. Und Desmond Doss landet als Sanitäter und Waffenverweigerer in Okinawa, Japan. Und hier beginnt danm der zweite Teil, das Herzstück von "Hacksaw Ridge" und ein weiteres Beispiel dafür, dass Gibson ein meisterhafter Regisseur ist.
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Gemeinsam mit Kamermann Simon Duggan und einem Team an ausgefuchsten Sounddesignern inszeniert er ein fürchterlich brutales und blutrünstiges Schlachtballett, eine Choreografie der Grausamkeiten. Zerfetzte Schädel, von Maden und Ratten zerfressene Leichen, Fleischfetzen, wo einmal Gliedmaßen waren. Und irgendwie schafft es "Hacksaw Ridge", dass man in - und trotz - dieser Zurschaustellung der Gräueltaten des Krieges noch die unglaublich meisterhafte Inszenierung sehen kann. Kino - oder auch Malerei - waren ja schon oft am faszinierendsten, wenn es darum ging, Grausamkeit und Schönheit miteinander zu verbinden. Gibson hat sichtlich große Freude an der Inszenierung von Gewalt und bringt einen in die moralische Bredouille, dass man während dieser Szenen sich eigentlich wegdrehen - aber auch nichts verpassen will.
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Der Waffenverweigerer Doss wird auf diesem Schlachtfeld zum messiasgleichen Helden. Es ist Andrew Garfields exzellentem Spiel zu verdanken, dass "Hacksaw Ridge" nicht ganz in religiösem Pomp erstickt, oder, wenn doch, so ist es ein meisterlich inszenierter religiöser Pomp. Als Doss auf einer Trage von einem Helikopter transportiert wird, sehen wir zunächst nur die Trage in Richtung Himmel steigen - und es würde zu dem Zeitpunkt niemanden wundern, wenn Doss jetzt einfach tatsächlich in den Himmel aufsteigt oder Gibson eine Marienerscheinung auf die Leinwand pinselt. Die Widersprüchlichkeit einer Figur, die in den Krieg zieht, aber niemanden töten will, zieht sich durch den ganzen Film.
"Hacksaw Ridge" hat die Tonalität eines Propagandafilms aus den 1940er Jahren - inklusive Darstellung der "Gegner", also in dem Fall der Japaner als unmenschliche Bestien - mit einer Botschaft gegen Waffengewalt. Desmond wird zwar mal eine Waffe in die Hand nehmen, aber zweckentfremdet einsetzen, das ist Mel Gibsons Art, cinematographisch eindrucksvoll "Guns don't kill people, people do" zu buchstabieren, die Steigerung des Beispiels mit dem oben erwähntem Gürtel, mit dem der Eine schlägt und der Andere Wunden abbindet. Doss rettet mit der Waffe - ohne abzudrücken oder sie als Bedrohung zu benutzen - das Leben eines Anderen. (Dieser Andere sitzt dafür auf einer Plane, die Doss zieht, und schießt wie wild um sich; also ob man Doss als Pazifist bezeichnen kann, bezweifle ich ja. Er ist ja trotz Waffenverweigerung Teil des Kriegsapparates).
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Gibson inszieniert eine Erlösungsgeschichte, Doss, der von allen für seinen Glauben Verspottete und Verprügelte wird zum Kriegshelden und Inspiration für seine Kompanie. Auch für Mel Gibson ist "Hacksaw Ridge" eine persönliche Erlösungsgeschichte. Sein letzter FIlm als Regisseur - "Apocalypto" - liegt 10 Jahre zurück. Gibson war ohne Agent und nur wegen DUI, antisemitischer und sexistischer Äußerungen in den Medien. "Hacksaw Ridge" ist das Ende von Gibsons Persona-non-grata-Daseins in Hollywood. Sein Film macht Gibson immer noch nicht zu einem sympathischen Kerl, ist aber eine erneute Erinnerung daran, dass man art und artist trennen muss. Es ist auch die Erinnerung daran, dass Filme zu oft hauptsächlich für ihre Botschaft bewertet werden, interessant wird's im Kino ja oft dann , wenn man - wie ich hier - üblicherweise weder mit christlicher Propaganda noch mit der Darstellung von Gräueltaten viel anzufangen weiß - und trotzdem komplett illuminiert und durchgebeutelt aus "Hacksaw Ridge" taumelt.