Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Von hauchzart bis Glam-Rock"

Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

2. 5. 2009 - 11:08

Von hauchzart bis Glam-Rock

Antony, Coco Rosie und ein Papst auf dem Motorrad: Der 1. Mai am Donaufestival.

Heute, 5. Mai, in der FM4 Homebase (19-22 Uhr): Der Mitschnitt des Coco Rosie Konzerts.

Ein paar verhungerte Luftballons hängen noch vom Vorabend in der Halle herum und allgemein gleicht die Stimmung beim Soundcheck von Coco Rosie am Nachmittag etwa der an einem Morgens in einer vernichteten Wohnung nach einer wilden Party, bei der die Aschenbecher noch voll dastehen und abgestande Luft regiert. Kein Wunder, Aphex Twin hat bis in die frühen Morgenstunden gewütet.

Sierra Casady von Coco Rosie und Irmi Wutscher treffen sich aber gleich zum Interview. Die brennende Frage neben der Vorfreude auf die heutige Show ist natürlich, was man sich vom neuen Coco Rosie-Album erwarten darf, das im Herbst erscheinen wird. Von fernen Reisen und Field Recordings ist die Rede, die sie in Meeresumgebung gesammelt haben: 'We did some pirate adventure stuff. Boots and mikrophones adventuring in the blue'. Mehr wird nicht verraten, aber ein paar neue Songs gibt's später dann als Kostprobe. Und noch viel mehr.

Sierra Cassidy beim Interview

FM4

Auch Crazy Bitch in a Cave ist trotz der frühen Stunde schon vor Ort, obwohl er (leider) als allerletzter seinen heutigen Auftritt bestreiten wird. Er hat eine chice Kleiderkollektion mitgebracht, die durchprobiert werden will. Teilweise selbstgeschneidert, teilweise von House of The Very Islands beigesteuert. Sogar ein den ägyptischen Pyramiden nachempfundenes Kleid findet sich darunter.

Bühnenaccessoires von Crazy Bitch in a Cave

FM4

Wird der gestrige Kostüm- und Performancewahnsinn heute getoppt werden? Ja, denn wir wissen wer heute hier sein wird: Antony.

Aber bis zum Konzert bleibt noch viel Zeit um zum Beispiel der "Desäkularisierung der Minoritenkirche" beizuwohnen. Darunter kann man sich beim ersten hören irgendwie nicht wirklich etwas vorstellen. Aber von wilden Weihrauchorgien und allerhand Exorzismen ist die Rede.

Rollschuhfahrende Priester und ein Papst auf dem Motorrad

Wären Kollegin W. und ich rechtzeitig in den heiligen Hallen der Minoritenkirche eingetroffen, hätten wir uns vielleicht behutsam dem sich hochschaukelnden Wahnsinn in der Kirche annähern können.

florian schulte

Doch wir platzen - eine halbe Stunde zu spät - mitten in eine 'Prozession' der anderen Art: Am Kirchenboden liegen knöchelhoch weiße Federn, neben uns zieht gerade ein ans Kreuz genageltes Jesus-Double samt Jüngern vorbei, lautstark hallt "Bohemian Rhapsody" von Queen durch Raum. Ach ja, rollschuhfahrende Priester und ein Papst auf einem Motorrad düsen durch den Gang bei der Hintertür hinaus. Angeblich dreht sich die Geschichte hier um ein verliebtes Paar, das gerade eine windschiefe Hochzeit feiert. Lautstarker Ehestreit mit Kampfeinlagen inklusive.

florian schulte

Insgesamt eine heitere Performance-Theater-Revue, die uns God's Entertainment hier bieten. Auch wenn die Handlung und die Ereignisse nicht besonders tief gehen, die groteske Situation, oder besser gesagt die lose Aneinanderreihung von grotesken Situationen bekommt ihre schnell verdienten Lacher, die hier durch Mittel- und Seitenschiffe hallen. Dieser Ausnahmegottesdienst hätte bestimmt auch dem heiligen Franz von Assisi gefallen. Ab jetzt jeden Sonntag in der Kirche ihres Vertrauens, bitte.

The Rocky Horror Kembra Pfahler Show

Zurück am Gelände regieren pechschwarze, Kiss-ähnliche Lockenfrisuren und hohe Fetisch-Stilettos:

Kembra Pfahler, die selbsternannte Rockgöttin aus Kalifornien die sich nach dem gleichnamigen B-Movie-Horrorstar der 70er Jahre benannt hat, hat mit ihrem Ensamble gerade den "Voluptuous Horror of Karen Black" eingeleutet. Seit den frühen 90ern treffen in ihren Performances subversive, feministische Texte auf glamourösen Rock'n'Roll mit druckvollen Gitarrenriffs und schwindeligen Gitarrensolis. Dazwischen ist Platz für cartoonhafte, riesige, selbstgebastelte Gesichtsmasken, die die Form von Riesenkrallen haben und andere Kostümierungen, die ganz und gar nicht lieb ausschauen:

helmut lackinger

Das alles sei, so Kembra Pfahlers, ein Kommentar darüber, wie die Welt immer unrealer und angsteinflößender wird. Auf die nötige Portion Glam sollte man dabei nicht verzichten, um frischen Wind in diese triste Realität zu pumpen.

helmut lackinger

Und außerdem bezeichnet sich Kembra Pfahler als "Availablist", als Künstlerin, die Kunst aus allen möglichen Dingen produziert, die in der Gegend herumliegen. Wie wahr, denn wie ich vor der Show beobachten konnte hat sie alles an sich gerafft und in ihren Backstageraum verschleppt, was nicht niet- und nagelfest war. Trotz des Aufwands: Im Vergleich zu dem was hier am Donaufestival sonst schon passiert ist und gerade passiert, war das ein verhältnismäßig gesetztes, aber natürlich einfach trotzdem gutes Rock'n'Roll-Konzert.

Antony

Ich erspähe Kollegen David Pfister wenig später dabei, wie er sich in der vollgestopften Halle frech nach vorne drängt um Antony and the Johnsons aus nächster Nähe sehen zu können. Wie es war erzählt am besten er:

Dem Antony geht es gut. Der Antony hat den alten Antony mit all seinen Zweifel schon lange hinter sich gelassen. Ausgeglichen und gut austariert gibt sich Antony seiner Kunst hin, hat als ewig-mächtigen Rückenwind seine Ausnahmestimme. Und da sind wir auch schon beim Problem. Antony ist wie ein Haubenkoch, der auf ewig sein Talent mit Siegel und Wappen an der Wand bestätigt hängen hat. Die Schnitzel von so einem Meisterkoch schmecken immer gut. Da kann nichts falsch laufen, außer die unsägliche Selbstgefälligkeit schleicht sich ein. Und sorry, dieses Gefühl hatte ich nicht selten bei Antonys Auftritt am zweiten Tag des zweiten Donaufestivalwochenendes. Denn Antonys Macht speist sich nur bedingt aus seiner Stimme.

florian schulte

Antony ist deshalb so eine Naturgewalt, weil er eine bedingungslose Radikalität an den Tag legt und diese in heilige Gospels zu verwandeln mag. Aber das ist auf Dauer natürlich nur bedingt super - im täglichen Leben. Und Antony geht es eben endlich gut und das ist sehr schön, aber Antony ist nicht im Lounge-Jazz zu Hause.

florian schulte

Antony braucht seine Intimität, seine Tiefgründigkeit nicht abzufedern. Naja wahrscheinlich schon, für ihn privat. Aber dafür haben wir dann eine Performance-Aura die immer wieder eine leichte 'Elton John für Alternative'-Manier an den Tagt legt. Ich fand das Antony-Konzert sehr ambivalent. Eklatant anders als sein feingliedriges Debüt im Wiener Rathaushof. Aber gut, bei einem Koch mit solchen Qualitäten wird man immer gut essen. Ich übergebe wieder an Kollegin Alexandra Augustin:

Coco Rosie

Also für jemanden wie mich, der Antony das erste Mal Live sehen durfte, war das Konzert natürlich trotzdem ganz großes Kino. Antony and The Johnsons schaffen es meiner Meinung nach nicht bloß eine 'Performance' oder ein 'Konzert' abzuliefern. Sie zogen das Publikum und mich förmlich in eine andere Welt, nämlich in die ihre hinein, anstatt mich als Zuschauerin in einer sonst recht nüchternen Kremser Halle mit meinen Impressionen zurückzulassen.

Sich nach so einem Konzert wieder in den Festivalflow einzugliedern ist eine Herausforderung, an der man scheitert. Dank Coco Rosie ist das aber gar nicht nötig. Die Johnsons-Streicher werden gegen die Harfe getauscht, es wird Zeit für Sierra und Bianca.

florian schulte

Die beiden leben nicht nur in einer anderen Welt. Sie leben eine andere Welt. Das was ihnen entweicht und wir einfach Musik nennen ist die Sprache, in der sie kommunizieren und von der wir rein zufällig ein paar Brocken verstehen, wie auf einer Reise durch ein fremde Länder voller Geheimnisse und Missverständnisse. Und das ist gut so. Denn Coco Rosie erklären? Das fällt sogar den Musikerinnen selbst schwer. Und Coco Rosie wollen auch nicht nacherzählt werden, sie wollen erfahren werden. Und das kann jedes Mal anders sein.

Noch vor einem Jahr in der Wiener Arena war das Konzert Beatbox-lastig und laut. Diesmal eben ganz leise und wunderschön hauchzart und fragil. Fast zu fragil und zart, denn so eine Messehalle ist dann wahrlich der falsche Ort für eine Band wie Coco Rosie. Aber was soll man tun, wenn die Popularität so groß geworden ist, dass eben ein paar hundert Fans ein Stück vom Kuchen wollen? Die Kunst der Umgebung anpassen? Bestimmt nicht. Diese Welt gehört ihnen und das Publikum darf ausnahmsweise als Zaungast einen Blick hinein werfen. Das freut die ersten drei Reihen, die hautnah dran sein dürfen. Wer weiter hinten steht muss sich damit zufieden geben, was er zwischen den Köpfen der Vordermänner erspähen und den Lautsprecherboxen entnehmen kann.

florian schulte

Freilich: Schöner wäre es gewesen, die Harfe, den Sprachgesang und vor allem die ergreifenden Singarien in einer Umgebung wie etwa der Minoritenkirche vernehmen zu können. Aber trotz architektonischer Nachteile in dieser fremden Zeit-Raum-Dimension wird erfahrbar, was weder Blick noch Lautsprecher benötigt: Sierra ist eine dermaßen gewaltige Opernsängerin, dass Vehikel wie Mikrophone schlicht überflüssig werden. Sogar in einem Anti-Klangkörper wie einer Lagerhalle schafft sie es scheinbar mühelos ihre Arien bis in die letzten Reihen zu schmettern. Und als bei der Zugabe sogar noch Antony höchstpersönlich die Bühne betritt um mit Sierra und Bianca 'By Your Side' anzustimmen wird deutlich, dass das heute wieder einer dieser einzigartigen, unvergesslichen Momente ist, für die Coco Rosie bekannt sind.

Wanna Touch Ya!

Wer nach diesen zwei Konzerten die Bühne betreten muss hat wahrlich kein leichtes Spiel. Crazy Bitch in a Cave muss sich vorerst damit abfinden, dass in den ersten paar Minuten seiner Show nur wenige Menschen zu ihm finden wollen.

Crazy Bitch in a Cave mit langem, wallenden Kleid

Ute Hölzl

Doch jemand der eine dermaßen glamoröse Bühnepräsenz hat, der neben wunderbar tanzbaren Elektro-Pop und Discobeats und wundersamen Outfits auch noch die schönsten Beine hat und weiß wie man die bewegt, findet schnell die BesucherInnen auf seiner Seite und vor seiner Bühne zum Nachahmungseffekt berufen. Gelungener Auftritt, gelungener Abschluss!

Konzertmitschnitt

Heute, 5. Mai, in der FM4 Homebase (19-22 Uhr): Der Mitschnitt des Coco Rosie Konzerts.