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Pia Reiser

Filmflimmern

24. 1. 2017 - 16:37

Musical und Mondlicht

14 Nominierungen für "La La Land", aber auch die Rückkehr der Persona non grata Mel Gibson und definitiv nicht mehr #oscarssowhite: Die Oscarnominierungen wurden heute bekannt gegeben.

Die Oscarnominierungen wurden heute um 14:18 bekannt gegeben - erstmals mit vorproduzierten Clips, statt in üblicher trockener Vorlesemanier bei einer Pressekonferenz. Würde jemand in einer dystopischen Zukunft, wo alle Filme, Zeitungen und auch das Internet längst Vergangenheit wäre, diese Inszenierung der Oscarnominierungen finden, man wäre der Meinung, die Oscars und Hollywood seien ein bunter Strauß Diversität. Man war peinlichst darauf bedacht, zahlreiche schwarze SchauspielerInnen in den Zuspielern zu zeigen. Oder weniger sarkastisch gesagt: Man hat die #oscarssowhite-Empörung ernst genommen.

Mit 14 Nominierungen geht wenig überraschend Damien Chazelles gesungene und getanzte Liebesgeschichte "La La Land" ins Oscarrennen - sie erlebt in der eigenen Bubble zwar gerade einen Backlash, aber SNL kümmert sich drum. Acht Nominierungen gibt es für das Drama "Moonlight" und sechs für den Riesenboxschlag in die Magengegend von einem Film namens "Manchester by the Sea". In der Königskategorie "Best Film" sind außerdem noch dabei: "Arrival", "Fences", "Hell or High Water", "Lion" und - das war die größte Überraschung für mich - "Hacksaw Ridge". Damit heißt es: Willkommen zurück, Mel Gibson. Persona non grata no more. Gibson, der in den letzten Jahren hauptsächlich mit anti-semitischen Äußerungen und DUI im Rampenlicht gestanden ist und auch keinen Agenten mehr hatte, liefert mit "Hacksaw Ridge" ein blutiges und brutales Zweiter-Weltkriegs-Spektakel ab, das tatsächlich fantastisch inszeniert ist - und nun sechs Mal für den Oscar nominiert wurde. Zu "Hacksaw Ridge" dann mehr am Donnerstag auf diesen Seiten.

andrew garfield

constantin

Die Haare von Andrew Garfield sind bessere Schauspieler als die meisten Schauspieler, hier in "Hacksaw Ridge"

Das Grauen des Krieges fasst Gibson in einer Schlachtszene zusammen, für die alleine man ihm ein paar Preise umhängen sollte. Gibson ist ebenfalls in der Kategorie "Best Director" nominiert, gemeinsam mit Musical-Wunderkind Damien Chazelle ("La La Land"), Arthaus-goes-Blockbuster-Moniseur Denis Villeneuve ("Arrival"), Kenneth Lonergan ("Manchester by the Sea") und Barry Jenkins ("Moonlight"). "Best Director" ist also wie gewöhnlich eine Männerriege. Wenn sich das Eskapismus-Musical jetzt durch die Awards Season zum Favoriten tanzt und Damien Chazelle als bester Regisseur ausgezeichnet wird, dann wäre er der jüngste Regisseur, der je einen Oscar bekommen hat. Dann wird er sicherlich selbst-selbstreferenziell einen Song aus seinem Film anstimmen: "City of Stars, are you shining just for me".

La La Land

Constantin

A pile-up of sad" fasste Filmkritikerin Thelma Adams die Filme thematisch zusammen, die dieses Jahr ins Oscarrennen gehen. Leidensgeschichten, Unterdrückung, gegen die man ankämpft, den eigenen Weg gehen, obwohl einem dauernd ein Bein gestellt wird - das sind die Narrative, an denen die Oscars einen Narren gefressen haben.

Und lasst euch nicht von "La La Land" in die Irre führen, auch hier wird ausführlich gelitten und mit Ansprüchen sich selbst gekämpft. Das Musical von Damien Chazelle erhält wie erwartet die meisten Nominierungen; Musicals gelten ja gern als eskapistisches Genre und rückblickend werden Filmkritiker in die Realitätsflucht auf der Leinwand wahrscheinlich eine Reaktion auf Trumps Präsidentschaft hineinorakeln. "La La Land" erzählt auch ein wenig von "Showbusiness" und das kommt bei der Academy of Motion Picture Arts and Science meistens gut an. Noch dazu, wenn es zwar nicht in der Vergangenheit spielt - wie "The Artist" -, sich aber doch ein stilistisches Retromäntelchen umgehängt hat.

La La Land

Constantin

Mit sechs Nominierungen geht Kenneth Lonergans seelen- und herzzerquetschender "Manchester by the Sea" ins Rennen, alles andere als ein klassischer Oscarfilm. Der Film ist eine Indieproduktion über Schuld und Leid, angesiedelt in der Arbeiterklasse. Besser nicht nur Taschentücher, sondern gleich einen Therapeuten zum Kinobesuch mitnehmen. Tränen, Applaus, Standing Ovations gab es, als "Moonlight" von Barry Jenkins im Herbst beim Filmfestival Toronto seine Premiere feierte: Der mit nur ca. 500.000 Dollar produzierte Film erzählt die Geschichte eines schwulen, schwarzen Mannes und beginnt mit dessen Kindheit in den 1980er Jahren in South Beach.

Oscarnominierte Filme weichen formal ja sehr selten vom ganz klassischen Erzählfilm ab, "Moonlight" sticht da heraus, weil er als "Triptychon" konzipiert und in drei Teile unterteilt ist. Die Hauptfigur wird in diesen Teilen von verschiedenen Schauspielern gespielt. Schon Platz am Kaminsims für den Oscar kann sich Mahershala Ali machen, der für Moonlight als "Best supporting actor" nominiert wurde. (Und falls jemand schon über Mahershala stolpert, das ist sein Spitzname, sein echter Name ist 18 Buchstaben lang, wie er bei Jimmy Kimmel erklärt). Seine Konkurrenten in der Kategorie sind Jeff Bridges im Post-Finanzkrisen Neo-Western "Hell or High Water", Lucas Hedges ("Manchester by the sea"), Dev Patel ("Lion") und der Schauspielgigant Michael Shannon ("Loving").

Mahershala Ali

Thimfilm

Mahershala Ali (Remy Denton in "House of Cards") in "Moonlight" - der Film startet am 10. März in Österreich

Tauchen Aliens in Filmen auf, dann werden diese Filme üblicherweise nur in den technischen Kategorien nominiert. Insofern darf man die Nominierung von "Arrival" in der Königskategorie "Best Film" durchaus als Traditionsbruch bezeichnen. Zwar ist Denis Villeneuves Film alles andere als klassisches SciFi-Genrekino, aber eben auch alles andere als klassischer Oscar-Geschichtenstoff. Dass Amy Adams nicht als "Best Actress" nominiert wurde, gilt als größter snub der diesjährigen Nominierungen.

Arrival

Sony

Speaking of klassische Oscarnarrative, hier kommt "Hidden Figures": Eine Geschichte über schwarze Mathematikerinnen, die Anfang der 1960er Jahre für die NASA arbeiten. Basierend auf einer wahren Geschichte, muss sich Octavia Spencer hier als schwarze Frau gegen Rassismus und Sexismus durchsetzen. "Hidden Figures" ist ein "Feel Good Civil Rights Film" im Retrochic (wie schon bei "The Help" will ich die Kostüme alle zuhause im Kasten hängen haben) und somit die perfekte Antwort auf die #oscarssowhite-Aufregung im letzten Jahr.

Hidden Figures

FOX

Auf die mangelnde Diversität bei den letztjährigen Nominierungen hat die Academy of Motion Pictures Arts & Sciences reagiert, bis 2020 will man die Mitgliederzahl von Frauen und "Minderheiten" verdoppeln. Aber auch diese zukünftigen weiblichen Mitglieder können halt nur nominieren, was da ist. Zu "Moonlight" und "Hidden Figures" gesellt sich dieses Jahr auch noch "Fences" als Gegenposition zu den überwiegend weißen Geschichten, die Hollywood zu erzählen hat. Denzel Washingtons Regiedebüt ist die Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks und erzählt die Geschichte einer Arbeiterfamilie in Pittsburgh in den 1950er Jahren. Washington gilt in der "Best Actor" Kategorie als größter Konkurrent von Casey Affleck, der für "Manchester by the Sea" nominiert wurde. Dazu gesellen sich Ryan Gosling als Jazz-Experte in "La La Land", Viggo Mortensen in "Captain Fantastic" und Andrew Garfield mit Südstaaten-Akzent in "Hacksaw Ridge". Die Boulevardblätter können also jetzt schon mal brainstormen, wie sie es angehen werden, dass das ehemalige Paar Emma Stone und Andrew Garfield in den Königskategorien nominiert ist.

Als schon in Stein gemeißelt gilt, dass Viola Davis als "Best Supporting Actress" für "Fences" ausgezeichnet wird. Ihre Konkurrentinnen in der Kategorie können schon mal gönnervoll lächeln und klatschen üben, das wären dann Michelle Williams ("Manchester by the Sea"), Nicole Kidman ("Lion"), Octavia Spencer ("Hidden Figures") und Naomie Harris ("Moonlight"). Und es ist zwar ein Armutszeugnis des Zeitgeists, dass man im Jahr 2017 in der Angelegenheit Stricherllisten machen muss, aber hier sind erstmals drei schwarze Schauspielerinnen nominiert.

Viola Davis

Constantin

What would Annaliese Keating do? Viola Davis in "Fences"

Die spannendste Kategorie ist die "Best Actress"-Kategorie, dass es hier nur eine (nämlich Emma Stone für "La La Land") Überschneidung mit der "Best Picture"-Kategorie gibt, zeigt auch, dass Hollywood eben lieber Geschichten über Männer erzählt. Die richtige Isabelle Huppert-Aussprache kann man jetzt noch üben - sie ist nominiert für "Elle“, Natalie Portman für "Jackie: in der Hinsicht darf man wahrscheinlich Hollywoods Sehnsucht nach einem Präsidenten wie Kennedy nicht unterschätzen. Da hängt auch mehr als fünfzig Jahre nach dem Attentat noch immer ein hoffnungsvoller Seufzer in Richtung "Was wäre, wenn er nicht erschossen worden wäre" drüber. Wieder einmal nominiert - wohl auch für besondere Leistungen bei einer Golden Globes-Ansprache - ist Meryl Streep für "Florence Foster Jenkins" und - auch das kam überraschend - Ruth Negga für "Loving". Die Nominierung von Negga und Michael Shannon für den Film über die Liebe zwischen einem weißen Mann und einer schwarzen Frau kann man jetzt, ohne die Oscars überzupolitisieren, vielleicht doch als kleines Zeichen einer Gegenposition zu the world according to Donald sehen. Und wie vorher schon erwähnt: Keine Nominierung hier für Amy Adams ("Arrival").

Natalie Portman in "jackie"

Lion

Die Macht von Frisur und Kostüm. Portman schaut Jackie Kennedy an sich überhaupt nicht ähnlich, aber das rosa Chanelkostüm und der Bob alleine verkörpern schon das Bild von Jackie Kennedy, das sich ins kollektive Gedächtnis eingeschweißt hat

Und Kritikerliebling "Toni Erdmann" hat‘s geschafft und ist in der "Best Foreign Picture"-Kategorie nominiert, gemeinsam mit "A Man called Ove", "Land of Mine", "Tanna" und "The Salesman". In Sachen "Toni Erdmann" plant man auch ein US-Remake und in meinen Alpträumen besetzt man es mit Robert deNiro und Katherine Heigl.

Nackte Frau, blickt skeptisch, hat ihre Arme vor der Brust geschlossen

Festival de Cannes

"Toni Erdmann"

Jimmy Kimmel wird die Oscarverleihung am 26. Februar 2017 moderieren, vielleicht haut er sich ja mit Matt Damon auf ein Packel. Ob mehr Reden für politische Statements genutzt werden - inspiriert von Meryl Streeps Rede bei den Golden Globes, in der sie Donald Trump kritisierte ohne je seinen Namen zu nennen - wird man sehen.

Immerhin wird Leonardo DiCaprio als Gewinner des letzten Jahres sicher einen Preis vergeben und der ist ja z.B. das Hollywood-Aushängeschild für den Kampf gegen den Klimawandel. Und da er schon letztes Jahr Andy Serkis Trump mit einem "planet-threatening megalomaniacal monster" verglich - und Trump am Tag nach den Oscars bei FOX-News die Auszeichnung von Alejandro Innaritu als "great night for Mexiko" bezeichnete, kann man davon ausgehen, dass Anspielungen und das Beziehen einer politischen Gegenposition zu Trump nicht ausbleiben werden.
Die Gags dürften sich von selbst schreiben, eine schnelle Suche nach Zitaten aus dem nominierten Film "Fences" bringt folgendes zutage: "Some people build fences to keep people out, and other people build fences to keep people in." Da findet man es dann kurz fast schade, dass "The Great Wall" nicht in irgendeiner Kategorie nominiert wurde.

Liveticker

Hier wird es in der Nacht vom 26. Februar 2017 den Liveticker zur Oscarnacht geben - mit detaillierten Frisuranalysen von Andrew Garfield und euch - hoffentlich. Ich freu mich und nicht vergessen, we will always have Paris.