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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 5. 2016 - 16:16

The daily Blumenau. Monday Edition, 23-05-16.

Ja, wir wollen das! Österreich und ein Fingerzeig auf eine autoritär geprägte Zukunft.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Es zieht also Van der Bellen in die Hofburg ein - die Folgen der gestrigen Stichwahl gehen aber weit über die Bedeutung des Amts hinaus. Symbolpolitisch sowieso; aber auch im Kern der Botschaft hinter dem Votum.

Alexander Van der Bellen, der neue Bundespräsident Österreichs

APA / Roland Schlager

50 Prozent Nazis, stöhnen die externen Medien entsetzt.
Nein, sagen die Nationalen und die Konservativen, die gemeinsam immer schon die Mehrheit hatten in Österreich, das sind wir doch nicht und von draußen lassen wir uns schon gar nicht sagen, was und wie wir sind.
Nein, das sind sie wirklich nicht, sagen aber auch die Glavinice und erzählen von der (berechtigten) Angst und dem (nötigen) Ernstnehmen der Sorgen und von der Dringlichkeit, mit der man (also die anderen) diese Menschen abholen sollten.

All das dringt direkt in den Mainstream-Diskurs ein, weil es so schön einfach ist. Und so kurzgegriffen. Und so falsch. So grundfalsch. Wie dann auch der Mainstream-Diskurs völlig neben jeder Spur liegt.

Es geht nicht darum die Menschen abzuholen - aus einer kollektiven gesellschaftlichen Depression ist man nicht einfach abrakadabramäßig abholbar; es will auch niemand seine Ängste verlieren, weil es genau die Angst der Menschen ist, die in bloßer Bestätigung überleben will;
es geht nicht um das Ernstnehmen der Sorgen, weil die ständige Affirmation sie nur potenziert, die Irrationalität nur bestätigt.

Es geht um etwas ganz anderes: Einen Kulturbruch.
Das Überschreiten eines tipping Points, der in Teilen Europas, etwa im demokratisch nie gänzlich erreichten Osten, in Polen oder Ungarn bereits passiert ist, und sich an strukturell autoritären Semi-Demokratien wie Russland oder der Türkei orientiert. Und die Tatsache, dass dieser tipping Point jetzt eben auch erstmals im Westen de facto überschritten wird. 50% sind - auch wenn es sich fürs Amt nicht ausgeht - nicht einfach so von der Hand zu weisen.

Nett, dass etwa die New York Times Österreich als westlich wahrnimmt, geopolitisch (die NYT spricht von old und new europa) und historisch stimmt das ja auch, gesellschaftspolitisch hat sich die Zugehörigkeit zum liberal-demokratischen Westen aber bereits seit Jahren verlaufen. Und ist eine Bestätigung für Skandinavien und Belgien/Niederlande, und ein Fanal für Deutschland, Frankreich, das UK oder die USA, hat pushende Vorbildwirkung für Petry, Le Pen, Johnson oder Trump.

Es geht vielmehr um die Richtungsentscheidung zwischen demokratischen oder autoritären System. Ob die Politikverdrossenheit, die in eine Politikerverdrossenheit gekippt ist, sich nun endgültig in eine Demokratieverdrossenheit wandelt.

Damit kein falscher Verdacht aufkommt: diese Analyse teile ich mit Stefan Petzner, einem intimen Kenner und Teil des prominenten Ex-Führungskaders des sogenannten 3. Lagers der (Deutsch-)Nationalen, das sich nach vielen Wirrungen (Stichworte: Knittelfeld, BZÖ, FPK...) wieder im Schoß der FPÖ zusammengefunden hat.

Petzner spricht hier Klartext über die einschneidenden Konsequenzen der Stichwahl. Schon im Vorfeld. Weil egal war, wie sie genau ausgeht, weil klar war, dass es zu einer 50:50-Patt-Situation kommt

Das sagt nun nominell nichts über stabile Mehrheiten aus, es bedeutet aber, dass die Hälfte der Österreicher kein Problem damit hat, ein autokratisches Amtsverständnis zu unterstützen, einen Präsidenten zu wählen, der "Regierung und Parlament anschafft", was sie zu tun hätten. 77% der FPÖ-Wähler unterstützen diese Haltung, erzählt mir das Ö1-Radio gestern.

Die Glavinic-Doktrin von der Angst und der Sorge, die unschuldig-ohnmächtige Menschen in die Protestwahl treibt, wird durch Polls, die konkrete Ansichten, die Sehnsüchte nach dem starken Mann abfragen, als Blödsinn entlarvt.

Die Menschen in Angst und Sorge mögen sich politisch nicht oder unzureichend ausdrücken: ihre Absichten legen sie offen auf den Tisch. Her mit dem starken Mann. Weg mit der schwachen Demokratie. Her mit populistischen Plebisziten, weg mit allem, was komplex aussieht, alles outsourcen an den neuen Security-Staat, Ruhe und Wirtschaftsgekurbel und Abschottung. Und ja keine Widerrede und schon gar kein Widerstand.

Noch einmal der in dieser Frage hellsichtige Petzner: "Ich befürchte, dass (...unser demokratisches...) System sich gerade in akuter Lebensgefahr befindet ... Die Menschen wenden sich Stück für Stück von der Demokratie ab und stattdessen starken 'Leadern' zu."

Van der Bellen stünde für ein "demokratisches Amtsverständnis", sagt Petzner, "während hingegen Hofer in der Tendenz eher in Richtung eines 'autokratischen Amtsverständnisses' unterwegs ist. Gerade dieser fundamentale Gegensatz macht diese Stichwahl so wichtig und den Ausgang prägend für Österreich."

Das alles bedeutet nicht, dass Hofer, dass die FPÖ tatsächlich einen autoritären Staat anstreben. Es bedeutet aber sehr wohl, dass genau halb Österreich damit kein Problem hätte; und Angebote, die diesem Grundbedürfnis am ehesten entsprechen, annehmen will.

Das ist angesichts einer entsprechenden Vergangenheit nicht weiter verwunderlich. Reaktionäre Monarchie, eine von Christdemokraten und Deutschnationalen geführte 1. Republik, die im Trauma des Ständestaats (also einer lupenreinen Diktatur) mündete, der Nationalsozialismus, Ursprung vieler aktuellen psychopolitischen Niederungen, und danach eine 2. Republik, für die lang kooptierter Proporz Pflicht und Vergangenheits-Aufarbeitung, auch die des Austrofaschismus, ein Fremdwort war. Ein kurzes Stück an sozialpolitischem Aufbruch in den 70ern und Anfang der 80er, eine kurze Phase der positiv konnotierten Erinnerungskultur ab den späten Neunzigern waren zu wenig - zu stark drückt der tiefsitzende Katholizismus, die genetisch vorprogrammierte Obrigkeitshörigkeit, der alte Glaube an die edlen Führer und guten Könige aufs österreichische Gemüt.

Österreich wollte immer stark und autoritär geführt werden, die Zustimmung zu Diktaturen war (auch jeweils danach) immer hoch, selbst in der demokratischen Hochblüte musste es zumindest ein Sonnenkönig sein. Der, der als Sonne vom Himmel fallen wollte, brachte dann das nationale Element wieder in den Vordergrund und eine führungstrunkene Bevölkerung stimmte und stimmt weiterhin ein.

Zugegeben, die Städter weniger als die Landbevölkerung, die Frauen weniger als die Männer, die besser Gebildeten weniger als die Unterprivilegierten. Zustimmungsquoten von um die 40% in Städten, unter den Besserverdienern und den Frauen sprechen aber immer noch eine deutliche Sprache: ja, wir wollen das!

Das sind nicht 50% Nazis, es sind 50% und es sind auch urbane 35 bis 40 %, die sich offen oder unbewusst nach autoritären Strukturen sehnen.
Auch unter einem HBP-VdB. Der kann ebenso wenig wie eine andere Einzelperson jemanden abholen, der gar nicht abgeholt werden will, weil er schon abgebogen ist, oder jedem die Angst nehmen, der sich durch diese überhaupt erst Ängste definiert.

Die politischen Entscheidungsträger (auch die FPÖ) müssen festlegen, ob sie sich dem Votum ergeben und entsprechende autoritäre Figuren und Praktiken anbieten oder ob sie mit radikal-bewusstmachender Demokratie-Arbeit dagegen wirken wollen. Nicht um sich selber zu retten, sondern um die Demokratie zu bewahren; und mit ihr Menschen- und Freiheits-Rechte und sozialen Frieden. Andernfalls wird das nächste Votum die 50% überschreiten.