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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

7. 5. 2016 - 15:52

Hurra! Der Frühling ist da!

Rollkofferzier, Selfies und Laufbier: Berlintouristen können einem auch leid tun.

Aus dem Leben der Lo-Fi-Boheme

Geschichten aus der deutschen Bundeshauptstadt von Christiane Rösinger - jeden Samstag auf fm4.ORF.at

Endlich ist er da, der liebe Monat Mai, auf den wir den ganzen Winter gewartet haben! Und obwohl das Datum ja lange fest stand, kam er doch überraschend. Monatelang geht man durch das Berliner Grau, zählt die Tage und Wochen bis zum Frühling und dann ist es plötzlich so weit!

Vielleicht ist Kreuzberg im Mai am allerschönsten. Wenn die Kastanien die weißen Blütenkerzen tragen, wenn der plattgewalzte Rasen am Mariannenplatz wieder grünt, wenn es warm wird und es scheint, als habe sich die Bevölkerung plötzlich verfünffacht. Die Plätze und Cafés sind voll von Menschen. Einige übertreiben es natürlich, gehen ab 20 Grad Celsius grundsätzlich barfuß, in Flip Flops, kurzen Hosen oder Bikinioberteil.

Katze auf Balkon

Christiane Rösinger

Wer schlau ist, der macht es wie die Katze und verbringt die schwierigen Maitage auf Balkonien.

Und natürlich kommen jetzt verstärkt die Touristenmassen nach Berlin. Aber da muss man auch nachsichtig und großzügig sein. Wie schön, dass wir BerlinerInnen dort leben können, wo andere Urlaub machen. Und die Berlintouristen können einem ja auch leid tun. Städtetourismus kann ganz schön anstrengend sein - heiß ist es in der Mai-Sonne! Hämisch-abwertende Blicke treffen den unschuldigen Rollkofferzieher. Voll schwierig bei dem gleißenden Licht, gute Selfies zu machen! Vor allem, wenn man zu jeder Tages- und Nachzeit das Party-Tourist-Must-Have, das sogenannte Laufbier, in der rechten Hand halten muss. So stehen sie an den Hot Spots, der Eastside-Gallery und am Schlesischen Tor, desorientiert und mit hochrotem Kopf. Man will nicht tauschen.

Ebenfalls anstrengend in Berlin ist ja seit 1986 der 1. Mai.
Dieses Jahr hatte man beschlossen, das sogenannte MyFest, erfunden zur Befriedung der traditionellen Maiunruhen, am Rande der revolutionären 1. Mai -Demo etwas kleiner zu halten. 2015 war das Fest zu erfolgreich, es war zu voll, Anwohner kamen nicht mehr in ihre Wohnungen, weil die Straßenzugänge wegen Überfüllung gesperrt wurden.

Wer den Mai in Berlin richtig genießen will, der muss die Stadt eben an bestimmten Tagen verlassen. Nach dreißig Jahren 1. Mai in Berlin beschloss ich, das Wochenende auf der Insel Rügen, der größten Insel Deutschlands, zu verbringen.

Christiane Rösinger auf Rügen

Christiane Rösinger

Dort ist die Vegetation noch nicht so weit wie im 260 Kilometer entfernten südlicheren Berlin, man kann noch die ersten Blütenwunder bestaunen und auf den Inselstraßen gemächlich an blühenden Rapsfeldern vorbeifahren. Oder auf die Ostsee starren, oder im weißen Ostseesand am Meer entlang stapfen. Das alles kann einem Berlin nicht bieten. Und wenn man dann am Abend des 1. Mai in die Stadt zurück kommt, hat man doch noch ein bisschen 1. Mai-Feeling, denn um einer Überfüllung unseres kleinen Bezirks Kreuzberg 36 vorzubeugen, hat die Polizei alle Wege und Brücken gesperrt, die nach Kreuzberg führen.

Da zahlt sich es sich aus, wenn man den Personalausweis an den Straßensperren zeigt und bittet und bettelt, dass man nach Hause fahren darf. Dann darf man das Auto auch an der letzten Sperre parken und mit dem Gepäck, ein bis zwei Kilometer durch das betrunkene Partyvolk nach Hause laufen.

Wiese aus dem Auto

Christiane Rösinger

Es soll aber sehr schön gewesen sein, dieses Jahr, erzählten Freunde. Love-Parade-Feeling auf allen Straßen! Und auf der Wiese vor einem Autohaus in der Nähe des Clubs der Visionäre hätten alle ein bisserl verstrahlt zu supergutem Techno in der Sonne getanzt!

Der zweite Tag im Mai, an dem man lieber zu Hause bleibt, ist der Vatertag, auch Herrentag oder Christi Himmelfahrt genannt. Über diesen ungutesten aller Feiertage haben wir an dieser Stelle bereits berichtet. Dieses Jahr ist aber alles ganz glimpflich ausgegangen. Kein rassistischer Mob hat sich am Dresdner Elbufer geprügelt.

Das traditionelle Bierkastenrennen um den Berliner Schlachtensee war auch dieses Jahr vorsorglich verboten worden, nachdem das Event in den Vorjahren zu einem Desaster ausgeufert war: "Der gesamte See hat nach Urin gestunken, Menschen sind in die umliegenden Gebüsche gefallen, haben dort ihre Notdurft verrichtet und überall lagen Flaschen", erinnern sich Anwohner und Zeitzeugen heute noch. 2.000 Platzverweise wurden erteilt.

Aber nicht nur am Schlachtensee kam es bei den feucht-fröhlichen Männertouren zum Vatertag in der Vergangenheit immer wieder zu Gewalt und Alkoholmissbrauch. Die Berliner Zeitungen wiesen vor dem gefürchteten Vatertag auf ihren Ratgeberseiten vorsorglich darauf hin, dass "Wildpinkeln" - ein geschönter Ausdruck für das widerliche Urinieren in der Öffentlichkeit - verboten ist.

Kluge BerlinerInnen machen es aber eh wie die Katze: Sie meiden öffentliche Verkehrsmittel, Parks und Plätze und bleiben am Vatertag zu Hause auf Balkonien.