Erstellt am: 8. 5. 2016 - 13:13 Uhr
Best of Donaufestival
Gestern habe ich auf dem Festivalgelände den größten Donaufestival-Fan aller Zeiten getroffen. In den zwölf Jahren, in denen sich Tomas Zierhofer-Kin um das Programm des Festivals gekümmert hat, hat er insgesamt nur drei einzelne Tage ausgelassen und dafür hatte er jedesmal einen guten Grund und hat extra Freunde hingeschickt, damit sie ihm von dem Verpassten berichten.
David Visnjic
Dass jemand so regelmäßig zwei Wochenenden lang aus den steirischen Bergen nach Krems zieht, sich bedingungslos auf das Programm einlässt und danach, wie er mir erzählt hat, noch monatelang neuen Stoff zum Entdecken und Weiterforschen mit nach Hause nimmt, ist das beste Beispiel für das, was das Donaufestival mit einem machen kann. Erst gestern Abend, am Abschlusstag der diesjährigen Edition, konnte man sehen, wie gut der Spagat zwischen avantgardistischer Kunst und allerbester Unterhaltung wieder aufging, als bei dem funkelnden House-Set des Hamburger DJ-Überfliegers DJ Koze dieselben Menschen glücklich die Hände in die Luft warfen, die zuvor etwa in der Minoritenkirche stundenlang in die Alpha- und Theta-Wellen-Soundmassagen von Station Rose eingetaucht waren.
David Visnjic
Sich aus all diesen Jahren für ein Highlight zu entscheiden, ist natürlich kaum möglich, wir haben in der FM4 Redaktion dennoch ein paar Lieblingsmomente zusammengetragen.
Irmi Wutscher (2009 + 2006)
Ein Bild, das mir immer als erstes einfällt aus so vielen Donaufestivalbesuchen: ein Papst, der mit dem Motorrad durch die Minoritenkirche fährt. Teil von irgendeiner Performance, keine Ahnung mehr worum’s da ging, aber das war einfach so ein gutes Bild.
Florian Schulte
Am selben Tag habe ich übrigens CocoRosie interviewt - ein klassischer Fall von "Never meet your heroes". Sie haben mir von Elfen, die in der Natur zu ihnen sprechen, erzählt…
Donaufestival
Ansonsten war 2006 mein allerallererster Donaufestivalbesuch und ich war als Super-Dresden-Dolls-Fangirl dort und konnte gleich in der ersten Reihe Amanda Palmers 30. Geburtstag beiwohnen.
Und dann kommt auch noch Peaches (deren Konzert am Vortag zu besuchen ich mir nicht leisten konnte - es ging nur entweder, oder) auf die Bühne und singt ein Geburtstagslied auf Jiddisch. Von da an bin ich mindestens einen Abend jedes Jahr zum Donaufestival nach Krems gefahren.
Philipp L'Heritier (Sonic Youth, 2009)
Neben all dem schön die Seele schindenden Doom-Techno und schwindelerregender Drone-Musik in nachtschwarzer Kirche, neben Laptop-Befingerung, rästelhafter Performance und komischer Oper kann beim Donaufestival auch vergleichsweise Biederes das Leben erschüttern: Ein gutes altes Rock-Konzert beispielsweise. Wenn es denn von den New Yorker Noise-Pop- und Kunst-Krach-Göttinnen Sonic Youth kommt, so wie im Jahr 2009. Einem Zeitpunkt, zu dem die Gruppe auch eine Weile lang schon weniger durch ihre jeweils gerade aktuellen Releases für Erregung sorgen hat können - vielmehr durch ihr Legende- und Indentitätsstifter-Sein, durch bloße, geile Existenz.
Florian Wieser
Beim Donaufestival, wo gerne mal etwas Seltsames geschieht, hätte man sich im Vorfeld von der mit allen Avant-Wassern gewaschenen Band diverses Experimentelles, Abenteuerliches, Anstrengendes erwarten können: Zweistündige Feedback-Schleifen oder Meditationen zur Geschichte der Minimal Music. Stattdessen schenkten Sonic Youth dem großen Saal des Donaufestivals an diesem Abend ein Best-Of-Set voller Saft und Pop und Hits. Vom eröffnenden "Schizophrenia" über "Tom Violence" und "Kool Thing" hin zu "Teen Age Riot". Gar der von frühen Fans der Gruppe gern - weil vermeintlich zu Ausverkauf an den Alternative-"Kommerz" - verunglimpfte, ja, Überkracher "100%" wurde gegeben. Es kochte, es glühte, Menschen schwitzten. Eventuell wurde geweint vor lauter Glück in der Hose. Auch von besonders untalentiert eingefädelten, aus der Euphorie der Sekunde geborenen Stage-Diving-Versuchen seitens des Publikums geht die Kunde. An dieser Stelle jedoch muss das Erinnerungsvermögen sicherheitshalber nachlassen.
Susi Ondrusova (Battles, 2006)
David Visnjic
Im zweiten Jahr unter der Leitung von Tomas Zierhofer-Kin hat eines der beiden Wochenenden vom Donaufestival in der Werft Korneuburg stattgefunden. Das war schon mal für Fans von schlichter Werft-Hallen-Architektur wie mich ein Highlight. Dass das Donaufestival den Sound von morgen präsentiert hat, hat sich schon damals 2006 verfestigt, als eine Band dort aufgetreten ist, die ein Jahr später mit "Mirrored" in aller Munde war und den Soundtrack für meine Freizeitgestaltung 2007 geliefert hat: Battles. Damals noch mit Ty Braxton an den Synths und Vocals. Neben dem Konzert wird mir vor allem das Interviewtreffen mit der Band in Erinnerung bleiben: Diese hat nach dem Konzert stattgefunden, das heißt die Band war high vom Auftritt und weil es sich über ungelegte Eier (aka das Album, das es damals noch nicht gab) so schlecht reden lässt, dachte ich, ich frag unter anderem auch nach Ty Braxtons musikalischer Kindheit nach. Auch wenn ich von seinem Papa Anthony Braxton keinerlei Ahnung hatte, außer dass er eben avantgardistischer Komponist ist. Da wird doch eine Geschichte drin sein!
In meiner Erinnerung ist dann das passiert: das Interview haben wir im Stehen (wtf) gemacht, in einem Eck war ein großer Spiegel angebracht und John Stanier hat sich einen Spaß daraus gemacht, mich mit einem schrägen Zombie-Blick durch den Spiegel anzustarren. Er hat mir dann die Berufe all seiner Familienmitglieder erzählt, um seinen Kumpel und Kollegen Braxton vor der Vater-Antwort zu schützen. Aber weil ihnen der erste Österreich-Ausflug so gut gefallen hat und sie von Krankenschwestern, Truckfahrern, Lehrern und Musikern sehr höflich erzogen wurden, haben sie noch eine Dankes-Rede an die österreichische Nation gehalten! Und seit dem so: I have Battles in my life.
Eva Deutsch (2015 + 2007)
Eines meiner Highlights 2015 waren Arca und Christeene, auch das Genesis P. Orridge-Interview und der Spaziergang mit ihm durch das düster beleuchtete Krems war ein Traum! Wir haben auch über herrlich banale Dinge gesprochen wie Schnitzelessen und schmerzende Füße.
Alex Augustin (2009, 2008, 2005+)
Philipp L'heritier
Ich nehm das, wo mich Planningtorock 2009 besoffen gemacht hat, weil sie mir vor dem Interview einen Speedball in die Hand gedrückt hat (Espresso/Wodka/Zucker). Anfangs waren wir noch total intelligent und innerhalb von fünf Minuten sind wir völlig rot angelaufen und breit gewesen, man hört im Soundfile heute noch den völligen Absturz glaub ich! Oder Gustav, die mir 2008 in der Minorittenkirche meinen Lieblingsausdruck beigebracht hat: "Geilosteilo".
Sonst erinnere ich mich noch gut an den Umbruch in der heimischen Festivallandschaft, als damals, 2005, alle da hin gefahren sind, ich noch blutjunge Kunststudentin mit zuviel Blut im Alkohol. Die Chicks On Speed, Alec Empire, Xiu Xiu, Sleater-Kinney, die Liars in KREMS??? WTF??? Was ist denn hier los??? Das war ja völlig IRRE!
Martin Pieper (Yo! Majesty, 2009)
Florian Schulte
Das HipHop-Duo Yo! Majesty hat 2009 die "kleine Halle" beim Donaufestival aber sowas von auseinander genommen. Wo sind Shunda und Jwl eigentlich heute? "Yo, so was hab' ich noch nie erlebt. Diese zwei Damen sind der absolute Wahnsinn und die komplette Revolution", hat unsere Rezensentin Barbara Matthews damals geschrieben. Und dabei ist noch nicht von der irren Energie die Rede, die sich von den beiden Rapperinnen da auf das Publikum übertragen hat. T-Shirts runter, und ein revolutionär anderer feministischer HipHop-Entwurf, der seitdem leider nicht mehr weiterverfolgt wurde. Die Hälfte des anwesenden Publikums hat nach diesem Sturm feministische Bands, Clubs und Fanzines gegründet. Man konnte gar nicht anders.
Katharina Seidler (2012, 2013)
Ich habe beim Donaufestival gelernt, meine eigene Komfortzone zu verlassen, weil echte, neue Erkenntnisse nur dahinter möglich sind. In den letzten Jahren hieß das etwa, geduldig zu lauschen, bis sich eine einstündige Wall of Sound aufbaut und sich dann mit voller Wucht entlädt, oder aber, mich freiwillig in einen Zahnarztstuhl zu setzen. Beim Zahnarztbohrmaschinenchor von Fritz Ostermayer im Jahr 2013 wurden uns Teilnehmenden in echten Zahnarzt-Behandlungssesseln von, wie ich glaube/hoffe, echten Ärzten eine Zahnreinigung verpasst, während wir eine Stunde lang "Jesus Blood never failed me yet" mit Absaugschläuchen im Mund im Dauerloop gesungen haben. "Die Pataphysik ist die Wissenschaft imaginärer Lösungen" - wie hätte ich das sonst besser erfahren können als hier?
Christian Wind
Im Jahr davor zeigte sich Ariel Pink beim Interview eher nur mau interessiert an meinen Fragen, wurde aber umso aufmerksamer, als wir am Weg zum Abendessen an der Justizanstalt Stein vorbeifuhren. "So this is really where Fritzl is at?" Er hat sich daraufhin auf die Geschichte des Mörders Josef Fritzl so eingeschossen, dass er ihm am Abend auf der Donaufestivalbühne einen zehnminütigen Song widmete, dessen einziger Text war: "Schnitzel - Fritzl". Seine Band Haunted Graffiti ist lachend mit eingestiegen. Später bei "Bright Lit Blue Sky" sind dann noch Caroline Polachek von Chairlift und Bradford Cox alias Atlas Sound spontan auf die Bühne gesprungen und haben mitgetanzt.
David Pfister (2007)
Das Werk der englischen Musik-Aktionsgruppe Throbbing Gristle gilt als Urschrei der Industrial-Kultur. 2007 raufte sich das 1981 aufgelöste Projekt für eine Reunion kurzzeitig wieder zusammen. Naheliegende und völlig gültige Motive waren wohl finanzieller Natur. Früchte dieser Reunion war die schöne psychedelische Platte "Part Two The Endless Not" und eine Handvoll überraschend souveräner Konzerte. Einer dieser seltenen Auftritte wurde vom Donaufestival organisiert.
Am Auftrittstag hatte ich die Möglichkeit, Throbbing Gristle zu interviewen. In einem rural-modernistischen Kurhotel gemütlich gelegen zwischen den Kremser Weinbergen. Es waren gerade Spargelwochen und diese wurden in einem dementsprechend dekorierten Restaurantbereich mit einem Spargel-Brunch gefeiert. Und dort wartete ich auf Genesis P. Orridge, den Sänger und berühmt-berüchtigten Performance-Künstler, der damals gerade mit seiner Ehefrau Lady Jaye an einer sogenannten pandrogynen Geschlechtsidentität arbeitete, die gleichermaßen Männlichkeit und Weiblichkeit umfasste und die größtmögliche äußerliche Annäherung der beiden zum Ziel hatte. Umgesetzt durch eine Vielzahl verschiedenster physischer Eingriffe und Operationen. Ein spannendes, gefährliches, aber auch hehres und romantisches Projekt.
Florian Schulte
Allerdings liest sich das Projekt einfacher, als es im richtigen Leben zu erleben ist. Die optische Wirkung des schon immer zu bunten Farben und Firlefanz neigenden Genesis P. Orridge mit seinen frischen goldenen Zähnen, seinem grellen Make-Up, seinem Jogging-Anzug und seines pandrogyn modellierten Körpers war - überwältigend. Für uns alle. Besonders aber für die Kremser Kurhotel-GästInnen, die den Nachteil hatten, sich als Vorbereitung auf Genesis P. Orridge nicht mit seinen Geschlechtsidentität-Konzepten beschäftigt zu haben. Der gut besuchte Restaurant-Bereich wurde von einer Sekunde zur nächsten totenstill. Ich sah mit eigenen Augen Spargelstücke aus erschrockenen Mündern purzeln. Ich hörte vor Ekel stöhnendes Wehklagen. Ich sah Angst und Schrecken, Neugier und Verwunderung, Faszination und eine gewisse seltsame Lust. Avantgarde zeichnet sich durch eine radikale und in Frage stellende Haltung gegenüber vorherrschender politischer, sozialer, ästhetischen Verhältnisse aus. Ich wurde Zeuge einer kompromisslosen, im Leben angewandten Avantgarde. Dieser Moment ist für mich symptomatisch für das Donaufestival unter der Leitung von Tomas Zierhofer-Kin.
APA/EPA/HELMUT FOHRINGER
Und Tomas Zierhofer-Kin selbst?
Für den langjährigen Festivalleiter ist es natürlich unmöglich, einen einzelnen Aspekt heraus zu picken. Dennoch hat er eine wunderschöne Entwicklung von Jahr zu Jahr beobachten können:
"Ein sehr allgemeines, aber auch sehr abstraktes Lieblingsmoment ist, dass sich das Festival im Laufe der Jahre so entwickelt hat und dass das Publikum so neugierig wurde. Viele Künstler_innen, die schwerere oder schwerer zu vermittelnde Arbeiten aufführen oder auch Leute, die ganz unbekannt sind, haben unglaublichen Zulauf. Das ist - abgesehen von den tollen Künstler_innen und den absurden und lustigen Erfahrungen, die man da macht - einfach das schönste: Dass dieses Publikum so unglaublich neugierig ist und die Künstler über zwölf Jahre - stärker werdend natürlich - da durchgetragen hat."
Wir wünschen dem einen Tomas alles, alles Gute für die nächsten Jahre bei den Wiener Festwochen und freuen uns auf die kommenden Donaufestival-Ausgaben unseres lieben, anderen Thomas. Darauf eine Schnitzelsemmel!