Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Was ist Rock?"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

20. 8. 2016 - 03:24

Was ist Rock?

Musikrundschau vom FM4 Frequency, Freitag: Foals, The Last Shadow Puppets, The Fat White Family. Und mehr.

FM4 Festivalradio

Beim FM4 Frequency 2016 in St. Pölten.

Anhören:

Musik

Donnerstag: So wars mit Miike Snow, Bilderbuch, Deichkind und Co: Soul und Partyhupe. Alle Fotos von den Bands

Freitag: So wars mit Foals, The Last Shadow Puppets, The Fat White Family: Was ist Rock?. Alle Fotos von den Bands

Samstag: So wars mit The Kills, Bloc Party, Massive Attack: Manchmal rockt es, manchmal spritzt es. Alle Fotos von den Bands

Die langen Nächte des FM4 Frequency

Mitschnitte der besten Konzerte gibt es ab Montag, 22.8. immer Nachts auf FM4 zu hören.

Letzte Worte - so wars tatsächlich: Donnerstag | Freitag | Samstag

Wie lebt man auf dem Campingplatz? Und wie bereiten sich Wolfmother auf ihren Auftritt vor? Wie wird man von Moop Mama geweckt? Diese Videos liefern Antworten

Und wie am Zeltplatz schöner gezeltet wird. Und viel gesungen und gut ausgeschaut

Wie die Zeltstadt beim FM4 Frequency entstanden ist

Hier geht's zum Lineup

Tipps zum Line-Up:

Alles rund ums Festival gibt's auch unter fm4.orf.at/frequency2016

FM4 Frequency Festival:
17.-20.8.2016 im Green Park St. Pölten

Hat sich diese Band verirrt? In der späten Nachmittagssonne steht am Freitag auf der Green Stage beim Frequency Festival in St. Pölten ein Haufen von Typen, die sonst das Licht tunlichst zu meiden scheinen, und macht seltsame, interessante Geräusche.

Die englische Gruppe The Fat White Family kümmert sich nicht groß um ranschmeißerische Festivallaune. Das erste Album der Gruppe heißt „Champagne Holocaust“, einer ihrer Songs ist nach dem großen, giftigen Grantcharmeur Mark E. Smith von der Postpunk-Institution The Fall benannt.

Piece of Cake

Piece of Cake

Neben übellaunigem, durch die Mangel gerocktem Postpunk in der Musik von The Fat White Family zu hören: Nicht-Musik, Krach, Widerstand, Velvet Underground, Grind, Galle, Psychobilly, zerfaserter, in letzter Auflösung befindlicher Folk-Rock mit 400 Ladungen LSD im Tank.

Live ist das für viele Menschen ein Akt der Verstörung, der Erleuchtung, eine Bestrafung, die Freude bringt und den Kosmos infrage stellt: Ist das noch Musik?

Mehr Fotos zu den Bands gibt es hier

The Fat White Family ist aber eben nicht bloß stumpfes Ätzen und kindisches Anti, sondern eben schon auch musikalisch und historisch bestens gebrieft. Es gibt Pop-Momente. Der Track „The Whitest Boy on the Beach“ beispielsweise beruft sich auf das Album „20 Jazz Funk Greats“ - die „Pop-Platte“ der Industrial-Urmütter Throbbing Gristle aus dem Jahr 1979 - und ist so selbst ein ungewohnt grooviges Stück Schrottplatz-Disco. Andere Hits von The Fat White Family an diesem Tag: „Touch the Leather“ (sexy) und „Bomb Disneyland“. Außerweltliche Erscheinung.

der Sänger von Fat white Family

Piece of Cake

Auf die alles – 100 Menschen vor der Bühne? - geil wegrockende Rock-Dekonstruktion der Fat White Family folgt Rock-Vergewisserung und breitbeinige Brauchtumspflege. Die aber zum Glück nicht komplett stumpf daherkommt, sondern auch um die Posen und Moden des good old Rock ’n’ Roll weiß und sie immerhin manchmal ein bisschen überaffimiert und biegt.

Die Band Wolfmother aus Sydney hatte fast jeder schon vergessen, dieses Jahr ist ein neues Album erschienen, das dort weitermacht, wo nie jemand aufgehört hat: Die Band trägt den Namen Wolfmother, sie pflegt die Verehrung des mächtigen Riffs in Andenken an Led Zeppelin, AC/DC, Deep Purple, Black Sabbath und all die anderen.

Wolfmother

Piece of Cake

Wolfmother

Piece of Cake

So ein Rahmen ist bewusst eng gesteckt, und so tut so eine Musik das – nicht zuletzt auf einem Festival –, was so eine Musik tun soll: wiedermal rocken. Viel mehr scheint sie nicht zu wollen, viel mehr kann sie nicht. Die ersten Zeilen des ersten Songs des Konzerts lauten: „I fell down in the desert, baby. Yeah!“

Auf der Hauptbühne versucht sich die englische Band Foals am relativen Gegenentwurf: Foals sind eine recht typische End-Nuller-Jahre-Band, die sich eben durch den Wunsch zur Untypisierbarkeit auszeichnet. Post-TV-on-the-Radio, Post-Animal-Collective, Post-Everything-Probebohrungen.

Foals

Piece of Cake

Die tanzbaren Nachwehen vom Postpunk der frühen 80er Jahre und vom Postpunk-Revival wirken hier ebenso durch wie Krautrock und Psychedelik sowie Echos von arty Techno- und Ambient-Pop der Kölner Kompakt-Schule. Und schließlich, nach der Überwindung von Rockmustern, kommt man dann vielleicht doch wieder wie im Falle der Foals bei Rockmusik an, einer spannenden.

So kann es gehen, wie gleich in der Nummer „Snake Oil“ am Anfang des Sets, in der sich der monotone Puls von Krautrock-Motorik und Blues-Riffs sowie Rock-’n’-Roll-Leidens- und Jubilierungs-Wails von Frontmann und Mastermind Yannis Philippakis gespenstisch überlagern. Musik für Autobahn, Geisterautobahn.

Foals

Piece of Cake

Ein verlässlicher Höhepunkt im Programm der Foals: „Spanish Sahara“, die aus dunklem Glas gegossene Todesballade der Band. Kunstwunsch, Emotion, Technologie, Schweiß und der mittlerweile nicht mehr gar so krampfhaft wie in Anfangstagen demonstrierte Experimentierwille. Foals – eine wechselhafte Band von qualitativ schwankendem Output, überschätzt, unterschätzt, live ein praller Energieschub und die per Gesichtsausdruck schick zu Schau gestellte Gewissheit, dass man wohl der Beste sei. Zieht nicht die großen Massen, erwartungsgemäß, dafür aber die Lover an.

Wie man die Rockmusik zärtlich ein bisschen dehnen kann, mit Soul und herrlichem Gefühl betanken, ohne die Idee des Rock zu vergessen, erproben Alex Turner von den Arctic Monkeys und Miles Turner in ihrem Supergroup-Vehikel The Last Shadow Puppets.

Last Shadow Puppets

Last Shadow Puppets

Laut Eigenaussagen der Band war für ihr erstes Album der alte Formenwandler Scott Walker eine Hauptinspiration, für die kürzlich erschienene zweite Platte sollen vor allem Isaac Hayes und Paul Wellers schnieke Mod-Popper-Combo Einflussspender gewesen sein.

20.00 Uhr Main Stage. Schwierig? Nein, auf in Rot getauchter Bühne erwecken die Last Shadow Puppets, begleitet von Streicherinnen, einen Nachtclub zum Leben, in dem es nach Samt und Schweiß und den Körper und die Körperteile anregend juckenden Hormonen riecht.

Piece of Cake

Piece of Cake

Wir sehen: Zwei Frontmänner im Vollbegriff ihrer Künste und Regungen, zwei stilsicher vom Blitz getroffene, torkelnde, taumelnde Salonlöwen, denen – wie auch uns – der Rausch das Leben erklärt hat.

Miles Turner trägt nur richtigerweise ein morgenmantelhaftes Jäckchen, Alex Turner ist croonender, säuselnder, schreiender Pfau und zerbrechlicher Prinz. Vom Gospel erfasstes Gestikulieren, Beinbeuge-Arbeit, von Nick Cave infiziert, ein Becken in der Hose.

Wir hören: Burt-Bacharach-Bittersweetness, Grandezza und Pomp nach Spacemen 3 und Spirtualized, kleine Glam-Keckheiten im Sinne von Pulp, grandiosen Bombast und das überschäumende Füllhorn. Hier steht die Wahrheit: The Last Shadow Puppets - das Größte bisher an diesem Wochenende. Elvis in Vegas.

Auf der Weekender Stage gibt es währenddessen den kalifornischen Musiker und MC Anderson Paak zu erleben. Er entwirft mit seiner Band The Free Nationals eine Musik, die die Verbindung von Gestern zum Heute und Morgen legt. Soul, Disco und Spacefunk, elektronische Beat-Lehre und Hip Hop in Umschlingung. Schaukeln, Schunkeln, Schmusen. Und eine Bühnenansage, die es fasst: „Do you feel sexy?“

Anderson Paak

Piece of Cake

Mit der Elektronik hapert es wie so oft: Was letztes Jahr der niederländische DJ (gern gelegtes Diskussionsangebot) und Producer Martin Garrix war, ist dieses Jahr der russisch-deutsche DJ und Producer Zedd, in prominentem Abendslot auf der Green Stage. Die Falschverstehung von elektronischer Tanzmusik, die rückwirkende Rechtfertigung dafür, dass in unserer Jugend unsere Eltern und alle Rocker den Techno als kryptisches Hexenwerk ohne Wert und Zweck entlarvt und vor uns selbst gewarnt haben.

Zedd

Piece of Cake

Die Nacht auf der Main Stage beschließen zwei unumschmeißbare Partyerfüller. Zunächst: die Sportfreunde Stiller. Es gibt sie noch und wieder und immer. Das junge Leben leben, das gute Weitermachen. Ein Lied mehr zur Lage der Gefühle zwischen zwei Menschen. Nachdenkliche Sprüche mit Bildern. Ich, Roque. So tut es die Band, so tut es das Publikum.

Und dann der Headliner der Freitagnacht: Parov Stelar, Pionier des Electroswing, welterfolgreiche Tanzmaschine aus Österreich. Und ja, man darf auch tanzen, diesmal. Band, Bläser, LED. Die deftig mit dem Zauber gutgekleideter alter Zeiten parfümierte Auramaschine. Zeiten, zu denen noch in Büros geraucht werden musste und die Whiskeybar für Businesstermine zur Mittagszeit geknackt wurde.

Piece of Cake Films

Piece of Cake Films