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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 4. 2016 - 15:01

The daily Blumenau. Monday Edition, 25-04-16.

Österreich war immer mehrheitlich konservativ und national und Österreich wird mehrheitlich konservativ und national bleiben. Ganz Österreich, auch das Proletariat. Face it.

#demokratiepolitik #bpw16

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Heute: keine tagesaktuelle Erkenntnis. Alles, was gerade in den Medien analysemäßig als ur die neue Erkenntnis verhandelt wird, steht eh schon hier, im daily vom 23-02-16 mit dem schönen Titel "Die Präsidentschaftswahl 2016 kann die 2. Republik aus den Angeln heben".

WEIL ich zu den 35% von Norbert Hofer angsterfüllte Referenzen zu den drei (eigentlich vier) deutschen Wahlen in den Jahren '32 und '33 höre: Der Vergleich mit Deutschland wird immer hinken; sowohl politisch als auch geopolitisch und vor allem demographisch. Österreich funktioniert nämlich schon rein strukturell anders und zwar mehrheitlich konservativ, reaktionär und national, im Herzen antibürgerlich und antiintellektuell. Die Ära Kreisky erweckte den Anschein, dass sich dies drehen ließe - durch weltoffene, außengerichtete Politik, Kultur- und Bildungsreformen. Das war immer ein Trugschluss. Nicht erst seit die Sozialdemokratie den Kontakt zum Proletariat verloren hat.

Die #bpw16 hat nur wieder gezeigt, was immer schon Sache war.

ES war das Jahrhundert des Sozialdemokratie. Es war. Das vorige. Im 21. geht außer Machtgeklammere und Sozialabbau wenig; die neue südeuropäische Linke etwa positioniert sich jenseits der alten SI-Mitglieder (und auch der meisten der Progessiven Allianz) und erhebt Forderungen, die an die Urzeit der politisch organisierten Arbeiterbewegung erinnert.

DIE Prekären, die Abgehängten, die Gehartzten, die Zukunfts-Ängstlichen, die Gegenwarts-Nichtversteher, die, die jede Wirtschaftskrisen-Zeche zahlen, weil sie nicht Teil der Erbgesellschaft, keine Besitzenden sind, die sind durch diese Protestformen anzusprechen. Protestformen, die sich gegen ein System richten, das nicht den Wohlstand der Gesamtgesellschaft im Sinn hat (wie es die großen Gesellschaftsverträge festschrieben, die Westeuropa durch die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts navigierten), sondern das Wohl/die Herrschaft von Einzelnen, Gruppen, Eliten zum Maßstab zum Erfolg nimmt. Die so Ausgeschlossenen sind durch jedes Versprechen des Sich-Kümmerns wieder einzufangen. In Österreich am leichtesten durch das, was direkt unter der Oberfläche liegt: der konservative, nationale Teil der hiesigen DNA.

EIN Fünftel der Österreicher (ich bezieh mich da auf die letzte Sinus-Milieu-Studie, und die ist da sehr genau) sind konservativ/traditionell in einem verzopften Sinn, den Deutschland etwa (selbst Bayern) nicht mehr kennt. Ein weiteres (vielleicht nicht so sichtbares wie ihre mit dem Hartz-Stempel gezeichneten Leidensgenossen in Deutschland) Fünftel hat sich als abgehängt aufgegeben, hegt keinerlei Ambitionen jenseits kleinflüchtiger Freuden mehr. Ein Viertel der Menschen kauert sich angsterfüllt in einem Mittelstand zusammen, dessen ökonomische Basis bröselt und bröckelt und jederzeit ins Nichts zerfallen kann. Etwas mehr als ein Drittel der Österreicher nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teil; und es geht ihnen gut; es sind Akademiker (die Quote ist aktuell bei 21%, nicht schlecht, aber europaweit unterdurchschnittlich) oder Maturanten mit soliden Jobs, sie drängen nach außen und kommen mit der modernen Welt halbwegs gut zurecht.

ENDE der 60er sortierte Bruno Kreisky das Potenzial des Landes neu. Er sprach neben dem damals noch existierenden Core-Anteil (deutlich über ein Drittel der Bevölkerung) der Arbeiter (deren Grundversorgung die 2. Republik sukzessive verbesserte) auch den damals noch kleinen Teil der Ängstlichen und Hoffnungsarmen an, er verstand es, den liberalen Zweig der bürgerlich Lebenden (und das waren damals weniger, vielleicht ein Viertel) mitzunehmen. Und er hob die Nachfolgepartei der Altnazis auf die politische Bühne, um so der ÖVP den Core-Anteil der Nationalen zu entreißen. Auf dieser Basis zimmerte sich Kreisky eine absolute Mehrheit der Österreicher. Und setzte Reformbewegungen in Gange, von denen auch die Generation Norbert Hofer bis heute profitiert.

DIE ideologische Flanke, die Kreisky für diesen Erfolg offen ließ (und es ist ihm da kein Vorwurf zu machen: die Reformen der 70er waren überlebenswichtig für Österreich und wären ohne seine Strategie nicht zustande gekommen) war es, den Boden für einen neuen Nationalismus zu bereiten. Österreich verfügte schon in der 1. Republik über ein starkes deutschnationales Lager - bei den Wahlen zwischen 1919 und 1930 gewannen sie zwischen 11 und 20 Prozent der Stimmen. Dazu kam die im Gegensatz zu Deutschland schlechte bis inexistente Aufarbeitung des Nationalsozialismus und die kollektive Ignoranz des Austrofaschismus der Christlich-Sozialen, also der sich keiner Schuld bewusste Umgang mit diesen autoritären Ideologien. Vor allem der in den Burschenschaften schwelende Deutschnationalismus, diese an Volksdeutsche im europäischen Osten erinnernde rührselige Folklore einer Re-Unification, blieb unbeeinträchtigt.

INNERHALB dieser breiten Auswahl (klassische Nationalisten "Österreich zuerst"; Deutschnationale mit "Heim ins Reich" und 3 Bier bestellende Neonazis & Sympathisanten der Marke "Es war nicht alles schlecht") kann jede/r aus den unterprivilegierten Schichten sein persönliches Modell zimmern - so wie das in der Religion (ich mische ein bisserl Christentum mit ein bisserl Buddhismus...) schon Usus ist. Das traditionelle Fünftel findet hier ebenso Ansprache wie das abgehängte. Große Teile des Mittelstand-Viertels sehen hier Protestpotential bis hin zu Leitlinien. Und auch ein ordentlicher Teil der etablierten High Performer kann mit dem ideologischen Nationalismus (Stichwort: politisch unkorrekt und so) etwas anfangen; vor allem weil die FPÖ deutliche mixed messages aussendet, was ihre wirtschaftspolitische Linie betrifft, die nahe am neoliberalen Ideal der Elite stattfindet.

DASS dies ein eklatanter Gegensatz zu den nationalistischen Heilsversprechen ist, dass eine boomende Wirtschaft nur auf globaler Basis (und mit Zuwanderung) passieren kann, stört die potenziellen Wähler jenseits des bessergestellten Drittels nicht; diese ökonomischen Zusammenhänge zweiter und dritter Ordnung beeinflussen keine Wahlentscheidungen. Da geht es ums Hier und Jetzt, ums Essen und Wohnen, ums Leben und Hoffen; auf eine bessere Zukunft. Selbst wenn sie nur in Versprechungen auf Kosten jener, denen es noch schlechter geht, und auf Kosten von inneren Feindbildern, denen man fehlende Empathie umhängt, stattfindet.

DAS sind allesamt Felder, die einst die Sozialdemokratie besetzt hatte. Und verloren hat. Komplett. Und - mit ihrem aktuellen Kurs, egal ob in Österreich oder z.B. auch Deutschland - auch nicht mehr wiedergewinnen kann. Und selbst wenn ein guter Teil der Arbeiterschaft, der Abgehängten und der ängstlichen Mittelschicht wie durch ein Wunder wieder bei der SPÖ andocken würde: Die deutliche Mehrheit Österreichs ist konservativ und/oder national. Das sind allesamt Felder, in denen die österreichischen, von Vorsicht getriebenen Grünen, die schwarzen Konservativen und auch die jungen pinken Konservativen nicht punkten können, weil ihnen der Bezug zur Lebensrealität fehlt, weil sie bestenfalls Aufsteiger und Optimistisch-Aufstiegswillige ansprechen können. Die FPÖ erwischt zusätzlich zum nationalen Teil der konservativen Klientel auch noch jene, denen sie glaubhaft Nähe/Verstehen vermitteln kann. Ob der vorsichtige Teil der konservativen Klientel einer möglichen Griss-Partei etwas abseits einer einmaligen Protestgeste abgewinnen kann, bleibt abzuwarten. Die SPÖ lebt mittlerweile fast ausschließlich von treuen Ex-Wählern im Pensionsalter und marginalisiert sich quasi biologisch.

ES hat also außerhalb der FPÖ niemand mehr Zugriff auf das unzufriedene Proletariat. Womöglich wird eine unfreiwillige Koalition aller Gegner (also bis hin zu bürgerlich-vorsichtigen Konservativen) der rechtspopulistischen (deutsche Medien) / Rechtsaußen-Partei (BBC) einen Präsidenten Hofer noch verhindern. Rein rechnerisch geht sich das aus. Und rein vom Persönlichkeits-Profil (Van der Bellen ist schließlich ein konservativer Grundduktus nicht abzusprechen) auch.

MITTELFRISTIG ändert das nichts. Ohne Zugriff auf die zentralen Gruppen der Gesellschaft, jene, denen es tatsächlich sukzessive schlechter geht (nicht wegen irgendwelcher Flüchtlingshilfe, sondern wegen eines rücksichtslosen globalen Raubtierkapitalismus, gegen den sich zu lasche nationalstaatliche Politik aktuell nur unzureichend wehrt, wiewohl sie das könnte), jene, die sich fürchten, meist zwar Phantomschmerzen leiden, aber ihr subjektives Leiden eben nicht mehr hinnehmen wollen, ohne Zugriff auf den Bauch der Gesellschaft wird auch ein HBP-VDB nichts drehen können. Letztlich ist es der Job der Bewegung, die ihre Ursprünge in der Vertretung der Unterprivilegierten hat und ihr historisches Mandat ausschließlich aus dieser Tatsache bezieht. Entweder sie nimmt das jetzt wahr, oder sie stirbt aus.